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[[Datei:AngereckNeu.jpg| | [[Datei:AngereckNeu.jpg|350px|rechts]][[Datei:AngereckAlt.jpg|350px|rechts]]„De gustibus non est disputandum.“ Die Lateiner wollen damit sagen, dass man über Geschmack nicht streiten könne. Dieses Sprichwort hat sich bezeichnender Weise in der Form „Über Geschmack kann man streiten“ überliefert. Und kaum etwas erregt so die Gemüter wie Architektur im öffentlichen Raum. Der wohl größte Aufreger der Nachwendezeit war in Erfurt der Neubau des „Angerecks“. Für diesen musste ein erst 1979 errichteter DDR-Prestigebau weichen. Der massige Baukörper mit seinen auskragenden Obergeschossen dominiert den mittleren Bereich des Angers und stellt dabei manches historische Gebäude buchstäblich in den Schatten (Abb. 1). Das gilt nicht zuletzt für das gegenüber liegende Angermuseum. Selbst einige der Verantwortlichen räumen heute ein, dass der Neubau in Dimension und Form wohl nicht optimal ausgefallen ist. | ||
Die heutige platzartige Vergrößerung zwischen Hauptpost und Angereck ist dabei eine noch recht junge städtebauliche Situation. Sie datiert auf 1945. Schon am 20. Juli 1944 hatte der Angerbereich beim schlimmsten aller Luftangriffe auf Erfurt im Zweiten Weltkrieg Schaden genommen. Die US Air Force warf 314 Tonnen Bombenlast ab, wobei 284 Menschen ums Leben kamen. Es folgte verheerender Artilleriebeschuss unmittelbar vor der Einnahme der Stadt durch die Amerikaner am 12. April 1945. In Schutt und Asche lagen danach auch jene Häuser in der Schlösserstraße, die bis auf Höhe des Uhrenturmes der Hauptpost eine normale Straßenflucht gebildet hatten. Hier befand sich unter anderem das beliebte Konditorei-Café Horst Kohl. Über drei Jahrzehnte blieb das Gelände unbebaut. Erst die Pläne zur Umgestaltung des Angers als repräsentative Fußgängerzone für die DDR-Bezirksstadt brachten Abhilfe. | Die heutige platzartige Vergrößerung zwischen Hauptpost und Angereck ist dabei eine noch recht junge städtebauliche Situation. Sie datiert auf 1945. Schon am 20. Juli 1944 hatte der Angerbereich beim schlimmsten aller Luftangriffe auf Erfurt im Zweiten Weltkrieg Schaden genommen. Die US Air Force warf 314 Tonnen Bombenlast ab, wobei 284 Menschen ums Leben kamen. Es folgte verheerender Artilleriebeschuss unmittelbar vor der Einnahme der Stadt durch die Amerikaner am 12. April 1945. In Schutt und Asche lagen danach auch jene Häuser in der Schlösserstraße, die bis auf Höhe des Uhrenturmes der Hauptpost eine normale Straßenflucht gebildet hatten. Hier befand sich unter anderem das beliebte Konditorei-Café Horst Kohl. Über drei Jahrzehnte blieb das Gelände unbebaut. Erst die Pläne zur Umgestaltung des Angers als repräsentative Fußgängerzone für die DDR-Bezirksstadt brachten Abhilfe. | ||
Von 1977 bis 1979 entstand nach Entwürfen von Stadtarchitekt Walter Nitsch ein moderner Neubau, der die Lücke schloss (Abb. 2). Der 6-geschossige Stahlskelettbau mit Vorhangfassade wurde deutlich hinter die einstige Straßenflucht zurück genommen, so dass ein großzügiger Platz zur Hauptpost erhalten blieb. Der Neubau für das DDR-Reisebüro wurde gut aufgenommen. Das Café mit „moccabar“ im Obergeschoss samt Freiterrasse gehörte rasch zu den beliebtesten Treffpunkten. Aber es war wohl nicht nur Nostalgie im Spiel, als viele Erfurter den Abriss des Angerecks nach nur zwei Jahrzehnten bedauerten. War ein Neubau überhaupt nötig? Das neue Angereck nach Entwürfen des Architekturbüros Rhode, Kellermann und Wawrowsky erschien zudem als zu wuchtig. Es beherbergt seit seiner Fertigstellung 2000 eine große Buchhandlung, weitere Läden und Büroräume. (Fotos: Alexander Raßloff, Stadtarchiv Erfurt) | Von 1977 bis 1979 entstand nach Entwürfen von Stadtarchitekt Walter Nitsch ein moderner Neubau, der die Lücke schloss (Abb. 2). Der 6-geschossige Stahlskelettbau mit Vorhangfassade wurde deutlich hinter die einstige Straßenflucht zurück genommen, so dass ein großzügiger Platz zur Hauptpost erhalten blieb. Der Neubau für das DDR-Reisebüro wurde gut aufgenommen. Das Café mit „moccabar“ im Obergeschoss samt Freiterrasse gehörte rasch zu den beliebtesten Treffpunkten. Aber es war wohl nicht nur Nostalgie im Spiel, als viele Erfurter den Abriss des Angerecks nach nur zwei Jahrzehnten bedauerten. War ein Neubau überhaupt nötig? Das neue Angereck nach Entwürfen des Architekturbüros Rhode, Kellermann und Wawrowsky erschien zudem als zu wuchtig. Es beherbergt seit seiner Fertigstellung 2000 eine große Buchhandlung, weitere Läden und Büroräume. (Fotos: Alexander Raßloff, Stadtarchiv Erfurt) | ||
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Bauwerke]]''', '''[[Anger]]''' | Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Bauwerke]]''', '''[[Anger]]''' |
Aktuelle Version vom 2. Oktober 2022, 07:06 Uhr
Angereck
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (29.11.2014)
Umstrittene Ecke
DENKMALE IN ERFURT (174): Das „Angereck“ hat mehrfach sein Aussehen gewandelt und erfreut heute nicht alle Betrachter.
„De gustibus non est disputandum.“ Die Lateiner wollen damit sagen, dass man über Geschmack nicht streiten könne. Dieses Sprichwort hat sich bezeichnender Weise in der Form „Über Geschmack kann man streiten“ überliefert. Und kaum etwas erregt so die Gemüter wie Architektur im öffentlichen Raum. Der wohl größte Aufreger der Nachwendezeit war in Erfurt der Neubau des „Angerecks“. Für diesen musste ein erst 1979 errichteter DDR-Prestigebau weichen. Der massige Baukörper mit seinen auskragenden Obergeschossen dominiert den mittleren Bereich des Angers und stellt dabei manches historische Gebäude buchstäblich in den Schatten (Abb. 1). Das gilt nicht zuletzt für das gegenüber liegende Angermuseum. Selbst einige der Verantwortlichen räumen heute ein, dass der Neubau in Dimension und Form wohl nicht optimal ausgefallen ist.
Die heutige platzartige Vergrößerung zwischen Hauptpost und Angereck ist dabei eine noch recht junge städtebauliche Situation. Sie datiert auf 1945. Schon am 20. Juli 1944 hatte der Angerbereich beim schlimmsten aller Luftangriffe auf Erfurt im Zweiten Weltkrieg Schaden genommen. Die US Air Force warf 314 Tonnen Bombenlast ab, wobei 284 Menschen ums Leben kamen. Es folgte verheerender Artilleriebeschuss unmittelbar vor der Einnahme der Stadt durch die Amerikaner am 12. April 1945. In Schutt und Asche lagen danach auch jene Häuser in der Schlösserstraße, die bis auf Höhe des Uhrenturmes der Hauptpost eine normale Straßenflucht gebildet hatten. Hier befand sich unter anderem das beliebte Konditorei-Café Horst Kohl. Über drei Jahrzehnte blieb das Gelände unbebaut. Erst die Pläne zur Umgestaltung des Angers als repräsentative Fußgängerzone für die DDR-Bezirksstadt brachten Abhilfe.
Von 1977 bis 1979 entstand nach Entwürfen von Stadtarchitekt Walter Nitsch ein moderner Neubau, der die Lücke schloss (Abb. 2). Der 6-geschossige Stahlskelettbau mit Vorhangfassade wurde deutlich hinter die einstige Straßenflucht zurück genommen, so dass ein großzügiger Platz zur Hauptpost erhalten blieb. Der Neubau für das DDR-Reisebüro wurde gut aufgenommen. Das Café mit „moccabar“ im Obergeschoss samt Freiterrasse gehörte rasch zu den beliebtesten Treffpunkten. Aber es war wohl nicht nur Nostalgie im Spiel, als viele Erfurter den Abriss des Angerecks nach nur zwei Jahrzehnten bedauerten. War ein Neubau überhaupt nötig? Das neue Angereck nach Entwürfen des Architekturbüros Rhode, Kellermann und Wawrowsky erschien zudem als zu wuchtig. Es beherbergt seit seiner Fertigstellung 2000 eine große Buchhandlung, weitere Läden und Büroräume. (Fotos: Alexander Raßloff, Stadtarchiv Erfurt)
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Bauwerke, Anger