Begegnungsstätte Kleine Synagoge
Begegnungsstätte Kleine Synagoge
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (20.09.2014)
Lebendiges Denkmal
DENKMALE IN ERFURT (165): Die Kleine Synagoge steht für die Neuansiedlung einer jüdischen Gemeinde im 19. Jahrhundert und ist heute eine Begegnungsstätte.
1349 löschte ein blutiger Pogrom die bedeutende jüdische Gemeinde in Erfurt brutal aus. Ihr imposantes Herzstück, die heutige Alte Synagoge, entging der Zerstörung nur durch die Umnutzung für profane Zwecke. Eine kurzlebige Wiederansiedlung im Bereich hinter dem Rathaus endete mit dem dauerhaften Ansiedlungsverbot 1458. Hierbei sollte es bis ins 19. Jahrhundert bleiben. Erst die Gesetzgebung Preußens, zu dem Erfurt seit 1802 bzw. endgültig seit 1814 gehörte, machte eine Neuansiedlung möglich. Der Bankier Salomon Levy Benary, Vater des bekannten Gartenbauunternehmers Ernst Benary, hatte hierbei das Eis gebrochen. Nach langen Querelen konnte er 1824 durch Kabinettsorder des Königs gegen den Willen des Stadtrates als einer der ersten Juden das Bürgerrecht erlangen. Viele weitere sollten folgen. Fortan gehörten jüdische Bürger auch zur angesehenen Honoratiorenschaft und erlangten Spitzenfunktionen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.
So war es nur folgerichtig, dass man Ausschau nach einem würdigen Versammlungsort hielt. Die Wahl fiel auf das Areal hinter dem Rathaus, wo sich im 15. Jahrhundert die letzte mittelalterliche Gemeinde angesiedelt hatte. Am 10. Juli 1840 weihte die jüdische Gemeinde die heutige Kleine Synagoge ein. Sie erfüllte allerdings nur knapp viereinhalb Jahrzehnte diesen Zweck. Dann diente sie nach dem Verkauf durch die Gemeinde als Lager, Produktionsgebäude und Wohnhaus. Seit den 1980er Jahren ließ die Stadt die Baugeschichte erforschen und das Gebäude sanieren. Bauforscher fanden die Mikwe sowie den Toraschrein und die Frauenempore. Der Betsaal zeigt sich heute nahezu im ursprünglichen Zustand. Die Kleine Synagoge dient dem Netzwerk „Jüdisches Leben Erfurt“ als Begegnungsstätte und zeigt eine Ausstellung über die Gemeinde des 19. und 20. Jahrhunderts.
Das Anwachsen der jüdischen Gemeinde mit einigen vermögenden Mitgliedern hatte schon bald den Wunsch nach einer größeren und repräsentativeren Synagoge entstehen lassen. 1884 wurde die Große Synagoge am heutigen Juri-Gagarin-Ring eingeweiht. Nach der Zerstörung durch die Nationalsozialisten 1938 entstand an gleicher Stelle nach dem Zweiten Weltkrieg 1952 die Neue Synagoge. So verfügt Erfurt heute über drei Synagogen mit verschiedener Nutzung, die zugleich die historische Entwicklung der jüdischen Gemeinde seit dem Mittelalter nachzeichnen: die Alte Synagoge als international beachtetes Baudenkmal und Museum, die Kleine Synagoge als lebendiges Begegnungszentrum und die Neue Synagoge als Mittelpunkt der thüringischen Landesgemeinde. (Foto: Alexander Raßloff)
2023 wurde das jüdische Erbe mit Alter Synagoge, Mikwe und Steinernem Haus auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Lesetipp:
Steffen Raßloff: Jüdisches Erbe von Weltrang. Synagoge, Schatz und Mikwe. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 32 f.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Jüdisches Erbe in Erfurt, UNESCO-Weltkulturerbe