Erfurter Unionsparlament 175 Jubilaeum Prospect: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 2. Dezember 2025, 12:46 Uhr
175 Jahre Erfurter Unionsparlament 2025
2025 wurde mit dem Erfurter Unionsparlament von 1850 ein lange weitgehend vergessener Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte vielfältig gewürdigt.
Das Parlament der Deutschen Union im Erfurter Augustinerkloster vom 20. März bis 29. April 1850 gilt heute bei aller historischen Ambivalenz als ein Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte und des nationalen Einigungsprozesses. Das war bis in die jüngere Vergangenheit ganz anders. Das Unionsparlament hatte die Aufgabe, nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die Verfassung für einen deutschen Nationalstaat unter Führung Preußens und ohne Österreich zu debattieren und zu beschließen. Namhafte gemäßigte Liberale der Frankfurter Paulskirche und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Klein- und Mittelstaaten hatten sich auf diesen Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das Augustinerkloster her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte (Abb.: Stadtarchiv Erfurt). Die Liberalen hatten sich zuvor beim „Gothaer Nachparlament“ 1849 beraten und besaßen in Erfurt die Parlamentsmehrheit.
Die Erfurter Union, vorangetrieben vom preußischen Diplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch in der Olmützer Punktation 1850 am Widerspruch Österreichs und Russlands. Der Nationalstaat sollte erst unter Otto von Bismarck, der als junger Konservativer am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, mit der Reichsgründung „von oben“ auf kriegerischem Wege 1871 zustande kommen. Die an der Frankfurter Reichsverfassung festhaltenden Demokraten hatten 1850 die Wahlen boykottiert, die Konservativen die Unionsverfassung als Abkehr von legitimer monarchischer Herrschaft im Parlament abgelehnt. Für die Liberalen hatte das Scheitern der „Deutschen Union“ eine erneute politische Niederlage bedeutet. In der kollektiven Erinnerung trat so das Erfurter Unionsparlament rasch in den Hintergrund.
Nach ersten Annäherungen im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik hat sich erst nach 1990 eine differenziert-positive Sicht auf das Unionsparlament herausgebildet. Es rückte jetzt rasch in den Fokus der Forschung und der aus den Fesseln marxistischer Dogmatik befreiten Erfurter Stadthistoriografie. In einem Sammelband zum 1250. Stadtjubiläum 1992 legte DDR-Historiker Walter Schmidt die erste neuere Überblicksdarstellung vor. Den Durchbruch mit einer Reihe einschlägiger Publikationen brachte das 150. Jubiläum 2000. Erstmals widmete sich die Geschichtswissenschaft in komplexer Form den deutschlandpolitischen, parteiengeschichtlichen, verfassungspolitischen, nationalstaatlichen, parlamentarischen und personellen Aspekten. Hierbei galt es laut Gunther Mai, Lehrstuhlinhaber an der Universität Erfurt, „Unionsprojekt und Unionsparlament einer neuen Würdigung zu unterziehen“.
Das 175. Jubiläum 2025 war schließlich Anlass für eine noch breitenwirksamere „Wiederentdeckung“ im nationalen Rahmen ebenso, wie vor Ort. Über die Fachwelt hinaus sollte eine breite Öffentlichkeit erreicht werden. Schon im Vorfeld hatten Akteure wie die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (GEDG), die Historische Kommission für Thüringen, die Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen mit Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen und großer Medienresonanz für das demokratiegeschichtliche Ereignis sensibilisiert. Die Schauplätze wurden ins öffentliche Bewusstsein gerückt, die Tagungs- und Begegnungsstätte Evangelisches Augustinerkloster wurde von der Arbeitsgemeinschaft „Orte der Demokratiegeschichte“ 2023 offiziell zum nationalen „Ort der Demokratiegeschichte“ erhoben. GEDG und Historische Kommission widmeten in Kooperation mit der Stadt Gotha am 27./28. Juni 2024 eine Tagung in der Gedenkstätte „Tivoli“ dem „Gothaer Nachparlament“ 1849 als wichtiger Vorstufe zum Unionsparlament (siehe Prospect 24). Diese wird von der GEDG als Sammelband dokumentiert.
Einen medial breit aufgegriffenen Höhepunkt des Jubiläumsjahres 2025 bildete die Festveranstaltung der GEDG im Augustinerkloster, die von einer ökumenischen Andacht eingeleitet wurde. Als Festredner würdigte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bundestagspräsident a.D. Prof. Dr. Norbert Lammert, die große Bedeutung des Jubiläums. Grußworte des Präsidenten des Thüringer Landtags Dr. Thadäus König (CDU) und des Direktors der Bundesstiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte Dr. Kai-Michael Sprenger sowie viel Prominenz aus Politik und Gesellschaft haben dies unterstrichen. Im Weiteren kam ein Schauspielprojekt des Erfurter Jugendtheaters „Die Schotte“ erstmals zur Aufführung, welches das Unionsparlament als „Panoptikum“ unterschiedlicher Akteure darstellt. Am späten Nachmittag gab es öffentliche Schauspielszenen mit Katrin Heinke und Wolfgang Kaiser an vier Orten in der Erfurter Innenstadt, bei denen ein konservativer Abgeordneter und seine Tochter von einer Kutsche aus über Demokratie diskutieren. Die Szenen wurden von der GEDG mit Unterstützung der Otto-von-Bismarck-Stiftung Schönhausen organisiert.
Bereits einen Tag zuvor war die Einweihung der neuen Dauerausstellung im Augustinerkloster „Frust und Freiheit. Martin Luther 1505 – Erfurter Unionsparlament 1850 – Friedliche Revolution 1989“ erfolgt. Sie rückt in der traditionellen Lutherstätte erstmals den Fokus stärker auf die Demokratiegeschichte. Die am 18. März eröffnete Sonderausstellung im Stadtmuseum Erfurt „Das vergessene Parlament. 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 1850“ fand ebenfalls an authentischem Ort statt, residierte doch seinerzeit Joseph Maria von Radowitz im prächtigen „Haus zum Stockfisch“ als provisorischem Regierungssitz der Union. Die viel beachtete Ausstellung zeigt mit der Wahlurne des Unionsparlaments und der schwarz-rot-goldenen Schärpe des Erfurter Demokraten Hermann Alexander Berlepsch herausragende Symbole der frühen Demokratiegeschichte, wie sie nur noch selten materiell überliefert sind. Zur Ausstellung erschien eine reich bebilderte Begleitpublikation von Kurator und Historiker Dr. Steffen Raßloff.
Die von Historischer Kommission, GEDG und Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte in Kooperation mit dem Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt veranstaltete Tagung im Augustinerkloster „Das Erfurter Unionsparlament 1850. Zwischen demokratischem Aufbruch und Reaktionspolitik“ vom 20. bis 22. März brachte die wissenschaftliche Aufarbeitung und populärwissenschaftliche Verbreitung weiter erheblich voran. Zwei öffentliche Abendvorträge im Rathausfestsaal und im Augustinerkloster von Prof. Dr. Hans-Werner Hahn und Dr. Jan Markert fanden ein breites Echo. Die reichen Ergebnisse der Tagung sollen in einem Sammelband in der Reihe der Historischen Kommission veröffentlicht werden. All dies hat die Rezeption vor Ort und weit darüber hinaus auf ein deutlich höheres Niveau gehoben. Von einem „vergessenen Parlament“ kann jetzt keine Rede mehr sein.
Steffen Rassloff: 175 Jahre Erfurter Unionsparlament. Würdigungen für einen Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte. In: Prospect 25. Bulletin der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (2025). S. 102-105.
Siehe auch: Erfurter Unionsparlament 1850