Serie Luther und Erfurt

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Lutherstadt Erfurt

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2010)


Lutherstadt Erfurt

Zahlreiche Orte und Einrichtungen erinnern in Erfurt an Martin Luther

Der Ruf Erfurts als wichtiger Luther-Erinnerungsort will gepflegt sein. Die “Lutherdekade” bis zum 500. Reformationsjubiläum 2017 bietet hierfür die ideale Gelegenheit. In einer Serie möchte die TA unter die Lupe nehmen, wie sich Erfurt mit seinen authentischen Orten, Museen und Denkmalen auf dieses Großereignis vorbereitet.

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Der Ruf Erfurts als Lutherstadt scheint manchem unerschütterlich wie der bronzene Luther vor der Kaufmannskirche. So geriet gar das Kulturjahr 2010/11 “Luther - Der Aufbruch” mit Bezug auf dessen Romreise 1510/11 durch die Haushaltsprobleme zeitweise auf die Streichliste. Die Reaktionen hierauf haben gezeigt, dass dies der falsche Weg ist. Erfurt muss sein größtes historisches Gut pflegen. Zudem putzen sich die Lutherorte von Eisenach bis Schmalkalden mit Blick auf 2017 heraus, von der Wartburg und den Lutherstätten in Sachsen-Anhalt mit ihrem UNESCO-Welterbestatus ganz zu schweigen. Umso mehr gilt es also, das große Potenzial abzurufen, Luther hohe kulturpolitische Beachtung zu schenken. Denn so vielfältig unser Erbe ist, besitzt doch kein anderes Thema diese internationale Zugkraft, nicht zuletzt für den Tourismus. Vielen Verantwortlichen ist das durchaus bewusst. Die unglücklichen Diskussionen um das mittlerweile gesicherte Kulturjahr 2010/11 sollten nämlich nicht darüber hinweg täuschen, dass wichtige Projekte auf den Weg gebracht wurden, um das Profil der Lutherstadt Erfurt weiter zu schärfen. Insbesondere rund um das lateinische Viertel ist viel in Bewegung. Die Stadt des Studenten und Magisters wird bald wieder sehr viel greifbarere Gestalt annehmen. Mit dem Collegium maius in der Michaelisstraße, ehemaliges Hauptgebäude der Universität Luthers und künftiger Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche, erhält das lateinische Viertel bis 2011 sein Herzstück zurück. Nur einen Steinwurf entfernt wird die Georgenburse in der Augustinerstraße als “Studienort der Lutherzeit” und Pilgerherberge wiederbelebt. Sie diente Luther wahrscheinlich als “Studentenwohnheim”. Einblicke in das Universitätsleben zur Lutherzeit bietet übrigens auch der Erfurter Geschichtsverein auf seiner öffentlichen Fachtagung am Samstag, dem 24. April, was zugleich den Auftakt des Luther-Doppeljahres markiert. Wiederum in Sichtweite der Georgenburse liegt mit dem Augustinerkloster der wohl wichtigste Erinnerungsort, wo aus dem Jurastudenten ein Mönch wurde. Luthers Kloster gewinnt als renommierte Tagungs- und Begegnungsstätte weiter an baulicher Gestalt. Noch in diesem Jahr kann die komplexe Rekonstruktion mit der ehemaligen Bibliothek abgeschlossen werden. Die neue Dauerausstellung im Stadtmuseum soll ab 2011 Luther in den Kontext der Stadtgeschichte einbinden und als museale “Spinne im Netz” auf die authentischen Orte verweisen (Abb. Stadtmuseum Erfurt, Foto: Dirk Urban). Hier wird die Handels- und Kulturmetropole, in der Luther seine geistige Prägung erhielt, in beeindruckender Form anschaulich gemacht. Wenn auch unbefriedigende Situationen, wie etwa das Umfeld des Luthersteines bei Stotternheim, energisch angegangen werden, muss einem vor dem Reformationsjubiläum 2017 nicht bange werden.

(TA vom 10.04.2010)


Luthers geistige Mutter

Lutherstadt Erfurt (2): Das Collegium maius war der Hauptsitz von Luthers Universität

Im Collegium maius in der Michaelisstraße residierte einst die Universität Erfurt. In diesem geistigen Zentrum von europäischem Rang legte auch Martin Luther die Basis für sein späteres Wirken als Reformator. Das 1945 zerstörte Gebäude wird bis 2011 als Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche rekonstruiert.

Das Collegium maius war einst Hauptsitz der Universität Erfurt, an der Luther von 1501 bis 1505 studierte und lehrte. 1945 im Bombenkrieg zerstört, wird das Gebäude nun endlich rekonstruiert. Damit erhält das “lateinische Viertel” sein Herzstück zurück. 500 Jahre zuvor war der junge “Martinus Ludher ex Mansfeldt” beeindruckt vom geistigen Leben in der Metropole Erfurt, damals mit fast 20.000 Einwohnern eine der größten Städte des Reiches. Die 1379 privilegierte Alma mater Erfordensis, älteste Uni im heutigen Deutschland, galt als eine der renommiertesten Hochschulen Mitteleuropas. Alle übrigen nähmen sich dagegen wie “kleine (ABC-)Schützenschulen” aus, so der spätere Reformator. Im Collegium maius, dessen äußere Form im Wesentlichen auf den Wiederaufbau nach dem „Tollen Jahr“ 1509/10 zurück geht, war auch die Philosophische Fakultät untergebracht. Mit ihr begann das Studium, ehe man eine der drei höheren Fakultäten (Recht, Medizin, Theologie) besuchen konnte. Luther schloss jenes Grundstudium der sieben Freien Künste 1505 erfolgreich als Magister ab. Für dieses solide geistige Fundament blieb der er zeitlebens dankbar: “Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke.” Das anschließende Jurastudium brach Luther jedoch nach dem Stotternheimer “Gewittererlebnis” im Juli 1505 ab und trat als Mönch in das Augustinerkloster ein. Die 1987 als DDR-Bürgerbewegung gegründete Universitätsgesellschaft machte es sich zum Anliegen, das Collegium maius zu rekonstruieren. Bereits 1983 war während der Lutherehrungen anlässlich seines 500. Geburtstages das prächtige Portal von 1511 wiedererrichtet worden, weitergehende Pläne scheiterten jedoch an fehlenden Baukapazitäten. Während der friedlichen Revolution 1989 wurde das Collegium maius zum Symbol für den geistig-kulturellen Aufbruch in Erfurt. Mit der Wiedergründung der Universität 1994 schien das große Ziel erreichbar, 1999 erfolgte der Rohbau. Viel bürgerschaftliches Engagement floss in das geschichtsträchtige Gemäuer und seine historische Aufarbeitung. Vor diesem Hintergrund mag es nicht erstaunen, dass sich in der Universitätsgesellschaft Enttäuschung breit machte, als die Stadt Erfurt das Collegium maius 2008 an die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) verkaufte. Diese wird das Gebäude bis 2011 zum Sitz ihrer Verwaltung ausbauen. Mittlerweile überwiegt jedoch beim Blick auf die Renaissance jenes Kulturdenkmals von internationalem Rang die Vorfreude auf seine Fertigstellung. Auch das Profil der Lutherstadt wird dadurch nachhaltig geschärft, ist doch neben Luthers Kloster dann auch Luthers Universität als authentischer Erinnerungsort wieder sinnlich erfahrbar.

(TA vom 17.04.2010)


Studienort der Lutherzeit

Lutherstadt Erfurt (3): Luther lebte wahrscheinlich als Student und Magister in der Georgenburse

Die Georgenburse in der Augustinerstraße diente Luther vermutlich als „Studentenwohnheim“, in dem es allerdings recht klösterlich zu ging. Vor 100 Jahren durch Johannes Biereye in ihrer historischen Bedeutung wieder publik gemacht, wird die Burse nun als „Studienort der Lutherzeit“ und Pilgerherberge rekonstruiert. Bursen waren einst die „Studentenwohnheime“ der Universitäten. In ihnen lebten Studierende und Lehrende gemeinsam in einer fast klösterlich anmutenden Ordnung. Frühes Aufstehen und Schlafengehen, klare Regeln für den Tagesablauf und bescheidener Lebenswandel jenseits der akademischen Festlichkeiten waren in den Bursenordnungen festgeschrieben. Der junge Luther entschied sich 1501 für die Georgenburse in der Augustinerstraße, nur einen Steinwurf vom Collegium maius entfernt, wo er sich als Student immatrikuliert hatte. Das Wissen um Luthers Burse verdanken wir Prof. Johannes Biereye, langjähriger Vorsitzender des Erfurter Geschichtsvereins. Aus Anlass des Reformationsjubiläums 1917 hatte er sich intensiv mit den Lutherstätten in Erfurt beschäftigt. Biereye wusste, dass nur in einem 1902 entdeckten Brief auf die schon im 16. Jahrhundert geschlossene Georgenburse als Luthers Aufenthaltsort hingewiesen wird. Er konnte diese an der heute bekannten Stelle verorten. Allerdings war der Komplex einst sehr viel größer und reichte bis an die Augustinerstraße heran. Erhalten ist nur der Gebäudeteil im Hinterhof. Dieser freilich geht auch nach Ansicht des Bauhistorikers Dr. Thomas Nitz tatsächlich in seinen ältesten Bauteilen bis auf die Lutherzeit zurück. Trotz der schmalen Quellenbasis kann man also von der Authentizität der Georgenburse als Lutherstätte ausgehen. Biereye bedauerte vor gut 100 Jahren allerdings, dass die modernen Häuserblocks der Augustinerstraße den Blick auf das historische Gebäude verstellten. Die Fliegerbomben des Zweiten Weltkrieges sollten diese Situation völlig verändern. So konnte man schließlich 1983 im Rahmen des 500. Luthergeburtstages die Chance einer Neugestaltung nutzen. Die Georgenburse wurde rekonstruiert und eine Grünfläche davor angelegt. Der Bauboom nach der „Wende“ hat die Burse allerdings wieder in den Schatten noch modernerer Häuserblocks gestellt. Zumindest bleibt sie aber von der Lehmannsbrücke und dem gegenüber liegenden Gera-Ufer aus sichtbar. Das Haus steht nun unmittelbar vor einer komplexen Sanierung und Umgestaltung als „Studienort der Lutherzeit“. Dort soll bis zum 31. Oktober 2010 eine Begegnungs- und Bildungsstätte mit ökumenischer Pilgerherberge entstehen, die Schlaglichter auf das einstige Universitätsleben wirft. Die Initiative hierfür ging vom „Bonhoeffer-Haus e.V.“ und “Freundeskreis Georgenburse Erfurt e.V.” aus, zu deren treibenden Kräften Augustinerkloster-Kurator Lothar Schmelz und Oberkirchenrat Dr. Thomas A. Seidel zählen. So entsteht auf halbem Wege zwischen Collegium maius und Augustinerkloster ein weiterer hochkarätiger Erinnerungsort in der Lutherstadt Erfurt.

(TA vom 24.04.2010)


Werdepunkt der Reformation

Lutherstadt Erfurt (4): Der Lutherstein bei Stotternheim markiert den „Werdepunkt der Reformation“

Im Sommer 1505 wurde aus dem angehenden Juristen Martin Luther der Augustinermönch. Ein heftiges Gewitter auf dem Heimweg von Mansfeld hatte ihn dazu bewogen. An der Stelle des folgenreichen Entschlusses bei Stotternheim steht seit 1917 ein Gedenkstein.

Martin Luther hatte von 1501 bis 1505 sein philosophisches Grundstudium an der Universität Erfurt absolviert. Er sollte nun nach dem Willen des Vaters Jura studieren und Karriere machen, möglichst an einem Fürstenhof. Das sagenumwobene Stotternheimer Gewittererlebnis vom 2. Juli 1505 machte allerdings alle väterlichen Pläne zunichte. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob Luther auf dem Rückweg vom heimischen Mansfeld tatsächlich beim Einschlag eines Blitzes spontan den Schwur tat „Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Historiker vermuten eher einen längeren Prozess, der zu diesem Schritt führte. Sicher ist aber, dass mit dem Eintritt in das Augustinerkloster am 17. Juli 1505 die intensive Auseinandersetzung mit der Frage begann, wie er einen gnädigen Gott bekommen könne. Hier liegen die Wurzeln der Reformation. Aus dem angehenden Juristen wurde ein Mönch, der nicht nur die religiöse Weltordnung aus den Angeln heben sollte. Den Ort des folgenreichen Entschlusses mit einem Denkmal zu markieren hatte man sich im Vorfeld des 400. Reformationsjubiläums vorgenommen. Am 4. November 1917, Sonntag nach dem Reformationstag, erfolgte die Einweihung des Luther-Gedenksteines östlich der Ortschaft. Der unbehauene Monolith aus schwedischem Granit nennt den Ort „Werdepunkt der Reformation“, auf der Rückseite wird ihm das Prädikat „Geweihte Erde“ verliehen. Über der Einweihungsfeier lag der nationalprotestantische Geist des Ersten Weltkrieges, in dem man Luther als Hoffnungsträger der Deutschen beschwor. Prof. Johannes Biereye, langjähriger Vorsitzender des Geschichtsvereins und Spezialist für die Lutherstätten in Erfurt, rief in seiner Festrede dazu auf, „mit dem Glaubensmut und der Glaubenskraft Luthers weiter zu leben und zu kämpfen in aller Not und Gefahr, die uns in dieser Welt umdräut“. Nicht nur das Luthergedenken hat sich seither deutlich verändert, sondern auch das Umfeld des Denkmals. Von Stotternheim aus führt der holprige Luthersteinweg, oft eingehüllt in den Staub vorbei donnernder Kieslaster, zu jenem außergewöhnlichen historischen Ort. Dieser mutete über Jahrzehnte äußerst prosaisch an, überragt von der nahen Müllkippe der Stadt Erfurt. In den letzten Jahren hat sich jedoch einiges getan. Das Umfeld des Denkmals wurde aufgewertet und die Deponie präsentiert sich als begrünter Hügel. Bis 2017 wäre es wünschenswert, auch dem Luthersteinweg im Rahmen des Naherholungsgebietes „Erfurter Seenlandschaft“ ein freundlicheres Gesicht zu verpassen. Dann könnte sich Erfurt guten Gewissens im 500. Jubeljahr des eigentlichen „Werdepunktes der Reformation“ rühmen und Touristen in Scharen dorthin schleusen.

(TA vom 01.05.2010)


Luthers Kloster

Lutherstadt Erfurt (5): Im Augustinerkloster reifte der junge Mönch zum künftigen Reformator

Das Augustinerkloster darf ohne Zweifel als Rückgrat der authentischen Luther-Erinnerungslandschaft in Erfurt gelten. Dies betrifft sowohl die Baulichkeiten, als auch das Angebot der renommierten Tagungs- und Begegnungsstätte. Zudem kann noch in diesem Sommer die Rekonstruktion des gesamten Klosterkomplexes abgeschlossen werden.

Ob nun wirklich allein das Gewitter bei Stotternheim am 2. Juli 1505 ausschlaggebend für den Entschluss Luthers war, ein Mönch zu werden, wird heute zumindest hinterfragt. Sicher scheint, dass er zwei Wochen darauf ins Kloster der Augustinereremiten eintrat. Bis zu seinem endgültigen Umzug nach Wittenberg 1511 kämpfte Luther dort bisweilen verzweifelt um einen gnädigen Gott. Schon hier mag er sich dabei gefragt haben, ob dieses Ziel selbst mit strengster „Möncherei“ zu erreichen sei. Insofern wurzelt der in Wittenberg zum Durchbruch kommende Grundgedanke der Reformation, dass Seligkeit allein aus dem Glauben an Gott und der Heiligen Schrift kommen kann, bereits in der Erfurter Zeit Luthers. Schon zu Lebzeiten des Reformators begann das Augustinerkloster zu einem Erinnerungsort zu werden. Seit dem 19. Jahrhundert nahm es geradezu den Charakter einer Wallfahrtsstätte an. Zwar haben Umbauten, Brände und schließlich die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges viel von der originalen Substanz geraubt. Gleichwohl kann man in dieser authentischen Lutherstätte wie in kaum einer anderen dem Genius loci, dem Geist des Ortes nachspüren. Dies erklärt auch die große internationale Beliebtheit des Tagungs- und Begegnungszentrums mit seinen meist ausgebuchten 94 Gästebetten. Es konnte dank des komplexen Wiederaufbaus im Lutherjahr 1983 von der Evangelischen Kirche eröffnet werden. Ein ähnlich ambitioniertes Rekonstruktionsprojekt geht gerade seinem Ende zu. Voller Freude sieht Kloster-Kurator Lothar Schmelz dem 27. August entgegen, wenn mit der ehemaligen Klosterbibliothek das letzte im Krieg zerstörte Gebäude übergeben werden kann. Es hebt sich mit seiner modernen Architektur bewusst ab, greift aber die historische Formensprache des Klosters auf. Die neuen Räumlichkeiten kommen angesichts der starken Nachfrage sehr gelegen. Das 2. Obergeschoss bietet zudem der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, die ihren Verwaltungssitz 2011 von Magdeburg und Eisenach nach Erfurt verlegen wird, eine repräsentative Veranstaltungsstätte. In Büros einziehen werden u.a. die Internationale Martin-Luther-Stiftung und der Landesbeauftragte der EKM für Thüringen. Doch Lothar Schmelz geht es über Repräsentation und Luthererinnerung hinaus um mehr. So bietet sein Haus neben Originalschauplätzen und historischer Ausstellung ein breites Veranstaltungs- und Bildungsangebot für verschiedenste Adressaten, vom Wissenschaftler über interessierte Touristen und Pilger bis hin zur Schulklasse. Das rekonstruierte Waidhaus steht Gästen offen, die Einkehr und Stille suchen. Luthers Kloster als lebendiges Herzstück der dichten historischen Erinnerungslandschaft ist damit ein großes Pfund, mit dem sich bis zum Reformationsjubiläum 2017 in Erfurt trefflich wuchern lässt.

(TA vom 11.05.2010)


Luther als Streitschlichter

Lutherstadt Erfurt (6): In der Kaufmannskirche predigte Luther 1522 zu seinen Anhängern

In der Kaufmannskirche hielt Luther 1522 eine wichtige Predigt, um Einigkeit über theologische Streitfragen im evangelischen Lager herzustellen. Die Lutherstätte wird neben dem Lutherdenkmal seit 1917 durch ein Steinkreuz markiert. Darüber hinaus schrieb die Hauskirche der Erfurter Bache bis hin zur friedlichen Revolution 1989 mehrfach Geschichte.

Martin Luther zog es auch nach seinem endgültigen Umzug nach Wittenberg 1511 immer wieder an den Ort seiner Jugend. Als Reformator griff er in der Stadt persönlich ein, predigte in Erfurter Kirchen und pflegte alte Kontakte, etwa zu seinem Freund Johannes Lang, dem „Erfurter Reformator“. Auf dessen Bitte hielt Luther 1522 in der Kaufmannskirche am Anger eine Predigt. Die aus ihrem Versteckt auf der Wartburg zurück gekehrte Führungsfigur sollte Streit und Uneinigkeit im evangelischen Lager der Stadt schlichten. Luther versuchte seine Anhänger auf den Kern der reformatorischen Theologie einzuschwören, dass Seligkeit allein aus der Heiligen Schrift („sola scriptura“), insbesondere dem Neuen Testament, zu erlangen sei. Der Text wurde sogleich gedruckt und liegt wie vier weitere Erfurter Predigten Luthers im Original in der Bibliothek des Augustinerklosters. Jener für die frühe Phase der Reformation sehr wichtige Aufenthalt fand später auch in zeittypischer Form seinen erinnerungskulturellen Niederschlag. Schon mit dem Lutherdenkmal von 1889 war die Kirche als Lutherstätte markiert worden. Auf nahezu allen Abbildungen des Denkmals dient sie als geschichtsträchtiger Hintergrund. In die äußere Kirchenmauer Richtung Anger wurde aus Anlass des 400. Reformationsjubiläum 1917 ein steinernes Kreuz eingelassen mit dem Text: „Am 22. Oktober 1522 predigte in der Kaufmannskirche Dr. Martin Luther vom Kreuz und Leiden eines rechten Christenmenschen -1917-“. Die heutige Ausstattung der Kirche geht allerdings durch einen Gewölbeeinsturz 1594 nicht bis auf die Lutherzeit zurück. Dennoch steht das um 1600 entstandene Ensemble aus Kanzel, Taufstein, Altar und drei Epitaphien im Chorraum aus der Erfurter Werkstatt Friedemann beispielhaft für ein evangelisches Gotteshaus. Die Hauskirche der Erfurter Bach-Familien, in der sich die Eltern von Johann Sebastian Bach am 8. April 1668 das Jawort gaben, ist allerdings mehr als nur ein wichtiger Luther-Erinnerungsort. Als die Evangelische Kirche während der friedlichen Revolution 1989 eine tragende Rolle spielte, rückte die Kaufmannskirche noch einmal in den Fokus der Geschichte. Am 7. Oktober, dem 40. „Republikgeburtstag“, zeigten hunderte Erfurter bei zwei völlig überfüllten Gottesdiensten echt lutherischen Bekennermut und sprachen die Probleme der DDR-Gesellschaft offen an. Für viele „Wende“-Aktivisten wirkte dies wie eine Initialzündung. Der spätere Oberbürgermeister Manfred Ruge äußerte stellvertretend für viele: „An diesem Tag – übrigens meinem Geburtstag – bin ich endgültig zu dem Schluss gekommen, nun selbst unmittelbar aktiv zu werden.“

(TA vom 15.05.2010)


Der entschlossene Reformator

Lutherstadt Erfurt (7): Das Denkmal auf dem Anger zeigt nicht den jungen Erfurter Luther

Neben den authentischen Erinnerungsorten gehört das Lutherdenkmal vor der Kaufmannskirche heute zu den meist fotografierten Motiven in der Lutherstadt Erfurt. Es ist Ausdruck der nationalprotestantischen Weltsicht im Kaiserreich und zeigt einen entschlossenen Reformator mit Bibelbuch. Daneben existieren weitere Denkmale, Straßennamen und andere Formen der Luther-Erinnerung.

Luther gehörte im bürgerlich-nationalen Weltbild des Kaiserreiches von 1871 zu den wichtigsten historischen Leitfiguren. Daher sollte in der Lutherstadt Erfurt der nationale Heros auch buchstäblich aufs Podest gehoben werden. Den Impuls, ein repräsentatives Denkmal zu errichten, gab 1881 die in Erfurt tagende Landesversammlung des Evangelischen Vereins. Zwei Jahre später gründete sich ein Lutherdenkmal-Verein, der dazu beitrug, die Gesamtkosten von 72.000 Mark durch Spenden aufzubringen. Nach langer Diskussion über fünf mögliche Standorte entschied man sich für den neben der Kaufmannskirche, wo Luther 1522 einen Konfessionsstreit geschlichtet hatte. 1883 wurde der Berliner Bildhauer Prof. Fritz Schaper damit betraut, Martin Luther als überlebensgroße Statue darzustellen. Entsprechend dem Zeitgeist kam dabei nur der gestandene Reformator in Frage, nicht der junge Luther aus seinen Erfurter Studenten- und Mönchstagen. Schaper entschied sich, Luthers Standhaftigkeit und Entschlossenheit als Reformator durch Körperhaltung, Gebärden und die fest in den Händen gehaltene Bibel hervorzuheben. Mit drei Erfurter Stationen aus Luthers Leben versieht er die Sockelreliefs: Luther als Student, der Abschied vor Eintritt ins Augustinerkloster, der festliche Empfang in Erfurt auf dem Wege nach Worms 1521. Die Frontseite markierte der Künstler mit dem Vers 17 des Psalms 118 „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkünden“. Am 30. Oktober 1889 enthüllte eine festliche Gesellschaft, darunter auch Fritz Schaper, das Denkmal mit Weihereden, Gesängen und einem Fackelzug. Es wurde fortan zum zentralen Treffpunkt an protestantischen Feiertagen und bei Festveranstaltungen. Das Denkmal auf dem Anger ist aber keineswegs der einzige Ort, an dem Luther-Erinnerung dieser Art betrieben wurde und wird. 1912 eröffnete die Martin-Luther-Schule im nördlichen Gründerzeitgürtel, die heute wieder den Namen Lutherschule trägt. Vor dem Schulgebäude in der Karlstraße steht ein zu Unrecht wenig beachtetes Denkmal von Wilhelm Mues, Schöpfer des bekannten Elefantentores am Berliner Zoo, ebenfalls aus dem Jahre 1912. Das Bronzerelief an einer säulengezierten Sandsteinmauer zeigt Luther im Familien- und Freundeskreis aus der Bibel lesend. 1903 erhielt eine neue Straße entlang der ehemaligen inneren Stadtmauer im Brühl den Namen Lutherstraße, im Steiger findet sich der Lutherpark. So ist der Reformator auch jenseits der authentischen Erinnerungsorte und Museen im Stadtbild präsent.

(TA vom 26.05.2010)


Lebendige Erinnerung

Lutherstadt Erfurt (8): Der Dom bildet mit gutem Grund die Kulisse für das beliebte Martinsfest

Jedes Jahr am 10. November gedenken die Erfurter auf dem Domplatz des Geburtstages von Martin Luther und des Stadtpatrons St. Martin. Aus dem einst nationalprotestantisch geprägten Fest ist eine ökumenische Tradition geworden. Der katholische Dom, der hierbei die stimmungsvolle Kulisse bietet, ist eng mit der Biographie Luthers verbunden.

Kaum eine Kulturtradition ist in Erfurt so populär wie das Martinsfest bzw. Martini am 10. November. Am Abend dieses Tages finden sich tausende Menschen auf dem Domplatz ein, um den Ausführungen von evangelischen und katholischen Geistlichen zu folgen. Die vielen Kinder tragen bunte Laternen und verwandeln den Platz in ein Lichtermeer. Gedacht wird sowohl des Geburtstages von Martin Luther als auch des Erfurter Stadtpatrons, des heiligen Martin von Tours, dessen Festtag in katholischen Regionen eigentlich am 11. November begangen wird. Diese ökumenische Praxis reicht allerdings nur bis 1972 zurück. Zuvor war der 10. November in Erfurt ein ausgesprochen nationalprotestantischer Festtag. Im Kaiserreich hatte sich als fester Ritus eine Veranstaltung mit Ansprachen der evangelischen Geistlichkeit am 1889 eingeweihten Lutherdenkmal am Anger eingebürgert. Dabei gedachte man des Reformators, der zu den wichtigsten historischen Symbolfiguren des preußisch-protestantisch geprägten Hohenzollern-Reiches gehörte. Anschließend zog man gemeinsam zum Friedrich-Wilhelmsplatz, wie der Domplatz zu Ehren des preußischen Königs bis 1945 hieß. Zwar war der heftige Kulturkampf Bismarcks gegen den Katholizismus abgeklungen und gehörten durchaus auch einige Katholiken zu den tonangebenden bürgerlichen Honoratioren der Stadt. Dennoch trug nicht zuletzt der Lampionzug vor den Domhügel und das Singen von Lutherliedern wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ einen trotzig-konfessionellen Charakter. Dass die Veranstaltung stets am Domplatz stimmungsvoll ausklang, hatte freilich auch gute historische Gründe. Der Dom St. Marien gehört zu den wichtigsten Luther-Erinnerungsorten in Erfurt. Hier wurde der Augustinermönch 1507 zum Priester geweiht, hier erlangte er 1509 den akademischen Grad eines Bakkalaureus an der Theologischen Fakultät und hielt seine erste theologische Vorlesung. Während der Reformationszeit und im Dreißigjährigen Krieg befanden sich zudem die Stifter St. Marien und St. Severi kurzzeitig in der Hand der evangelischen Bevölkerungsmehr. Allerdings vermochte die katholische Minderheit mit Unterstützung des Stadtherren, des Mainzer Erzbischofs, das imposante Kirchenensemble mit seinen reichen Besitztümern jeweils rasch wieder zurück zu gewinnen. So blieb das größte Gotteshaus Thüringens, das eng mit der Person Luthers verbunden ist, im Schoße der katholischen Kirche. Ein klein wenig bedauert dies wohl auch heute noch mancher evangelische Christ im „Kernland der Reformation“. Die gute ökumenische Stimmung des Martinstages kann dies freilich nicht mehr trüben.

(TA vom 05.06.2010)


"Spinne im Netz"

Lutherstadt Erfurt (9): Das Stadtmuseum bündelt ab 2011 die Luther-Erinnerungslandschaft

Das Stadtmuseum wird ab 2011 als musealer Mittelpunkt in einem „Netzwerk Stadtgeschichte“ fungieren. Eine neu konzipierte Dauerausstellung, die besonders die mittelalterliche Blütezeit zur Geltung bringen soll, gibt Verweise auf die vielen authentischen Orte, nicht zuletzt die Luther-Erinnerungslandschaft. Luthers prägende Erfurter Zeit wird hier in ihre historischen Rahmenbedingungen eingeordnet.

Wittenberg gilt nicht nur wegen des legendären Thesenanschlages von 1517 als die Stadt des Reformators Martin Luther. Dessen Wirken ist aber ohne die prägenden Erfahrungen des Studenten und jungen Mönches in der spätmittelalterlichen Metropole Erfurt kaum denkbar. Die sozialen, wirtschaftlichen und geistesgeschichtlichen Verhältnisse in jener Umbruchszeit gehören zu den maßgeblichen Voraussetzungen der Reformation. Das Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“ in der Johannesstraße hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als diesen Kosmos Stadtgeschichte an der Schwelle zur Reformation in einer neuen Dauerausstellung zu umreißen. Ein wichtiges Element bei der Planung bildet das Konzept „Netzwerk Stadtgeschichte“. Im Museum wird man sich auf die großen historischen Linien konzentrieren und den Besucher an entsprechender Stelle auf die authentischen Orte in der Stadt verweisen. So kann zum Beispiel das jüdische Erbe prägnant in den Rahmen der mittelalterlichen Stadtgeschichte eingepasst werden. Darüber hinaus bilden die spektakulären Stätten wie Alte Synagoge und Mikwe in enger Verknüpfung gewissermaßen lebendige Außenobjekte. Hier kann man die Themenfelder an ihren Originalschauplätzen vertiefen. Verschiedene Formen der Vernetzung des Museums mit den authentischen Orten der Stadtgeschichte sowie dieser Orte untereinander sind geplant. Auch in Sachen Luther übernimmt das Stadtmuseum die Rolle als „Spinne im Netz“ der Erinnerungslandschaft um Collegium maius, Georgenburse und Augustinerkloster. Im Hause werden erstmals die Entstehungsbedingungen der Reformation am Beginn der Neuzeit vor einem konkreten stadtgeschichtlichen Hintergrund ausgebreitet. Dank der reichen Museumsbestände einschließlich hochkarätiger Exponate zur Universitätsgeschichte und einer außergewöhnlichen Sammlung zur Luther-Rezeption seit dem 16. Jahrhundert kann das Team um Direktor Hardy Eidam dabei aus dem Vollen schöpfen. Unterstützung erfährt es von einem wissenschaftlichen Kuratorium unter Leitung von Universitäts-Präsident Prof. Kai Brodersen. Die Eröffnung der neuen Dauerausstellung am Reformationstag, dem 31. Oktober 2011 darf als einer der Höhepunkte im Lutherjahr 2010/11 gelten. In der Lutherstadt Erfurt wird die historische Erinnerungskultur damit auf ein neues Niveau gehoben und muss mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 den Vergleich mit Wittenberg oder der Wartburg nicht mehr scheuen.

(TA vom 15.06.2010)


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Luther und Erfurt