Besetzung MfS Bezirksverwaltung Erfurt 1989: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
(7 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 2: | Zeile 2: | ||
'''Beitrag der Serie [[Denkmale in Erfurt|Denkmale in Erfurt]] aus der Thüringer Allgemeine von [[Steffen | '''Beitrag der Serie [[Denkmale in Erfurt|Denkmale in Erfurt]] aus der Thüringer Allgemeine von [[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]] (27.10.2012)''' | ||
Zeile 10: | Zeile 10: | ||
[[Datei:StasiBesetzung.jpg| | [[Datei:StasiBesetzung.jpg|370px|right]]Der „Wende“-Herbst 1989 ist noch vielen Zeitgenossen auch in Erfurt in lebendiger Erinnerung. Jene Wochen voller dramatischer, tief emotionaler Ereignisse, an deren Ende die vermeintlich in Beton gegossene SED-Herrschaft ein Ende fand, lassen sich wohl kaum vergessen. Auch wenn nicht alle der für viele DDR-Bürger damit verbundenen Hoffnungen aufgegangen sind, so wird man doch mit Dankbarkeit auf diese Zeit blicken können. Noch immer verblüfft dabei die weitgehende Gewaltlosigkeit der Friedlichen Revolution. In der Rückschau muss man aber betonen, dass dies für die Akteure so keineswegs abzusehen war. Insbesondere das „Schild und Schwert der Partei“, das Ministerium für Staatssicherheit, hatte über Jahrzehnte eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherung verbreitet. | ||
In Erfurt stand die Andreasstraße als Synonym für die Stasi. Hier war in der heutigen Polizeidirektion die Bezirksverwaltung des MfS untergebracht. Auch als die Bürgerbewegung längst ihren Protest aus den Kirchen auf die Straße verlagert hatte, wurde hier weiter der Kampf gegen die „Konterrevolution“ geplant. Die Erfurter Donnerstagsdemos hatten unterdessen am 26. Oktober 1989 ihren ersten Höhepunkt erfahren, als 40.000 Menschen auf dem Domplatz ihre Kritik an den Verhältnissen im Lande lautstark äußerten. Am 10. und 11. November mussten Oberbürgermeisterin Rosemarie Seibert und SED-Bezirkschef Gerhard Müller zurücktreten. Mit dem Berliner Mauerfall vom 9. November schien das Schicksal der DDR ohnehin besiegelt. | In Erfurt stand die Andreasstraße als Synonym für die Stasi. Hier war in der heutigen Polizeidirektion die Bezirksverwaltung des MfS untergebracht. Auch als die Bürgerbewegung längst ihren Protest aus den Kirchen auf die Straße verlagert hatte, wurde hier weiter der Kampf gegen die „Konterrevolution“ geplant. Die Erfurter Donnerstagsdemos hatten unterdessen am 26. Oktober 1989 ihren ersten Höhepunkt erfahren, als 40.000 Menschen auf dem Domplatz ihre Kritik an den Verhältnissen im Lande lautstark äußerten. Am 10. und 11. November mussten Oberbürgermeisterin Rosemarie Seibert und SED-Bezirkschef Gerhard Müller zurücktreten. Mit dem Berliner Mauerfall vom 9. November schien das Schicksal der DDR ohnehin besiegelt. | ||
Und dennoch blieben die MfS-Einrichtungen vorerst unbehelligt. Erst unerschrockene Erfurter Bürger machten auch hier den Weg frei, sich endgültig „aus den Fesseln der Angst“ zu befreien, wie es auf der Gedenktafel in der Andreasstraße heißt. Hier fand am 4. Dezember 1989 die erste Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung statt, was DDR-weite Signalwirkung entfaltete. Kerstin Schön, Mitglied der Gruppe Frauen für Veränderung, rief in den Morgenstunden ihre Mitstreiterin Almuth Falcke an. Dicker Rauch aus den Schornsteinen des Stasi-Objektes ließ sie richtiger Weise eine umfassende Aktenvernichtung vermuten. Mit anderen Frauen aus ihrer Gruppe mobilisierten sie die Erfurter. Almuth Falckes Mann, Propst Heino Falcke, versperrte die Ausfahrt mit seinem Auto, ehe ein Müllfahrzeug dies übernahm. Rat der Stadt, Staatsanwaltschaft und Oberbürgermeister wurden alarmiert. Schließlich gelangen die Besetzung des Gebäudes und die Versiegelung der Räume. Noch am selben Abend wurde ein Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS gegründet. Mit dieser mutigen Aktion konnte die Vernichtung der Stasi-Akten gestoppt und dem Geheimdienst sein Schrecken weitgehend genommen werden. ( | Und dennoch blieben die MfS-Einrichtungen vorerst unbehelligt. Erst unerschrockene Erfurter Bürger machten auch hier den Weg frei, sich endgültig „aus den Fesseln der Angst“ zu befreien, wie es auf der Gedenktafel in der Andreasstraße heißt. Hier fand am 4. Dezember 1989 die erste Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung statt, was DDR-weite Signalwirkung entfaltete. Kerstin Schön, Mitglied der Gruppe Frauen für Veränderung, rief in den Morgenstunden ihre Mitstreiterin Almuth Falcke an. Dicker Rauch aus den Schornsteinen des Stasi-Objektes ließ sie richtiger Weise eine umfassende Aktenvernichtung vermuten. Mit anderen Frauen aus ihrer Gruppe mobilisierten sie die Erfurter. Almuth Falckes Mann, Propst Heino Falcke, versperrte die Ausfahrt mit seinem Auto, ehe ein Müllfahrzeug dies übernahm. Rat der Stadt, Staatsanwaltschaft und Oberbürgermeister wurden alarmiert. Schließlich gelangen die Besetzung des Gebäudes und die Versiegelung der Räume. Noch am selben Abend wurde ein Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS gegründet. Mit dieser mutigen Aktion konnte die Vernichtung der Stasi-Akten gestoppt und dem Geheimdienst sein Schrecken weitgehend genommen werden. (Foto: Dr. Steffen Raßloff) | ||
Zeile 21: | Zeile 21: | ||
Steffen Raßloff: '''Aus den Fesseln der Angst befreit. Die Stasi-Besetzung in Erfurt 1989.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 112 f. | Steffen Raßloff: '''Aus den Fesseln der Angst befreit. Die Stasi-Besetzung in Erfurt 1989.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 112 f. | ||
''' | Steffen Raßloff: '''[[Friedliche_Revolution_und_Landesgründung_in_Thüringen_1989/90|Friedliche Revolution und Landesgründung in Thüringen 1989/90]]'''. Erfurt 2009 (7. Auflage 2022). | ||
''' | Steffen Raßloff: '''[[Stasi Besetzung Erfurt 4. Dezember 1989|"Aus den Fesseln der Angst befreit." Die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt am 4. Dezember 1989]]'''. In: TOP Magazin Thüringen 4/2019, S. 20 f. | ||
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße|Gedenkstätte Andreasstraße]]''', '''[[Transparente_der_Friedlichen_Revolution_1989|Transparente von 1989]]''' | Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße|Gedenkstätte Andreasstraße]]''', '''[[Transparente_der_Friedlichen_Revolution_1989|Transparente von 1989]]''', '''[[Runder Tisch Erfurt]]''' |
Aktuelle Version vom 27. Oktober 2022, 12:28 Uhr
Besetzung Stasi-Bezirksverwaltung 1989
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (27.10.2012)
Die Angst überwunden
DENKMALE IN ERFURT (69): Mit der Besetzung der ersten Stasi-Bezirksverwaltung gab Erfurt am 4. Dezember 1989 ein DDR-weites Signal.
Der „Wende“-Herbst 1989 ist noch vielen Zeitgenossen auch in Erfurt in lebendiger Erinnerung. Jene Wochen voller dramatischer, tief emotionaler Ereignisse, an deren Ende die vermeintlich in Beton gegossene SED-Herrschaft ein Ende fand, lassen sich wohl kaum vergessen. Auch wenn nicht alle der für viele DDR-Bürger damit verbundenen Hoffnungen aufgegangen sind, so wird man doch mit Dankbarkeit auf diese Zeit blicken können. Noch immer verblüfft dabei die weitgehende Gewaltlosigkeit der Friedlichen Revolution. In der Rückschau muss man aber betonen, dass dies für die Akteure so keineswegs abzusehen war. Insbesondere das „Schild und Schwert der Partei“, das Ministerium für Staatssicherheit, hatte über Jahrzehnte eine Atmosphäre der Angst und Verunsicherung verbreitet.
In Erfurt stand die Andreasstraße als Synonym für die Stasi. Hier war in der heutigen Polizeidirektion die Bezirksverwaltung des MfS untergebracht. Auch als die Bürgerbewegung längst ihren Protest aus den Kirchen auf die Straße verlagert hatte, wurde hier weiter der Kampf gegen die „Konterrevolution“ geplant. Die Erfurter Donnerstagsdemos hatten unterdessen am 26. Oktober 1989 ihren ersten Höhepunkt erfahren, als 40.000 Menschen auf dem Domplatz ihre Kritik an den Verhältnissen im Lande lautstark äußerten. Am 10. und 11. November mussten Oberbürgermeisterin Rosemarie Seibert und SED-Bezirkschef Gerhard Müller zurücktreten. Mit dem Berliner Mauerfall vom 9. November schien das Schicksal der DDR ohnehin besiegelt.
Und dennoch blieben die MfS-Einrichtungen vorerst unbehelligt. Erst unerschrockene Erfurter Bürger machten auch hier den Weg frei, sich endgültig „aus den Fesseln der Angst“ zu befreien, wie es auf der Gedenktafel in der Andreasstraße heißt. Hier fand am 4. Dezember 1989 die erste Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung statt, was DDR-weite Signalwirkung entfaltete. Kerstin Schön, Mitglied der Gruppe Frauen für Veränderung, rief in den Morgenstunden ihre Mitstreiterin Almuth Falcke an. Dicker Rauch aus den Schornsteinen des Stasi-Objektes ließ sie richtiger Weise eine umfassende Aktenvernichtung vermuten. Mit anderen Frauen aus ihrer Gruppe mobilisierten sie die Erfurter. Almuth Falckes Mann, Propst Heino Falcke, versperrte die Ausfahrt mit seinem Auto, ehe ein Müllfahrzeug dies übernahm. Rat der Stadt, Staatsanwaltschaft und Oberbürgermeister wurden alarmiert. Schließlich gelangen die Besetzung des Gebäudes und die Versiegelung der Räume. Noch am selben Abend wurde ein Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS gegründet. Mit dieser mutigen Aktion konnte die Vernichtung der Stasi-Akten gestoppt und dem Geheimdienst sein Schrecken weitgehend genommen werden. (Foto: Dr. Steffen Raßloff)
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Aus den Fesseln der Angst befreit. Die Stasi-Besetzung in Erfurt 1989. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 112 f.
Steffen Raßloff: Friedliche Revolution und Landesgründung in Thüringen 1989/90. Erfurt 2009 (7. Auflage 2022).
Steffen Raßloff: "Aus den Fesseln der Angst befreit." Die Besetzung der Stasi-Bezirksverwaltung Erfurt am 4. Dezember 1989. In: TOP Magazin Thüringen 4/2019, S. 20 f.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Gedenkstätte Andreasstraße, Transparente von 1989, Runder Tisch Erfurt