Vertriebenendenkmal Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen
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Obwohl Erfurt nicht direkt von den Vertreibungen betroffen war, hat es sie doch durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen deutlich zu spüren bekommen. Nach Kriegsende in Erfurt am 12. April 1945 befanden sich fast 40.000 von ihnen in der Stadt. Im Herbst waren es bereits über 50.000, die in notdürftigen Massenunterkünften untergebracht wurden. Die Umsiedler, wie Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR euphemistisch genannt wurden, lebten teils über Jahre unter primitivsten Verhältnissen. Eines der größten Lager auf dem Petersberg bestand sogar bis zum August 1949. Am Ende hatten laut Erfurter Sozialamt rund 670.000 Menschen diese Lager durchlaufen. Der größere Teil von ihnen zog weiter, manche fanden in Erfurt eine neue Heimat. | Obwohl Erfurt nicht direkt von den Vertreibungen betroffen war, hat es sie doch durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen deutlich zu spüren bekommen. Nach Kriegsende in Erfurt am 12. April 1945 befanden sich fast 40.000 von ihnen in der Stadt. Im Herbst waren es bereits über 50.000, die in notdürftigen Massenunterkünften untergebracht wurden. Die Umsiedler, wie Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR euphemistisch genannt wurden, lebten teils über Jahre unter primitivsten Verhältnissen. Eines der größten Lager auf dem Petersberg bestand sogar bis zum August 1949. Am Ende hatten laut Erfurter Sozialamt rund 670.000 Menschen diese Lager durchlaufen. Der größere Teil von ihnen zog weiter, manche fanden in Erfurt eine neue Heimat. | ||
In der DDR waren die Vertriebenen allein schon mit Blick auf die sozialistischen „Bruderstaaten“ Polen und Tschechoslowakei ein weitgehendes Tabuthema. Der Bund der Vertriebenen (BdV) konnte daher erst 1994 ein Denkmal auf dem Hauptfriedhof einweihen. In der Mitte einer Grünanlage befindet sich ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Die Heimat bleibt unvergessen“. Hierum gruppieren sich die Wappen von 14 ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten. An diesem Denkmal entzündeten sich mehrfach hitzige Debatten. Während es im Jahre 2000 vermutlich von linken Jugendlichen geschändet wurde, sorgte wenig später der Erfurter BdV mit der drohenden Unterwanderung durch die NPD für Schlagzeilen. Die Erinnerung an das Schicksal der Heimatvertriebenen hat eine solche radikale Politisierung nicht verdient. Sie sollte vielmehr eingebettet sein in eine Kultur der Aussöhnung der Völker. So heißt es in der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997, dass das gegenseitig „begangene Unrecht der Vergangenheit angehört“ und man die „Beziehungen auf die Zukunft ausrichten“ möchte. | In der DDR waren die Vertriebenen allein schon mit Blick auf die sozialistischen „Bruderstaaten“ Polen und Tschechoslowakei ein weitgehendes Tabuthema. Der Bund der Vertriebenen (BdV) konnte daher erst 1994 ein Denkmal auf dem Hauptfriedhof einweihen. In der Mitte einer Grünanlage befindet sich ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Die Heimat bleibt unvergessen“. Hierum gruppieren sich die Wappen von 14 ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten. An diesem Denkmal entzündeten sich mehrfach hitzige Debatten. Während es im Jahre 2000 vermutlich von linken Jugendlichen geschändet wurde, sorgte wenig später der Erfurter BdV mit der drohenden Unterwanderung durch die NPD für Schlagzeilen. Die Erinnerung an das Schicksal der Heimatvertriebenen hat eine solche radikale Politisierung nicht verdient. Sie sollte vielmehr eingebettet sein in eine Kultur der Aussöhnung der Völker. So heißt es in der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997, dass das gegenseitig „begangene Unrecht der Vergangenheit angehört“ und man die „Beziehungen auf die Zukunft ausrichten“ möchte. (Foto: Dr. Steffen Raßloff) | ||
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Aktuelle Version vom 1. Oktober 2022, 12:52 Uhr
Vertriebenendenkmal auf dem Hauptfriedhof
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (09.06.2012)
Die Heimat bleibt unvergessen
DENKMALE IN ERFURT (49): Auf dem Hauptfriedhof erinnert ein Denkmal an die Opfer der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Vertreibung von bis zu 14 Millionen Deutschen aus Mittel- und Südosteuropa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gehört zu den emotionalsten Themen unserer jüngeren Geschichte. Die Kontroversen um ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin haben dies erst jüngst wieder deutlich gemacht. Trotz des nun schon fast siebzigjährigen Dauerkonfliktes sollte es aber unstrittig sein, dass die Opfer ein Recht auf Erinnerung haben. Es ist bezeichnenderweise ein amerikanischer Historiker, R. M. Douglas, der in seinem gerade erschienenen Buch „Ordnungsgemäße Überführung“ die erste kritische Überblicksdarstellung liefert. Ohne die Vorgeschichte der Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren, spricht er von der „schlimmsten menschengemachten Katastrophe“ in Europa nach 1945. Sie kostete neben unbeschreiblichem Elend rund zwei Millionen Deutschen das Leben.
Obwohl Erfurt nicht direkt von den Vertreibungen betroffen war, hat es sie doch durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen deutlich zu spüren bekommen. Nach Kriegsende in Erfurt am 12. April 1945 befanden sich fast 40.000 von ihnen in der Stadt. Im Herbst waren es bereits über 50.000, die in notdürftigen Massenunterkünften untergebracht wurden. Die Umsiedler, wie Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR euphemistisch genannt wurden, lebten teils über Jahre unter primitivsten Verhältnissen. Eines der größten Lager auf dem Petersberg bestand sogar bis zum August 1949. Am Ende hatten laut Erfurter Sozialamt rund 670.000 Menschen diese Lager durchlaufen. Der größere Teil von ihnen zog weiter, manche fanden in Erfurt eine neue Heimat.
In der DDR waren die Vertriebenen allein schon mit Blick auf die sozialistischen „Bruderstaaten“ Polen und Tschechoslowakei ein weitgehendes Tabuthema. Der Bund der Vertriebenen (BdV) konnte daher erst 1994 ein Denkmal auf dem Hauptfriedhof einweihen. In der Mitte einer Grünanlage befindet sich ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Die Heimat bleibt unvergessen“. Hierum gruppieren sich die Wappen von 14 ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten. An diesem Denkmal entzündeten sich mehrfach hitzige Debatten. Während es im Jahre 2000 vermutlich von linken Jugendlichen geschändet wurde, sorgte wenig später der Erfurter BdV mit der drohenden Unterwanderung durch die NPD für Schlagzeilen. Die Erinnerung an das Schicksal der Heimatvertriebenen hat eine solche radikale Politisierung nicht verdient. Sie sollte vielmehr eingebettet sein in eine Kultur der Aussöhnung der Völker. So heißt es in der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997, dass das gegenseitig „begangene Unrecht der Vergangenheit angehört“ und man die „Beziehungen auf die Zukunft ausrichten“ möchte. (Foto: Dr. Steffen Raßloff)
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Hauptfriedhof, Bevölkerungsentwicklung in Erfurt