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Die TA-Serie präsentiert ehemalige Stadtoberhäupter, die die Entwicklung Erfurts geprägt haben. Richard Breslau (1872-89) stellte als „Vater des modernen Erfurt“ die Weichen Richtung Großstadt, Hermann Schmidt (1895-1919) amtierte erfolgreich auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, Bruno Mann (1919-33) führte die Stadt durch die unruhigen Jahre der Weimarer Republik, Walter Kießling (1936-45) prägte als „lokaler Führer“ die Zeit des Nationalsozialismus, Georg Boock (1946-61) machte in der frühen DDR aus Erfurt eine sozialistische Bezirksstadt. | [[Datei:Stadtlogorad.jpg|120px|right]]Die TA-Serie präsentiert ehemalige Stadtoberhäupter, die die Entwicklung Erfurts geprägt haben. Richard Breslau (1872-89) stellte als „Vater des modernen Erfurt“ die Weichen Richtung Großstadt, Hermann Schmidt (1895-1919) amtierte erfolgreich auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, Bruno Mann (1919-33) führte die Stadt durch die unruhigen Jahre der Weimarer Republik, Walter Kießling (1936-45) prägte als „lokaler Führer“ die Zeit des Nationalsozialismus, Georg Boock (1946-61) machte in der frühen DDR aus Erfurt eine sozialistische Bezirksstadt. | ||
Version vom 18. Januar 2012, 12:44 Uhr
Oberbürgermeister der Stadt Erfurt seit 1872
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2006)
Die TA-Serie präsentiert ehemalige Stadtoberhäupter, die die Entwicklung Erfurts geprägt haben. Richard Breslau (1872-89) stellte als „Vater des modernen Erfurt“ die Weichen Richtung Großstadt, Hermann Schmidt (1895-1919) amtierte erfolgreich auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, Bruno Mann (1919-33) führte die Stadt durch die unruhigen Jahre der Weimarer Republik, Walter Kießling (1936-45) prägte als „lokaler Führer“ die Zeit des Nationalsozialismus, Georg Boock (1946-61) machte in der frühen DDR aus Erfurt eine sozialistische Bezirksstadt.
Oberbürgermeister Richard Breslau (1872-1889)
Richard Breslau war der erste Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt Erfurt. In seiner Amtszeit von 1872 bis 1889 wandelte sich die beschauliche Festungsstadt zur pulsierenden Industriemetropole. Die meisten für eine Großstadt heute charakteristischen Einrichtungen wurden unter seiner Leitung geschaffen oder vorbereitet. Breslau ist damit so etwas wie der „Vater des modernen Erfurt“.
Richard Breslau wurde 1835 im schlesischen Königshütte, dem heutigen Chorzów, geboren. Er stammte damit wie die meisten höheren Beamten in Preußen aus einer weit entfernten Provinz des Landes. 1862 hatte ihn der Berufsweg als Regierungsassitenten bei der Bezirksregierung am Hirschgarten nach Erfurt geführt. Der laut Zeitgenossen für „seine Kraft und Energie“ bekannte Beamte wurde am 14. Juli 1871 zum 1. Bürgermeister gewählt und fungierte mit der Erhebung Erfurts zur kreisfreien Stadt 1872 als dessen Oberbürgermeister. Nunmehr entfaltete der neue OB mit den Worten des Stadthistorikers Johannes Biereye „eine großartige Tätigkeit“ bei der Modernisierung der Stadt. Die hygienischen Bedingungen wurden durch den Bau einer Zentralwasserleitung, von Kanalisationsanlagen sowie effektivere Müllentsorgung entscheidend verbessert. 1876 öffnete der neue Städtische Friedhof, der heutige Südpark, 1882 folgte das Städtische Krankenhaus an der Nordhäuser Straße. Gerühmt wurden die Breslausche Reform der „Polizei-, Kassen- und Schulverhältnisse“, aber auch die Modernisierung des Stadtbildes durch Pflasterung von Straßen und Gehwegen. Ein weiterer Meilenstein war die Inbetriebnahme der Pferdestraßenbahn 1883, die 1894 durch die „Elektrische“ ersetzt wurde. Voraussetzung hierfür bildete der Beginn der Elektrifizierung 1887. In diesen Jahren begann auch die rapide Ausdehnung der Stadt über den mittelalterlichen Kern hinaus mit den Wohngebieten des „Gründerzeitgürtels“ und neuen Industrieanlagen. Wohl größtes Verdienst von Oberbürgermeister Breslau stellte das Vorhaben Flutgraben/Ringstraße dar. 1878 war es dem OB gelungen, vom preußischen Staat günstig die seit der Entfestigung Erfurts 1873 nutzlosen Wallanlagen für die Stadt zu kaufen. Deren Beseitigung folgte 1890-99 der Ausbau des äußeren Befestigungsgrabens zum Umflutgraben. Damit wurde die ständige Hochwassergefahr gebannt. Seiner Zeit weit voraus, hatte Breslau auch den Bau einer parallelen Straßenmagistrale auf den Weg gebracht, da er „die eminenten Vorteile dieser Ringstraße für den öffentlichen Verkehr“ erkannte. Der in den 1970er Jahren vierspurig ausgebaute Juri-Gagarin-Ring ist heute, zusammen mit dem kontinuierlich erweiterten Straßenbahnnetz, das Rückgrat des innerstädtischen Verkehrs. Angesichts dieser Leistungen ehrte die Stadt Erfurt Richard Breslau nach seinem Tode 1897 mit einem repräsentativen Denkmal. Am 19. Oktober 1912 konnte in der Grünanlage der Bismarckstraße, dem heutigen Löberwallgraben, das Werk von Bildhauer Carl Melville enthüllt werden, das die Verdienste des Stadtvaters symbolisch zum Ausdruck brachte. Zwei Relieffiguren verkörperten Handel und Verkehr sowie Industrie und Bauwesen. Auf Erfurts besondere Bedeutung im Gartenbau zielten entsprechende Schmuckelemente. Die Gestaltung als Brunnen schließlich verwies auf Wasserleitung und Kanalisation, der Standort auf das Entfestigungs- bzw. Flutgrabenprojekt. Leider wurde in den 1950er Jahren die monumentale Anlage auf das heutige Fragment beschnitten, sie soll aber bald wieder in alter Schönheit hergestellt werden.
Oberbürgermeister Hermann Schmidt (1895-1919)
Der 1895 bis 1919 amtierende Oberbürgermeister Dr. Hermann Schmidt war das letzte Stadtoberhaupt der Kaiserzeit. Unter seiner Leitung vollzog sich die endgültige Wandlung Erfurts zur modernen Industriegroßstadt, die 1906 die 100.000-Einwohner-Grenze überschritt. Schmidt führte Erfurt durch die schwere Zeit des Ersten Weltkrieges 1914/18, ehe er 1919 die Geschäfte an seinen Nachfolger Bruno Mann übergab.
Wie seine Vorgänger stammte auch Hermann Schmidt nicht aus der Region. 1851 in Dedesdorf im Großherzogtum Oldenburg geboren, wirkte er vor seiner Berufung nach Erfurt 1882-90 als Stadtsyndikus in Hildesheim und 1890-95 als 2. Bürgermeister von Halle/S. Am 3. Dezember 1895 trat er sein Amt als Oberbürgermeister von Erfurt an. Hatte Richard Breslau in der „Gründerzeit“ nach der Reichsgründung 1871 die Weichen für den Weg Erfurts zur modernen Großstadt gestellt, so gebührt Hermann Schmidt das Verdienst, auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung die Geschicke der Stadt erfolgreich geleitet zu haben. Besonders hebt Stadthistoriker und Zeitgenosse Johannes Biereye die Fähigkeiten des „ausgezeichneten Finanzpolitikers“ hervor. Durch geschickte Bodenpolitik nahm die Entwicklung blühender Vorstädte rund um den mittelalterlichen Stadtkern weiter Fahrt auf. Den Bedürfnissen der expandierenden Industrie trug man 1909 durch die Ausweisung eines großen Gewerbegebietes im Norden Rechnung. Auch der Durchbruch zur modernen Dienstleistungsstadt geht in die Amtsszeit Schmidts zurück. So entstand 1906 das „Kaufhaus Römischer Kaiser“ am Anger, das heutige „Anger 1“, als größte Einrichtung ihrer Art in der Region. Die unter Richard Breslau begonnene Modernisierung der Infrastruktur wurde von Schmidt ebenfalls fortgesetzt, unter dessen Leitung ein Städtisches Elektrizitätswerk (1901) und der Hauptfriedhof (1916) entstanden sowie der Flutgraben 1899 fertiggestellt wurde. Die Umnutzung der ehemaligen Festungswälle ging weiter, 1908 konnte auf der Daberstedter Schanze der Stadtpark übergeben werden. Auch im kulturellen Bereich setzte Schmidt Akzente, indem beispielsweise das Museum mit dem späteren Reichskunstwart Dr. Edwin Redslob 1912 einen hauptamtlichen Direktor bekam und ein zentraler Neubau auf dem Stadtparkgelände in greifbare Nähe rückte (1913 Entwurf Henry van de Velde). So war es mehr als ein symbolischer Akt, wenn Hermann Schmidt 1906, vor genau 100 Jahren, den Eintritt Erfurts in den Kreis der Großstädte verkünden konnte. Voller Stolz informierte er die Stadtväter im Rathaus, dass mit dem Fleischermeistersohn Wilhelm Mund am 22. Mai 1906 der einhunderttausendste Erfurter das Licht der Welt erblickt habe. Die Stadtverordneten antworteten hierauf mit einem „lebhaften Bravo!“. In drei Jahrzehnten hatte sich die Einwohnerzahl von 48.000 (1875) auf 100.000 (1906) verdoppelt. Zuzüglich Eingemeindungen, v.a. des nördlichen Industrievorortes Ilversgehofen (1911), brachte es die Stadt bis 1914 auf 130.000 Einwohner. Der im August 1914 beginnende Erste Weltkrieg brachte diese dynamische Stadtentwicklung abrupt zum stehen. Die wirtschaftliche und soziale Situation verschlechterte sich zusehends, an die Umsetzung solcher Projekte wie dem Museumsneubau war nicht mehr zu denken. Am Ende des verlorenen Krieges war Erfurt „eine arme Stadt“, wie der kommunale Verwaltungsbericht feststellen musste. Der allseits geachtete Oberbürgermeister übte sein schweres Amt auch noch über die Revolution und Republikausrufung im November 1918 hinaus bis 1919 aus, ehe er schon zwei Jahre später verstarb.
Oberbürgermeister Bruno Mann (1919-1933)
Bruno Mann steht als 1919 bis 1933 amtierender Oberbürgermeister für die bewegte Zeit der Weimarer Republik. Neben wirtschaftlich-soziale Krisen, politischen Radikalismus und Bürgerkrieg fallen in diese Zeit auch kulturelle Höhepunkte und städtebauliche Weiterentwicklung. Als liberaler Stadtvater versuchte Mann die Spannungen der Zeit auszugleichen, was freilich nicht immer gelang. 1933 drängten ihn die Nationalsozialisten aus dem Amt.
Bruno Mann wurde 1874 in Frankfurt/O. in der preußischen Provinz Brandenburg geboren. Nach verschiedenen Karrierestationen stieg er im Juni 1918 zum 2. Bürgermeister der noch selbstständigen Stadt Neukölln bei Berlin auf. Am 11. Oktober 1919 wählte die Erfurter Stadtverordnetenversammlung den studierten Rechts- und Staatswissenschaftler einstimmig zum Oberbürgermeister. Mann übernahm sein Amt in sehr unruhiger Zeit. Seit der Novemberrevolution 1918 war die Stadt von Streiks und Unruhen erschüttert worden. Der Kapp-Putsch vom Frühjahr 1920 bildete den Höhepunkt der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen linker Arbeiterschaft auf der einen, Bürgerwehr, Polizei und Militär auf der anderen Seite. Acht Tote und zahlreiche Verletzte waren zu beklagen. Die Bemühungen von OB Mann und Vertretern der gemäßigten Parteien im Stadtrat, die Situation zu entschärfen, blieben erfolglos. Erst ab 1924 kam es wieder zu einer Beruhigung der Situation, die mit dem relativen wirtschaftlichen Aufschwung der „Goldenen Zwanziger“ verbunden war. Die Stadt verwirklichte kommunale Großprojekte wie das Nordbad (1925) und das Stadion (1929). Das Städtische Museum wurde mit Unterstützung Manns zu einem Zentrum moderner Kunst. 1929 gelang es sogar, Erfurt mit einer Pädagogische Akademie wieder zur Hochschulstadt zu machen. Am 1. Dezember 1929 schrieb die „Mitteldeutsche Zeitung“ über Bruno Mann: „Ihm hat die Bürgerschaft tief zu danken, daß trotz der Nachkriegs- und Inflationsnöte Erfurt einen Aufschwung genommen hat, wie ihn nur wenige deutsche Städte zu verzeichnen haben.“ Um so unerbittlicher schlug die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929 auch in Erfurt zu. Zahlreiche Unternehmen mussten schließen oder Mitarbeiter entlassen. Das öffentliche Leben brach weitgehend zusammen, sogar die Pädagogische Akademie wurde schon 1932 wieder geschlossen. Im Sommer 1932 war mehr als jeder Dritte Erfurter arbeitslos. Vor diesem Hintergrund konnte auch der erfahrene Kommunalpolitiker Mann keine positiven Impulse mehr setzen, zumal der Stadt längst kein ausgeglichener Haushalt mehr gelang. Die tiefe Krisenstimmung und das Wiederaufleben der Unruhen mit Saal- und Straßenschlachten ließ die Nationalsozialisten v.a. für große Teile des Bürgertums schließlich als letzten Ausweg erscheinen. Mit 42,2 % stieg die NSDAP in der Reichstagswahl vom Juli 1932 in Erfurt zur weitaus stärksten Partei auf. Die „Machtergreifung“ Hitlers vom 30. Januar 1933 stieß so durchaus auf die Zustimmung breiter Bevölkerungskreise. Bruno Mann ließ sich wohl auch ein Stück weit von der Aufbruchstimmung mitreißen, so sehr er der NSDAP skeptisch gegenüber stand. Am 31. März 1933 sprach er zu den Stadtverordneten, er wolle „in feierlicher Weise den neuen nationalen Geist auch in unsere städtische Verwaltung, in unser Rathaus, Einzug halten lassen“. Am 18. Juni 1933 hielt der „nationale Geist“ tatsächlich im Rathaus Einzug. Nach einer Massenkundgebung vor tausenden begeisterten Erfurtern trug sich Ehrenbürger Adolf Hitler ins Goldene Buch der Stadt ein. Bruno Mann war freilich kein Oberbürgermeister mehr. Die neuen Machthaber hatten ihn zuvor in den Ruhestand gedrängt und den Nationalsozialisten Theodor Pichier an seine Stelle gesetzt.
Oberbürgermeister Walter Kießling (1936-1945)
Walter Kießling war Erfurts „kommunaler Führer“ in der Zeit des Nationalsozialismus. Selbstbewusst nutzte er seine Machtposition von 1936 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945. Sein Ehrgeiz ließ ihn die Stadtentwicklung im Dritten Reich energisch voran treiben. Freilich gehörte hierzu auch das Bestreben, Erfurt schneller als andere Städte „judenfrei“ zu bekommen.
Das Amt des Oberbürgermeisters bekam nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 zunehmend autoritäre Züge. Seit der neuen Reichsgemeindeordnung von 1935 amtierte das Stadtoberhaupt „in voller und ausschließlicher Verantwortung“. Die Stadtverordnetenversammlung wurde zugunsten eines nur noch „beratenden“ Ratsherrengremiums aufgelöst. Das „Führerprinzip“ setzte geeignete Führungspersönlichkeiten im Sinne der braunen Machthaber voraus. In dieser Hinsicht gestaltete sich die Entwicklung in Erfurt problematisch. Hatten die Oberbürgermeister seit Erlangung der Kreisfreiheit 1872 stets über Jahre erfolgreich amtiert, mussten die beiden ersten NS-Stadtoberhäupter Theodor Pichier (1933/34) und Max Zeitler (1935/36) jeweils nach kurzer Frist aufgrund von Skandalen zurücktreten. Im März 1936 übernahm schließlich Walter Kießling die Führung im Rathaus. Der 1892 in Tannroda geborene Jurist war seit 1930 aktives NSDAP-Mitglied. Er galt als „Verwaltungsfachmann und entschlossener Politiker, der sich für seine Ziele und Vorstellungen einsetzte“, so Historiker Eckart Schörle. Freilich richteten sich diese Vorstellungen im Sinne der NS-Ideologie u.a. gegen moderne Kunst und gegen die Juden der Stadt. Beiden sagte er entschieden den Kampf an. Museumsdirektor Herbert Kunze wurde auf sein Drängen hin 1937 entlassen, das Angermuseum verlor in der Aktion „entartete Kunst“ seine heute unschätzbar wertvolle Sammlung moderner Kunst. Für Kießling waren dies nur „übelste bolschewistische Machwerke“. In der „Judenfrage“ versuchte er, die Stadt Erfurt als Vorreiter zu profilieren. Von den alltäglichen Diskriminierungen bis hin zur Deportation in die Vernichtungslager zeigte sich Kießling sehr aktiv. Selbst der berüchtigte Sicherheitsdienst vermerkte in einem Bericht: „In der Judenfrage wollte K. gegenüber den zentral gelenkten Maßnahmen der Stapo eigene Wege gehen, um Erfurt baldmöglichst judenfrei hinstellen zu können.“ Unter OB Kießling sollte auch die Industriegroßstadt Erfurt weiter ihr Aussehen ändern. Zunächst waren es v.a. Kasernen, Militärkomplexe und Rüstungsbetriebe, die aus dem Boden schossen. Sie bildeten die Vorboten des vom NS-Staat ausgelösten Zweiten Weltkrieges 1939-45. Dieser Krieg griff ab Sommer 1940 durch immer häufigere Luftangriffe zerstörerisch ins Stadtbild ein, ca. 1600 Menschen verloren dabei ihr Leben. Der Oberbürgermeister konnte als „Leiter der Sofortmaßnahmen“ des Luftschutzes kaum mehr hiergegen tun, als durch Propaganda gegen die „englisch-amerikanischen Mordbrenner“ den Durchhaltewillen der Erfurter zu stärken. Am Ende des Krieges setzte sich Kießling jedoch für eine kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner ein. Dies hätte ihm beinahe den Kopf gekostet, da Kampfkommandant Oberst Otto Merkel die Stadt gemäß „Führerbefehl“ zu verteidigen gedachte. So nahmen die US-Truppen am 12. April 1945 Erfurt kämpfend ein, der von Merkel erlassene Erschießungsbefehl gegen Kießling wurde nicht vollstreckt. Diese Episode am Kriegsende hat dem überzeugten Nationalsozialisten den Weg zu einer geachteten Nachkriegsexistenz in der Bundesrepublik geebnet. 1949 wurde sein Entnazifizierungsverfahren mit „entlastet“ abgeschlossen. Als Rechtsanwalt gehörte Kießling bis zu seinem Tode 1966 zur geachteten Göttinger Honoratiorengesellschaft.
Oberbürgermeister Georg Boock (1946-1961)
Georg Boock hat als SED-Oberbürgermeister die Zeit der frühen DDR bis 1961 geprägt. Unter seiner Führung kam es zur „Gleichschaltung“ des politischen und gesellschaftlichen Lebens, wie schon die Umstände seiner Amtseinführung deutlich machen. Zugleich bestimmte er die Entwicklung der sozialistischen Großstadt, die im wirtschaftlichen und kulturell-wissenschaftlichen Bereich an Profil gewann.
Mit der Besetzung durch die US-Armee am 12. April 1945 war der Zweite Weltkrieg für Erfurt beendet. Nunmehr bestimmten den Alltag die Sorgen der Nachkriegszeit und die Herrschaft der am 3. Juli 1945 einmarschierten Sowjetbesatzer. Mit ihrer Hilfe entfaltete sich die Herrschaft der Kommunisten bzw. der im April 1946 gegründeten SED. Ihr Machtanspruch trat auch in Erfurt sehr rasch an die Oberfläche, wie die Oberbürgermeister-Frage zeigt. NS-Stadtoberhaupt Walter Kießling war zunächst von Geschäftsmann Otto Gerber abgelöst worden, an dessen Stelle unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling Hermann Jahn trat. Nach dessen Tod im Mai 1946 wurde das SED-Mitglied Georg Boock (1891-1961) in dieses Amt berufen. Der gebürtige Berliner hatte seit 1911 Erfahrungen als Kommunalpolitiker gesammelt. 1922 war er der SPD beigetreten. Im Dritten Reich noch 1944 zu einer Zuchthausstraße verurteilt, arbeitete er nach Kriegsende bis zu seiner Berufung nach Erfurt als Oberbürgermeister von Wurzen und trat der KPD bzw. SED bei. Die freien Kommunalwahlen in Erfurt vom 6. September 1946 gewannen jedoch die Bürgerparteien LDPD (41 %) und CDU (24 %), während die SED nur ein Drittel der Stimmen erringen konnte. Der neue Oberbürgermeister Paul Hach (LDPD) wurde daraufhin unter dem Vorwurf der Sabotage verhaftet und erst nach Verzicht auf den OB-Posten wieder freigelassen. So gelangte Georg Boock erneut an die Spitze der Stadtverwaltung. Doch dies war nur ein erster Vorgeschmack auf die totalitäre SED-Herrschaft im Erfurter Rathaus. Sie fügte sich ein in den „demokratischen Zentralismus“ der 1949 gegründeten DDR. Politisch-gesellschaftliche Umwälzungen und wirtschaftliche Probleme mündeten in den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der sich auch in Erfurt in zahlreichen Streiks und Protestkundgebungen äußerte. Schließlich konnte die DDR nur durch den Bau der Berliner Mauer 1961 vor dem Ausbluten gerettet werden. Unter den 2,7 Millionen „Republikflüchtlingen“ hatten sich viele Blumenstädter befunden, die in der Organisation „Heimattreue Erfurter“ im „Westen“ den Zusammenhalt pflegten. Die Stadtverwaltung unter Georg Boock konnte aber auch Erfolge vermelden. Ab 1948 übernahm Erfurt von Weimar die Hauptstadtrolle des Landes Thüringen. Mit der Auflösung der Länder 1952 wurde es Bezirksstadt. Als Hauptstadt des größten der drei thüringischen Bezirke nahm es eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Größtes Problem war die Wohnungsfrage, der man durch beschleunigten Wohnungsbau, Arbeiterwohnungsbau-Genossenschaften (AWG) und das freiwillige „Nationale Aufbauwerk“ (NAW) beizukommen suchte. Im wirtschaftlichen Bereich baute Erfurt seine Bedeutung als Industriestadt weiter aus. In Wissenschaft und Kultur brachte die Ära Boock wichtige Neugründungen wie die Pädagogische Hochschule (1953), die Medizinische Akademie (1954), den Thüringer Zoopark (1959) und die iga (1961). Letztlich wird man die Verdienste des ersten SED-Oberbürgermeisters nur unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen seiner Amtszeit in der SBZ bzw. frühen DDR angemessen würdigen können.