Erfurter Südseesammlung: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Beitrag der Serie [[Denkmale in Erfurt|Denkmale in Erfurt]] aus der Thüringer Allgemeine von [[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]] (03.03.2012)'''  
'''Die Erfurter Südseesammlung ist der bedeutendste Bestand des kolonialen Erbes in den Museen der Landeshauptstadt. Sie wurde 1889 von Konsul Wilhelm Knappe, einem gebürtigen Erfurter, angekauft.'''  




'''Denkmal der exotischen Art'''
[[Datei:SuedseesammlungBoot.jpg|400px|right]]Die rund 600 Objekte der Erfurter Südseesammlung gehören zu den außergewöhnlichen Beständen der Erfurter Museen. Vieles ist von großem Wert, da die teils vom Sammler in einem Katalog in ihrem Kontext beschriebenen Gegenstände wichtige Rückschlüsse auf die Menschen der Südsee unmittelbar vor der kulturellen Überformung durch die Kolonialmächte ermöglichen. So gibt es kein weiteres „Walap“- Auslegersegelboot von den Marshallinseln – eine ethnologische Rarität von Weltrang (Foto: Stadt Erfurt, Dirk Urban).


DENKMALE IN ERFURT (35): Erfurts Südseesammlung ist ein herausragendes Kulturdenkmal. Leider wird ihr und ihrem Schöpfer Wilhelm Knappe wenig Aufmerksamkeit zuteil.  
1889 hatte der Erfurter '''[[Wilhelm Knappe]]''' seine Sammlung an die Stadt verkauft. Er war als Kaiserlicher Kommissar auf den Marshallinseln und Konsul auf Samoa aktiv. Der Diplomat sammelte keine Trophäen, vielmehr zeugen gerade die vielen Alltagsgegenstände vom Interesse für die Einheimischen, deren Sprache er erlernte. Hinweise auf unrechtmäßigen Erwerb gibt es nicht, zumal Knappe zu Beginn der Kolonialzeit aktiv war. So verfügte er für die 1000 Marshallinseln nur über einen Polizisten, was gewaltsame Raubzüge sehr unwahrscheinlich macht. Zwar war er auf Samoa 1889 in einen Kolonialkonflikt verwickelt, galt aber nie als kolonialer Scharfmacher und Rassist.  


Knappes in der DDR-Zeit in Vergessenheit geratene Sammlung erlebte 2005 mit der Sonderausstellung '''[[Reisen ins Paradies]]''' eine Renaissance. Zuvor war sie mit Experten des Grassi-Museums für Völkerunde Leipzig fachlich aufgearbeitet und restauriert worden. Es erschienen ein Katalog und eine Knappe-Biographie, das Echo war beachtlich. Danach wurde es allerdings wieder ruhig um die Sammlung. Sie kann nur auf Anfrage im Schaudepot Benaryspeicher besichtigt werden. Im Rahmen der vom Stadtrat 2021 beschlossenen Beschäftigung mit dem '''[[Koloniales Erbe in Erfurt|kolonialen Erbe Erfurts]]''' könnte sie nun wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies sollte ohne ideologische Vorverurteilungen mit seriöser Provenienzforschung beginnen.


[[Datei:SuedseesammlungBoot.jpg|400px|right]]Denkmale müssen nicht immer aus Stein oder Bronze sein und auf belebten Plätzen stehen. Manches Kulturdenkmal entfaltet seine Wirkung eher im Verborgenen. Hierzu gehört auch einer der exotischsten Schätze der Stadt Erfurt. Rund 600 Objekte vom Alltagsgenstand über diverse Schmuck- und Kunstgegenstände bis hin zum sechs Meter langen Auslegersegelboot mit Bastsegeln umfasst die Erfurter Südseesammlung. Vieles hiervon ist von großem wissenschaftlichem Wert, da die Gegenstände wichtige Rückschlüsse auf die Menschen der Südsee unmittelbar vor der kulturellen Überformung durch die westliche Welt ermöglichen. So gibt es beispielsweise kein einziges weiteres erhaltenes „Walap“- Auslegersegelboot von den Marshallinseln – eine ethnologische Rarität von Weltrang (Foto: Stadtmuseum Erfurt, Dirk Urban).  
Dabei geht es auch um Differenzierung, so Kunsthistoriker Stefan Trinks: "Es waren aber die Sammler mit ihrer Empathie, die sich als Alternative und als Korrektoren gegenüber Räubern und Versklavern empfanden und damit viele Zeugnisse indigener Kulturen vor einer Zerstörung bewahrten." (FAZ, 23.08.20) Zu diesen Sammlern im Geiste von Herder und Humboldt darf man nach jetzigem Kenntnisstand auch Wilhelm Knappe zählen. Keineswegs alle Südsee-Exponate sind blutiges Raubgut, wie Götz Alys Buch "Das Prachtboot" (2021) mit Blick auf das Luf-Boot im Berliner Humboldt Forum medienwirksam suggeriert. Der Bayreuther Professor Hermann Hiery, einer der besten Kenner der deutschen Südsee-Geschichte, macht auf die fehlende wissenschaftliche Tiefe und Ausgewogenheit von Alys Buch aufmerksam. Der Erwerb war meist komplexer als das Täter-Opfer-Schema der postkolonialen Geschichtsschreibung, so die Göttinger Ethnologie-Professorin Brigitta Hauser-Schäublin. Papua-Neuguinea beabsichtigt im übrigen ausdrücklich keine Rückführung und sieht das Boot als wichtigen Werbeträger in Europa (RBB, 10.05.21).      


1889 hatte der gebürtige Erfurter Dr. Wilhelm Knappe diese von ihm zusammengetragene Sammlung an das Städtische Museum Erfurt verkauft. Knappe war als Kaiserlicher Kommissar und Konsul u.a. auf den Marshallinseln und auf Samoa aktiv. Mit dem vorurteilslosen Blick des völkerkundlich interessierten Diplomaten sammelte er nicht nur Schmuck und Trophäen für die ferne Heimat. Vielmehr zeugen gerade die vielen Alltagsgegenstände vom Interesse für die Kultur der Einheimischen, für die sich Knappe auch dienstlich einsetzte. Obwohl er 1889 auf Samoa in einen unglücklichen kriegerischen Konflikt verwickelt und sicher auch in vielerlei Hinsicht "Kind seiner Zeit" des Kolonialismus und Imperialismus war, galt er auch später als Generalkonsul in China nicht als säbelrasselnder Hardliner und Rassist. Zeitgenossen und heutige Forscher zollten und zollen ihm Respekt.
('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')
 
Seine in der DDR-Zeit in Vergessenheit geratene Sammlung erlebte im Jahre 2005 mit der Sonderausstellung in der Kunsthalle Erfurt "'Reisen ins Paradies' Die Erfurter Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst" eine großartige Renaissance. Zuvor war die heute zum Museum für Thüringer Volkskunde gehörende Sammlung mit Unterstützung von Experten des Grassi-Museums für Völkerunde Leipzig fachlich aufgearbeitet und restauriert worden. Es erschienen ein Ausstellungskatalog und eine Knappe-Biographie. Das Echo weit über Thüringen und Deutschland hinaus war beachtlich. Seither ist es allerdings wieder ruhig geworden um die Erfurter Südseesammlung und ihren Schöpfer. Sie kann mit eingeschränkten Öffnungszeiten im Schaudepot Benaryspeicher besichtigt werden. ''(Artikel leicht aktualisiert)'' 
 
'''''>''' Die Sammlung im Benaryspeicher soll im Rahmen der vom Stadtrat 2020 beschlossenen Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Sie war 2019 mit der umstrittenen Ausstellung '''[[Kolonialismus in Erfurt]]''' wieder in den Fokus geraten.''




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Steffen Raßloff: '''[[Wilhelm Knappe|Wilhelm Knappe (1855-1910). Staatsmann und Völkerkundler im Blickpunkt deutscher Weltpolitik]].''' Jena 2005.  
Steffen Raßloff: '''[[Wilhelm Knappe|Wilhelm Knappe (1855-1910). Staatsmann und Völkerkundler im Blickpunkt deutscher Weltpolitik]].''' Jena 2005.  


Steffen Raßloff: '''[[Geschichte_Erfurter_Museen|Die Erfurter Museen. Kulturgeschichte im Spannungsfeld von Gesellschaft und Politik]]'''. In: Stadt und Geschichte 18 (2003). S. 24 f.  
Steffen Raßloff: '''Deutsche Weltpolitik.''' In: '''[[Deutsche Geschichte|Deutsche Geschichte. Die große Bild-Enzyklopädie]]'''. München 2024 (2. Auflage).
 
Horst Gründer/Hermann Hiery (Hg.): '''Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick.''' Berlin 2022 (3. Auflage).




Siehe auch:  '''[[Wilhelm Knappe]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Museen in Erfurt]]''', '''[[Kolonialismus in Erfurt|Kolonialismus-Kontroverse]]'''
Siehe auch:  '''[[Wilhelm Knappe]]''', '''[[Koloniales Erbe in Erfurt]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Geschichte Erfurter Museen|Geschichte der Erfurter Museen]]'''

Aktuelle Version vom 27. Juni 2024, 06:34 Uhr

Erfurter Südseesammlung

Die Erfurter Südseesammlung ist der bedeutendste Bestand des kolonialen Erbes in den Museen der Landeshauptstadt. Sie wurde 1889 von Konsul Wilhelm Knappe, einem gebürtigen Erfurter, angekauft.


SuedseesammlungBoot.jpg

Die rund 600 Objekte der Erfurter Südseesammlung gehören zu den außergewöhnlichen Beständen der Erfurter Museen. Vieles ist von großem Wert, da die teils vom Sammler in einem Katalog in ihrem Kontext beschriebenen Gegenstände wichtige Rückschlüsse auf die Menschen der Südsee unmittelbar vor der kulturellen Überformung durch die Kolonialmächte ermöglichen. So gibt es kein weiteres „Walap“- Auslegersegelboot von den Marshallinseln – eine ethnologische Rarität von Weltrang (Foto: Stadt Erfurt, Dirk Urban).

1889 hatte der Erfurter Wilhelm Knappe seine Sammlung an die Stadt verkauft. Er war als Kaiserlicher Kommissar auf den Marshallinseln und Konsul auf Samoa aktiv. Der Diplomat sammelte keine Trophäen, vielmehr zeugen gerade die vielen Alltagsgegenstände vom Interesse für die Einheimischen, deren Sprache er erlernte. Hinweise auf unrechtmäßigen Erwerb gibt es nicht, zumal Knappe zu Beginn der Kolonialzeit aktiv war. So verfügte er für die 1000 Marshallinseln nur über einen Polizisten, was gewaltsame Raubzüge sehr unwahrscheinlich macht. Zwar war er auf Samoa 1889 in einen Kolonialkonflikt verwickelt, galt aber nie als kolonialer Scharfmacher und Rassist.

Knappes in der DDR-Zeit in Vergessenheit geratene Sammlung erlebte 2005 mit der Sonderausstellung Reisen ins Paradies eine Renaissance. Zuvor war sie mit Experten des Grassi-Museums für Völkerunde Leipzig fachlich aufgearbeitet und restauriert worden. Es erschienen ein Katalog und eine Knappe-Biographie, das Echo war beachtlich. Danach wurde es allerdings wieder ruhig um die Sammlung. Sie kann nur auf Anfrage im Schaudepot Benaryspeicher besichtigt werden. Im Rahmen der vom Stadtrat 2021 beschlossenen Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe Erfurts könnte sie nun wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies sollte ohne ideologische Vorverurteilungen mit seriöser Provenienzforschung beginnen.

Dabei geht es auch um Differenzierung, so Kunsthistoriker Stefan Trinks: "Es waren aber die Sammler mit ihrer Empathie, die sich als Alternative und als Korrektoren gegenüber Räubern und Versklavern empfanden und damit viele Zeugnisse indigener Kulturen vor einer Zerstörung bewahrten." (FAZ, 23.08.20) Zu diesen Sammlern im Geiste von Herder und Humboldt darf man nach jetzigem Kenntnisstand auch Wilhelm Knappe zählen. Keineswegs alle Südsee-Exponate sind blutiges Raubgut, wie Götz Alys Buch "Das Prachtboot" (2021) mit Blick auf das Luf-Boot im Berliner Humboldt Forum medienwirksam suggeriert. Der Bayreuther Professor Hermann Hiery, einer der besten Kenner der deutschen Südsee-Geschichte, macht auf die fehlende wissenschaftliche Tiefe und Ausgewogenheit von Alys Buch aufmerksam. Der Erwerb war meist komplexer als das Täter-Opfer-Schema der postkolonialen Geschichtsschreibung, so die Göttinger Ethnologie-Professorin Brigitta Hauser-Schäublin. Papua-Neuguinea beabsichtigt im übrigen ausdrücklich keine Rückführung und sieht das Boot als wichtigen Werbeträger in Europa (RBB, 10.05.21).

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Marina Moritz/Kai Uwe Schierz (Hg.): Reisen ins Paradies. Die Erfurter Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst. Erfurt 2005.

Steffen Raßloff: Wilhelm Knappe (1855-1910). Staatsmann und Völkerkundler im Blickpunkt deutscher Weltpolitik. Jena 2005.

Steffen Raßloff: Deutsche Weltpolitik. In: Deutsche Geschichte. Die große Bild-Enzyklopädie. München 2024 (2. Auflage).

Horst Gründer/Hermann Hiery (Hg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick. Berlin 2022 (3. Auflage).


Siehe auch: Wilhelm Knappe, Koloniales Erbe in Erfurt, Geschichte der Stadt Erfurt, Geschichte der Erfurter Museen