Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße
Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (03.05.2014)
Vom Händlerviertel zum Stasiknast
DENKMALE IN ERFURT (147): Die Gedenkstätte in der Andreasstraße steht auf historischem Boden.
Keine andere Straße ruft bei älteren Erfurtern so deutliche Assoziationen hervor, wie die Andreasstraße. Fast vier Jahrzehnte stand sie als Sitz der Bezirksverwaltung und einer Haftanstalt synonym für die „Stasi“. Von hier aus verbreitete das Ministerium für Staatssicherheit jenes typische Klima von Angst und Verunsicherung, auch wenn der größte Teil der Bevölkerung nicht direkten Repressionen ausgesetzt war. Über Jahrhunderte hatte sich allerdings auf dem Gelände am Fuße des Petersberges ein Handwerker- und Händlerviertel befunden. An der Frontseite zum Domplatz, die bis auf die Höhe der Domstufen heran reichte, standen prächtige Bürgerhäuser. Dieses Viertel wurde bei der Beschießung Erfurts am 6. November 1813 während der Befreiungskriege zerstört. Erst seither besitzt der Domplatz seine ungewöhnlich große Ausdehnung. Nördlich davon entstand die Grünanlage „Louisental“. Sie verschwand schließlich mit dem Bau des preußischen Landgerichtes und der dazugehörigen Haftanstalt 1879.
Auch nach 1945 fungierte der Komplex weiterhin als Gericht mit Untersuchungshaftanstalt. Mit der Auflösung der Länder in der DDR 1952 wurden aus dem bisherigen Land Thüringen die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Dementsprechend fungierte das Gerichtsgebäude nunmehr als Bezirksgericht Erfurt. Gleichzeitig bezog das MfS in dem heutigen Polizeigebäude in der Andreasstraße seine neue Bezirksverwaltung. Fortan teilten sich Innenministerium bzw. Volkspolizei und MfS die dazwischen liegende Untersuchungshaftanstalt. Keller und Erdgeschoss waren der Polizei zugeordnet, 1. und 2. Obergeschoss dem MfS. Ein langer und turbulenter Prozess mündete nach 1989 schließlich in die am 4. Dezember 2013 eröffnete Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in der ehemaligen Haftanstalt. Sie erinnert an Unterdrückung und Widerstand in Thüringen 1949-1989.
Die Gedenkstätte ist zum einen den mehr als 5000 Menschen gewidmet, die hier aus politischen Gründen inhaftiert waren. Sie will aber auch in der Dauerausstellung „Haft – Diktatur – Revolution“ einen breiteren historischen Rahmen abstecken. Dabei greift sie den wichtigen Umstand auf, dass am 4. Dezember 1989 in Erfurt die Freiheit symbolträchtig triumphierte: Mutige Erfurter Bürger hatten während der friedlichen Revolution erstmals eine Stasi-Zentrale besetzt und damit die letzte Bastion der SED-Herrschaft gestürmt. Hieran erinnert neben der älteren Erinnerungstafel an der benachbarten Stasi-Zentrale nunmehr auch im Eingangsbereich der Gedenkstätte eine Gedenktafel unter dem Motto „Aus den Fesseln der Angst befreien“. Links daneben ist eine von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und der Stadt Erfurt gestiftete Gedenktafel für die politischen Häftlinge angebracht. (Foto: Alexander Raßloff)
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Aus den Fesseln der Angst befreit. Die Stasi-Besetzung in Erfurt 1989. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 112 f.
Steffen Raßloff: Friedliche Revolution und Landesgründung in Thüringen 1989/90. Erfurt 2009 (7. Auflage 2022).
Steffen Raßloff: "Aus den Fesseln der Angst befreit." Die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt am 4. Dezember 1989. In: TOP Magazin Thüringen 4/2019, S. 20 f.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Stasi-Besetzung 1989, Runder Tisch Erfurt, Erfurter Geschichtsmuseen, Beschießung 1813, Grünanlage Louisental, Andreasstraße