Erfurter Republik: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Datei:WappenWeimarerRepublik.png| | [[Datei:WappenWeimarerRepublik.png|180px|right]]Das Bauhausjubiläum 2009 rückt auch die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom Juli 1919 in den Fokus der Erinnerungskultur. Dabei sollte man sich eine fast schon vergessene Episode der Erfurter Stadtgeschichte in Erinnerung rufen, die weitreichende Folgen hätte haben können. Sieben Jahrzehnte nach dem Erfurter Unionsparlament von 1850 nahm die “heimliche Hauptstadt” Thüringens noch einmal Anlauf, deutsche Hauptstadt- bzw. Parlamentswürden zu erlangen. Infolge der Novemberrevolution 1918 galt es, dem Deutschen Reich eine neue Verfassung zu geben. Diese Aufgabe sollte eine Nationalversammlung übernehmen, für die man angesichts der Unruhen in Berlin einen Tagungsort suchte. Eine Reihe von Städten bewarb sich hierfür, darunter auch Erfurt. Am 30. November 1918 bildete die Stadtverordnetenversammlung einen Ausschuss, auf dessen Initiative hin der Magistrat am 5. Dezember einen Brief an den Volksbeauftragten Friedrich Ebert schickte: „Für die Tagung der Nationalversammlung, die nicht in Berlin, sondern in einer Stadt Mitteldeutschlands stattfinden soll, bringen wir Erfurt in Vorschlag. Die Versammlung würde in der hiesigen Predigerkirche stattfinden.“ | ||
In einem Schreiben vom selben Tag unterstützte auch der revolutionäre Erfurter Arbeiter- und Soldatenrat das Ansinnen der Stadtväter. Ausdrücklich verwies er „auf die historische Bedeutung Erfurts als Kongressort“, womit man „nicht nur das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie“ von 1891 meinte, sondern „auch sehr wichtige andere Kongresse, den Fürstenkongress im Jahre 1808 und das Vorparlament des Jahres 1848“. In der Folge übersandte der Magistrat Fotos und Pläne des Predigerkloster-Komplexes, skizzierte nötige Umbauarbeiten, listete Unterkunftsmöglichkeiten auf. Kurzzeitig herrschte freudige Erwartungshaltung. Die Lokalpresse griff positive Signale auf, etwa einen Artikel der „Münchener Neuesten Nachrichten“, der Erfurt sogar schon als „Die künftige Hauptstadt Deutschlands“ handelte. | In einem Schreiben vom selben Tag unterstützte auch der revolutionäre Erfurter Arbeiter- und Soldatenrat das Ansinnen der Stadtväter. Ausdrücklich verwies er „auf die historische Bedeutung Erfurts als Kongressort“, womit man „nicht nur das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie“ von 1891 meinte, sondern „auch sehr wichtige andere Kongresse, den Fürstenkongress im Jahre 1808 und das Vorparlament des Jahres 1848“. In der Folge übersandte der Magistrat Fotos und Pläne des Predigerkloster-Komplexes, skizzierte nötige Umbauarbeiten, listete Unterkunftsmöglichkeiten auf. Kurzzeitig herrschte freudige Erwartungshaltung. Die Lokalpresse griff positive Signale auf, etwa einen Artikel der „Münchener Neuesten Nachrichten“, der Erfurt sogar schon als „Die künftige Hauptstadt Deutschlands“ handelte. |
Version vom 5. Februar 2021, 15:25 Uhr
Bewerbung um die Nationalversammlung 1919
Beitrag der Serie Bauhausjubiläum 2009 der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (31.01.2009)
Die verhinderte "Erfurter Republik"
Bauhausjubiläum 2009 (10): Erfurt bewarb sich 1918 erfolglos als Sitz der Nationalversammlung
Die Weimarer Republik hätte auch eine Erfurter Republik werden können. Die Bewerbung als Sitz der Nationalversammlung nach der Novemberrevolution 1918 scheiterte jedoch. Die Verfassung der ersten deutschen Republik wurde statt dessen im benachbarten Weimar ausgearbeitet.
Das Bauhausjubiläum 2009 rückt auch die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom Juli 1919 in den Fokus der Erinnerungskultur. Dabei sollte man sich eine fast schon vergessene Episode der Erfurter Stadtgeschichte in Erinnerung rufen, die weitreichende Folgen hätte haben können. Sieben Jahrzehnte nach dem Erfurter Unionsparlament von 1850 nahm die “heimliche Hauptstadt” Thüringens noch einmal Anlauf, deutsche Hauptstadt- bzw. Parlamentswürden zu erlangen. Infolge der Novemberrevolution 1918 galt es, dem Deutschen Reich eine neue Verfassung zu geben. Diese Aufgabe sollte eine Nationalversammlung übernehmen, für die man angesichts der Unruhen in Berlin einen Tagungsort suchte. Eine Reihe von Städten bewarb sich hierfür, darunter auch Erfurt. Am 30. November 1918 bildete die Stadtverordnetenversammlung einen Ausschuss, auf dessen Initiative hin der Magistrat am 5. Dezember einen Brief an den Volksbeauftragten Friedrich Ebert schickte: „Für die Tagung der Nationalversammlung, die nicht in Berlin, sondern in einer Stadt Mitteldeutschlands stattfinden soll, bringen wir Erfurt in Vorschlag. Die Versammlung würde in der hiesigen Predigerkirche stattfinden.“
In einem Schreiben vom selben Tag unterstützte auch der revolutionäre Erfurter Arbeiter- und Soldatenrat das Ansinnen der Stadtväter. Ausdrücklich verwies er „auf die historische Bedeutung Erfurts als Kongressort“, womit man „nicht nur das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie“ von 1891 meinte, sondern „auch sehr wichtige andere Kongresse, den Fürstenkongress im Jahre 1808 und das Vorparlament des Jahres 1848“. In der Folge übersandte der Magistrat Fotos und Pläne des Predigerkloster-Komplexes, skizzierte nötige Umbauarbeiten, listete Unterkunftsmöglichkeiten auf. Kurzzeitig herrschte freudige Erwartungshaltung. Die Lokalpresse griff positive Signale auf, etwa einen Artikel der „Münchener Neuesten Nachrichten“, der Erfurt sogar schon als „Die künftige Hauptstadt Deutschlands“ handelte.
Freilich ließ Berlin auf ein erstes Dankschreiben nichts mehr von sich hören. Daher drängte der Magistrat auf eine Entscheidung, da „die Zeit für die nötigen Bauausführungen kurz bemessen sein“ wird. Am 22. Januar 1919 musste der „Erfurter Allgemeine Anzeiger“ schließlich enttäuscht vermelden: „Weimar Ort der Nationalversammlung“. Wesentlich für die Entscheidung gegen Erfurt dürfte der Charakter als unruhige Großstadt mit einem Heer von Industrieproletariern gewesen sein – gerade davor war man aus Berlin gewichen. Die beschauliche Kultur- und Beamtenstadt Weimar dagegen galt als sicherer Zufluchtsort, und man konnte sich auf den humanistischen „Geist von Weimar“ berufen. So traten vor 90 Jahren, am 6. Februar 1919, die Abgeordneten der Nationalversammlung erstmals im Weimarer Hoftheater zusammen und verabschiedeten im Juli die Verfassung der Weimarer Republik – und nicht der Erfurter Republik. (Abbildung: Wappen des Deutschen Reiches von 1919, David Liuzzo)
Lesetipp:
Steffen Raßloff: Die verhinderte Erfurter Republik. Erfurt und die Nationalversammlung. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 88 f.
Siehe auch: Nationalversammlung, 100. Jubiläum 2019, Erfurt in der Weimarer Republik, Landeshauptstadt Erfurt, Geschichte Erfurts