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Version vom 12. April 2018, 06:48 Uhr
Oberbürgermeister der Stadt Erfurt seit 1872
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2006)
Vom Obervierherrn zum Oberbürgermeister
Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts hatte Erfurt seinem Landesherren, dem Erzbischof von Mainz, wachsende Autonomie bis hin zur faktischen Selbständigkeit des "Landes Erfurt" abgetrotzt. Dabei besaßen jedoch nur wenige wohlhabende Bürgerfamilien Zugang zum Stadtrat, ganz zu schweigen von den städtischen Spitzenämtern. Freilich war es nicht immer einfach, sich über die Bevölkerungsmehrheit hinwegzusetzen. Das zeigte sich etwa im "Tollen Jahr von Erfurt" 1509/10, als eine erregte Menge vom Obervierherrn Heinrich Kellner im Rathaus Rechenschaft über die katastrophale Verschuldung der Stadt forderte. Als dieser mit patrizischem Selbstbewusstsein dem "Pöbel" auf sich selbst zeigend sein "Hier steht die Gemeinde!" entgegen geschleudert hatte (siehe Abb.), endete seine Karriere prompt mit Folter und Hinrichtung.
Die Macht des Rates sank zudem mit dem schleichenden Bedeutungsverlust der Stadt, gipfelnd in der Unterwerfung unter Mainz 1664. Erst mit dem Übergang an Preußen 1802/15 begann im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ein allmählicher Wiederaufstieg. 1872 erfolgte die Erhebung Erfurts zur kreisfreien Stadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze. Wer deren Verwaltung leitete, bestimmte aber weiterhin nur ein kleiner Zirkel honoriger Bürger. Denn bis 1918 bevorteilte das preußische Dreiklassenwahlrecht bei der Kommunalwahl Bürger mit hohem Steueraufkommen. Zudem besaßen nur wenige Erfurter das notwendige Bürgerrecht, noch 1914 waren es ganze 14,5%. Ins Rathaus gewählt wurden so Honoratioren von "Besitz und Bildung", Unternehmer, Bankiers, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, wohlhabende Handwerker. Seit der Entfestigung 1873 entwickelte sich Erfurt rasant zur Industriemetropole, deren Verwaltung immer komplexere Fachkenntnise erforderte. Zum OB beriefen die Stadtväter daher Justiz- und Verwaltungsexperten. Die Oberbürgermeister Richard Breslau (1872-89), Gustav Schneider (1890-95) und Hermann Schmidt (1895-1919) haben sich auf Erfurts Weg zur modernen Großstadt bleibende Verdienste erworben. Allein in die Amtszeit Breslaus fallen so wichtige Neuerungen wie Flutgraben und Ringstraße (heutiger Gagarin-Ring), Elektrifizierung, Städtisches Krankenhaus, Wasserleitung, Kanalisation, Straßenbahn oder Telefonnetz.
Auch in der Weimarer Republik leitete mit Bruno Mann (1919-33) ein Fachmann "alter Schule" die Geschicke der Stadt. Mann war jedoch der erste, der von einer frei gewählten Stadtverordnetenversammlung ins Amt berufen wurde. Er versuchte in jener unruhigen Zeit als überparteiischer Stadtvater ausgleichend auf die verfeindeten Lager nicht nur im Rathaus einzuwirken. So gehörte er etwa während des blutigen Kapp-Putsches 1920, der in Erfurt acht Tote und viele Verletzte forderte, zu den besonnenen Politikern, die um eine Beruhigung der Lage rangen. Nach der "Machtergreifung" Hitlers 1933 herrschten die Oberbürgermeister als "lokale Führer" uneingeschränkt über die Stadt. Ihre Amtsführung besaß keinerlei demokratische Legitimierung mehr. Nach Theodor Pichier (1933-35) und Max Zeitler (1935/36) bestimmte fast ein Jahrzehnt lang der berüchtigte NSDAP-Oberbürgermeister Walter Kießling (1936-1945) die Geschicke Erfurts.
Danach wechselten die Oberbürgermeister zunächst in kurzer Folge. Auf den von den US-Truppen im April 1945 eingesetzten Geschäftsmann Otto Gerber folgte unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling Hermann Jahn, nach dessen Tod im Mai 1946 das SED-Mitglied Georg Boock. Die freien Kommunalwahlen vom September 1946 gewannen jedoch die liberale LDPD (41 %) und die CDU (24 %), während die SED nur auf ein Drittel der Stimmen kam. Der neue Oberbürgermeister Paul Hach (LDPD) wurde daraufhin verhaftet und erst nach Verzicht auf sein Amt wieder freigelassen. Von da an brauchten die SED-Oberbürgermeister Georg Boock (1946-61), Rolf-Dietrich Nottrodt (1961-69), Heinz Scheinpflug (1969-82) und Rosemarie Seibert (1982-89) keine Angst mehr vor "falschen" Wählerentscheidungen zu haben. Nach der "Wende", während der kurzzeitig Übergangs-OB Siegfried Hirschfeld (SED/PDS) amtierte, gelangte der zur CDU übergetretene Bürgerrechtler Manfred O. Ruge im Mai 1990 auf demokratischem Wege in sein Amt. Der gebürtige Blumenstädter profilierte sich im wiederaufblühenden Erfurt der Nachwendezeit zum anerkannten Stadtvater. Ruge konnte sich in den OB-Wahlen 1994 und 2000 mit absoluter Mehrheit behaupten. Seit 2006 amtiert mit Andreas Bausewein erstmals ein Sozialdemokrat als Oberbürgermeister. Er konnte sein Amt 2012 bereits im ersten Wahlgang mit fast 60 % der Wählerstimmen gegen sechs Mitbewerber behaupten.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Oberbürgermeister in Erfurt
Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 11.04.2018