Inschrift Postscheckamt

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Inschrift Postscheckamt Erfurt

Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (14.04.2012)


Trotz allem

DENKMALE IN ERFURT (41): Das Postscheckamt am Ring steht für die Überwindung der Folgen des Ersten Weltkrieges und spiegelt mit seiner Inschrift die nationale Grundhaltung jener Zeit.


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Es sind nicht immer nur die großen, mit viel Aufwand errichteten Denkmale, die uns den Geist einer Epoche näher bringen. Manchmal reichen kleine Details, etwa architektonischer Schmuck oder Inschriften an Bauwerken, um ein Stück Vergangenheit aufleuchten zu lassen. Hierzu zählt der Schriftzug über dem Portal des 1924 fertiggestellten Postscheckamtes am heutigen Juri-Gagarin-Ring gegenüber der Alten Feuerwache. Eingerahmt von angedeuteten Säulen liest man dort neben dem Zweck des Neubaus und den Errichtungsdaten 1922 bis 1924 ein im wahrsten Wortsinne trotzig anmutendes „Trotz allem“. Was hat es damit an einem staatlichen Behördengebäude auf sich?

Der Neubau des Postscheckamtes fällt in die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg 1914/18. Im August 1914 hatte die euphorische Stimmung des Kriegsbeginns auch viele Erfurter mitgerissen. Voller Hoffnung auf einen baldigen Sieg zogen die Soldaten der Erfurter Garnison unter dem Jubel der Bevölkerung hinaus. Bald sollte sich jedoch zeigen, dass diese Erwartungen viel zu optimistisch waren. Der Krieg zog sich über Jahre hin und brachte auch der Heimat große Entbehrungen. Zu Hunger, Not und dem Tod von Angehörigen an der Front kam das völlige Erliegen jeglicher Bautätigkeit. Nach dem verlorenen Krieg herrschte deshalb große Wohnungsnot, die sogar bis zum Zuzugsverbot nach Erfurt führte. Vor dem Hintergrund dieser tristen Situation gewinnt der erste Neubau eines öffentlichen Gebäudes an der Schwelle zu den „Goldenen Zwanzigern“ symbolischen Charakter. Das „Trotz allem“ ist aber auch ein Signal, sich mit der Kriegsniederlage nicht abfinden zu wollen. Es steht für die Sehnsucht großer Teile der Gesellschaft nach Rückgewinnung nationaler Souveränität und Größe.

Was kann man diesem „Trotz allem“ noch für die Gegenwart abgewinnen? Sicher nicht den trotzig-aggressiven Nationalismus der Zwischenkriegszeit, der mit in die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg führte. Aber mit Blick auf die Wirtschafts- und Finanzkrisen unserer Tage mag das stolze Gebäude des Postscheckamtes ein Hinweis dafür sein, dass die Entwicklung einer lebendigen Stadt gerade in solchen problematischen Zeiten mit aller Kraft voran getrieben werden sollte. Dies scheint den Verantwortlichen in Erfurt auch bewusst. So wurde ungeachtet aller finanziellen Zwänge gerade das neue städtische Behördenhaus in der Alten Feuerwache direkt gegenüber dem einstigen Postscheckamt fertig gestellt, reifen die Pläne für Multifunktionsarena und Bundesgartenschau 2021. (Foto: Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipp:

Steffen Raßloff: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik. Erfurt 2008.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik