Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße: Unterschied zwischen den Versionen

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'''In der Andreasstraße, Ecke Domplatz, befindet sich eine Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit'''
'''Beitrag der Serie [[Denkmale in Erfurt|Denkmale in Erfurt]] aus der Thüringer Allgemeine von [[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]] (03.05.2014)'''




[[Datei:GedenkstätteAndreasstraße.jpg|400px|right]][[Datei:GedenkstätteAndreasstraße2.jpg|400px|right]]Kaum eine Straße ruft bei Erfurtern, die die DDR-Zeit bewusst erlebt haben, so deutliche Assoziationen hervor, wie die Andreasstraße. Fast vier Jahrzehnte stand sie als Sitz der Bezirksverwaltung und einer Untersuchungshaftanstalt synonym für die „Stasi“. Als „Schild und Schwert der Partei“ bildete das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das wichtigste Herrschaftsinstrument der SED. Von der Andreasstraße aus verbreitete es in Erfurt jenes typische Klima von Angst und Verunsicherung, auch wenn der größte Teil der Bevölkerung nicht der direkten Repression des MfS ausgesetzt war.   
'''Vom Händlerviertel zum Stasiknast'''


Über Jahrhunderte befand sich allerdings auf dem heutigen Gedenkstättengelände am Fuße des Petersberges ein Handwerker- und Händlerviertel ähnlich dem angrenzenden Andreasviertel. Dieses wurde bei der '''[[Belagerung_Erfurt_1813/14|Beschießung Erfurts]]''' am 6. November 1813 während der Befreiungskriege zerstört und anschließend nicht wieder aufgebaut. Der erst seither in seinen heutigen Dimensionen existierende Domplatz diente nun u.a. den '''[[Preussen Erfurt|Preußen]]''' als Exerzierplatz. Nördlich davon entstand die Grünanlage „Louisenthal“. Sie verschwand schließlich mit dem Bau des preußischen Landgerichtes und der dazugehörigen Haftanstalt 1878/79. Bis 1945 befand sich hier unter verschiedenen politischen Systemen der Sitz eines Landgerichtes.
DENKMALE IN ERFURT (147): Die Gedenkstätte in der Andreasstraße steht auf historischem Boden.  


Auch nach 1945 fungierte der Komplex in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone bzw. frühen DDR weiterhin als Gericht mit U-Haft. Mit der Auflösung der Länder in der DDR 1952 wurden aus dem bisherigen '''[[Geschichte Thüringens|Land Thüringen]]''' die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Dementsprechend fungierte das Gerichtsgebäude nunmehr als Bezirksgericht Erfurt. Gleichzeitig bezog das MfS in dem heutigen Polizeigebäude in der Andreasstraße seine neue Bezirksverwaltung (BV). Fortan teilten sich Innenministerium bzw. Volkspolizei und MfS die dazwischen liegende Untersuchungshaftanstalt. Keller und Erdgeschoss waren der VP zugeordnet, 1. und 2. Obergeschoss dem MfS.   


Ein langer und teilweise turbulenter Prozess mündete nach 1989/90 schließlich in die am 4. Dezember 2013 eröffnete Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße. Sie erinnert an Unterdrückung und Widerstand während der SED-Diktatur in Thüringen 1949-1989. Die Gedenkstätte ist zum einen den mehr als 5000 Menschen gewidmet, die hier aus politischen Gründen inhaftiert waren. Sie will aber auch in der Dauerausstellung „Haft – Diktatur – Revolution“ einen breiteren historischen Rahmen abstecken. Dabei greift sie den wichtigen Umstand auf, dass am 4. Dezember 1989 in Erfurt die Freiheit symbolträchtig triumphierte: Mutige Erfurter Bürger hatten während der '''[[Friedliche_Revolution_und_Landesgründung_in_Thüringen_1989/90|friedlichen Revolution]]''' mit DDR-weiter Vorbildwirkung erstmals eine '''[[Besetzung_MfS_Bezirksverwaltung_Erfurt_1989|Stasi-Zentrale besetzt]]''' und damit die letzte Bastion der SED-Herrschaft gestürmt.
[[Datei:BGA.1.jpg|380px|right]]Keine andere Straße ruft bei älteren Erfurtern so deutliche Assoziationen hervor, wie die Andreasstraße. Fast vier Jahrzehnte stand sie als Sitz der Bezirksverwaltung und einer Haftanstalt synonym für die „Stasi“. Von hier aus verbreitete das Ministerium für Staatssicherheit jenes typische Klima von Angst und Verunsicherung, auch wenn der größte Teil der Bevölkerung nicht direkten Repressionen ausgesetzt war. Über Jahrhunderte hatte sich allerdings auf dem Gelände am Fuße des Petersberges ein Handwerker- und Händlerviertel befunden. An der Frontseite zum Domplatz, die bis auf die Höhe der Domstufen heran reichte, standen prächtige Bürgerhäuser. Dieses Viertel wurde bei der Beschießung Erfurts am 6. November 1813 während der Befreiungskriege zerstört. Erst seither besitzt der Domplatz seine ungewöhnlich große Ausdehnung. Nördlich davon entstand die Grünanlage „Louisental“. Sie verschwand schließlich mit dem Bau des preußischen Landgerichtes und der dazugehörigen Haftanstalt 1879.  


(Text und Fotos: '''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')
Auch nach 1945 fungierte der Komplex weiterhin als Gericht mit Untersuchungshaftanstalt. Mit der Auflösung der Länder in der DDR 1952 wurden aus dem bisherigen Land Thüringen die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Dementsprechend fungierte das Gerichtsgebäude nunmehr als Bezirksgericht Erfurt. Gleichzeitig bezog das MfS in dem heutigen Polizeigebäude in der Andreasstraße seine neue Bezirksverwaltung. Fortan teilten sich Innenministerium bzw. Volkspolizei und MfS die dazwischen liegende Untersuchungshaftanstalt. Keller und Erdgeschoss waren der Polizei zugeordnet, 1. und 2. Obergeschoss dem MfS. Ein langer und turbulenter Prozess mündete nach 1989 schließlich in die am 4. Dezember 2013 eröffnete Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in der ehemaligen Haftanstalt. Sie erinnert an Unterdrückung und Widerstand in Thüringen 1949-1989.  


Die Gedenkstätte ist zum einen den mehr als 5000 Menschen gewidmet, die hier aus politischen Gründen inhaftiert waren. Sie will aber auch in der Dauerausstellung „Haft – Diktatur – Revolution“ einen breiteren historischen Rahmen abstecken. Dabei greift sie den wichtigen Umstand auf, dass am 4. Dezember 1989 in Erfurt die Freiheit symbolträchtig triumphierte: Mutige Erfurter Bürger hatten während der friedlichen Revolution erstmals eine Stasi-Zentrale besetzt und damit die letzte Bastion der SED-Herrschaft gestürmt. Hieran erinnert neben der älteren Erinnerungstafel an der benachbarten Stasi-Zentrale nunmehr auch im Eingangsbereich der Gedenkstätte eine Gedenktafel unter dem Motto „Aus den Fesseln der Angst befreien“. Links daneben ist eine von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und der Stadt Erfurt gestiftete Gedenktafel für die politischen Häftlinge angebracht. (Foto: Alexander Raßloff)


Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Besetzung_MfS_Bezirksverwaltung_Erfurt_1989|Stasi-Besetzung 1989]]''', '''[http://www.stiftung-ettersberg.de/andreasstrasse/ Gedenkstätte Andreasstraße]'''
 
'''Lesetipps:'''
 
Steffen Raßloff: '''Aus den Fesseln der Angst befreit. Die Stasi-Besetzung in Erfurt 1989.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 112 f.
 
Steffen Raßloff: '''[[Friedliche_Revolution_und_Landesgründung_in_Thüringen_1989/90|Friedliche Revolution und Landesgründung in Thüringen 1989/90]]'''. Erfurt 2009 (7. Auflage 2022).
 
Steffen Raßloff: '''[[Stasi Besetzung Erfurt 4. Dezember 1989|"Aus den Fesseln der Angst befreit." Die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt am 4. Dezember 1989]]'''. In: TOP Magazin Thüringen 4/2019, S. 20 f.
 
 
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Besetzung_MfS_Bezirksverwaltung_Erfurt_1989|Stasi-Besetzung 1989]]''', '''[[Runder Tisch Erfurt]]''', '''[[Erfurter Geschichtsmuseen]]''', '''[[Belagerung_Erfurt_1813/14|Beschießung 1813]]''', '''[[Grünanlage Louisental am Domplatz|Grünanlage Louisental]]''', '''[[Andreasstraße]]'''

Aktuelle Version vom 27. Oktober 2022, 12:30 Uhr

Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße

Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (03.05.2014)


Vom Händlerviertel zum Stasiknast

DENKMALE IN ERFURT (147): Die Gedenkstätte in der Andreasstraße steht auf historischem Boden.


BGA.1.jpg

Keine andere Straße ruft bei älteren Erfurtern so deutliche Assoziationen hervor, wie die Andreasstraße. Fast vier Jahrzehnte stand sie als Sitz der Bezirksverwaltung und einer Haftanstalt synonym für die „Stasi“. Von hier aus verbreitete das Ministerium für Staatssicherheit jenes typische Klima von Angst und Verunsicherung, auch wenn der größte Teil der Bevölkerung nicht direkten Repressionen ausgesetzt war. Über Jahrhunderte hatte sich allerdings auf dem Gelände am Fuße des Petersberges ein Handwerker- und Händlerviertel befunden. An der Frontseite zum Domplatz, die bis auf die Höhe der Domstufen heran reichte, standen prächtige Bürgerhäuser. Dieses Viertel wurde bei der Beschießung Erfurts am 6. November 1813 während der Befreiungskriege zerstört. Erst seither besitzt der Domplatz seine ungewöhnlich große Ausdehnung. Nördlich davon entstand die Grünanlage „Louisental“. Sie verschwand schließlich mit dem Bau des preußischen Landgerichtes und der dazugehörigen Haftanstalt 1879.

Auch nach 1945 fungierte der Komplex weiterhin als Gericht mit Untersuchungshaftanstalt. Mit der Auflösung der Länder in der DDR 1952 wurden aus dem bisherigen Land Thüringen die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Dementsprechend fungierte das Gerichtsgebäude nunmehr als Bezirksgericht Erfurt. Gleichzeitig bezog das MfS in dem heutigen Polizeigebäude in der Andreasstraße seine neue Bezirksverwaltung. Fortan teilten sich Innenministerium bzw. Volkspolizei und MfS die dazwischen liegende Untersuchungshaftanstalt. Keller und Erdgeschoss waren der Polizei zugeordnet, 1. und 2. Obergeschoss dem MfS. Ein langer und turbulenter Prozess mündete nach 1989 schließlich in die am 4. Dezember 2013 eröffnete Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in der ehemaligen Haftanstalt. Sie erinnert an Unterdrückung und Widerstand in Thüringen 1949-1989.

Die Gedenkstätte ist zum einen den mehr als 5000 Menschen gewidmet, die hier aus politischen Gründen inhaftiert waren. Sie will aber auch in der Dauerausstellung „Haft – Diktatur – Revolution“ einen breiteren historischen Rahmen abstecken. Dabei greift sie den wichtigen Umstand auf, dass am 4. Dezember 1989 in Erfurt die Freiheit symbolträchtig triumphierte: Mutige Erfurter Bürger hatten während der friedlichen Revolution erstmals eine Stasi-Zentrale besetzt und damit die letzte Bastion der SED-Herrschaft gestürmt. Hieran erinnert neben der älteren Erinnerungstafel an der benachbarten Stasi-Zentrale nunmehr auch im Eingangsbereich der Gedenkstätte eine Gedenktafel unter dem Motto „Aus den Fesseln der Angst befreien“. Links daneben ist eine von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und der Stadt Erfurt gestiftete Gedenktafel für die politischen Häftlinge angebracht. (Foto: Alexander Raßloff)


Lesetipps:

Steffen Raßloff: Aus den Fesseln der Angst befreit. Die Stasi-Besetzung in Erfurt 1989. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 112 f.

Steffen Raßloff: Friedliche Revolution und Landesgründung in Thüringen 1989/90. Erfurt 2009 (7. Auflage 2022).

Steffen Raßloff: "Aus den Fesseln der Angst befreit." Die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt am 4. Dezember 1989. In: TOP Magazin Thüringen 4/2019, S. 20 f.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Stasi-Besetzung 1989, Runder Tisch Erfurt, Erfurter Geschichtsmuseen, Beschießung 1813, Grünanlage Louisental, Andreasstraße