Wandbilder zur Sagenwelt im Rathaus

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Die Wandbilder zur Sagenwelt im Erfurter Rathaus

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2007)


Erfurter Sagenschatz

Die Wandbilder im Rathaus-Treppenhaus (1)

Das Rathaus ist nicht nur die gute Stube Erfurts, sondern auch sein Bilderbuch. Neben den Höhepunkten der Stadtgeschichte im Festsaal hielt auch die Sagenwelt 1896 in Form der Treppenhausbilder von Prof. Kämpffer Einzug.

Bevor man von der monumentalen Vorhalle her das Treppenhaus des Erfurter Rathauses betritt, wird man links und rechts von zwei allegorischen Frauengestalten begrüßt. Sage und Geschichte führen den Besucher ein in die bunte Welt mythischer Gestalten und realer Persönlichkeiten unserer Region. Den Neugierigen erwarten Wandbildzyklen über die Tannhäuser-Sage, den Grafen von Gleichen, das Faust-Volksbuch und Martin Luther. Die im romantischen Stil des Spätklassizismus gehaltenen Bilder verweben dabei Reales und Sagenhaftes. Prof. Peter Janssens Wandbilder zur Stadtgeschichte im Rathausfestsaal hatten bei ihrer Einweihung 1882 das Wohlwollen der Stadtväter und großer Teile der Bevölkerung gefunden. Janssen war es auch, der die Ausmalung von Vorhalle, Treppenhaus und Fluren anregte. 1889 beauftragten Stadtverordnetenversammlung und Magistrat hiermit einen von Janssens Schülern, Prof. Eduard Kämpffer aus Düsseldorf, später in München ansässig. Anders als im Festsaal handelt es sich bei Kämpffers Bildern nicht um Wandbilder auf Putz, sondern um großformatige Leinwandmalereien, die auf die Wände aufgezogen wurden. 1890 begann der Künstler mit der Arbeit, Ende 1895 war das letzte Bild fertig gestellt. Kämpffer erhielt ein stolzes Honorar von 24.000 Reichsmark, die Stadt sorgte für die baulichen Hilfsmittel. Da sich die Entwürfe im Rahmen des offiziösen Kunstgeschmacks der Kaiserzeit bewegten, steuerte das preußische Kultusministerium eine Beihilfe von 12.000 Reichsmark zu. Zuvor hatte der Minister persönlich die Vorarbeiten begutachtet. Monumentalmalerei zur “nationalen Erziehung” galt seit 1874 als ausdrücklich förderungswürdig durch den Staat. Die im Mai 1896 eingeweihten Wandgemälde übten eine große Wirkung auf den zeitgenössischen Betrachter aus. Ihre künstlerische Ausführung und Abstimmung sowie die Komposition in den neogotischen Rathausbau gelten bis heute als gelungen. Zugleich waren die aufgegriffenen Themen und ihre romantische Verarbeitung sehr populär. Tannhäuser und der Venusberg alias Hörselberg bei Eisenach gehörten nicht erst seit der Wagneroper von 1845 zum Bildungskanon des deutschen Bürgertums. Die Sage vom zweibeweibten Grafen von Gleichen beschäftigte seit langem die Fantasie der Erfurter. Der Fauststoff war nicht nur weit verbreitet, sondern verband sich auch in einigen Episoden mit dem spätmittelalterlichen Erfurt und seiner Universität. Schließlich war man in der Lutherstadt Erfurt sehr stolz darauf, Wirkungsstätte des Studenten und “werdenden Reformators” gewesen zu sein. So vermitteln die Rathausbilder auch einen lebendigen Eindruck vom bürgerlichen Kunstgeschmack und Geschichtsbild des späten 19. Jahrhunderts.


Sünde und Vergebung

Die Treppenhausbilder im Rathaus (2): Tannhäuser

Tannhäuser war eine der populärsten Sagengestalten des 19. Jahrhunderts. Spätestens mit Wagners Oper von 1845 wurde der Sagenstoff zum Allgemeingut. Im Rathaus wird besonders der christliche Aspekt von Sünde und Vergebung hervorgehoben.

Ewige Bekanntheit wurde dem Minnesänger Tannhäuser durch Richard Wagners romantische Oper von 1845 beschert. Wagner hatte sich dabei besonders durch die Sagen vom Thüringer Ludwig Bechstein „Die Mähr von dem Ritter Tannhäuser“, „Der Sängerkrieg auf der Wartburg“ und „Die heilige Elisabeth“ inspirieren lassen. Freilich geht die Sage um den dichtenden Ritter, der im Venusberg Sünde verübte und vom Papst keine Vergebung erhielt, bis ins 14. Jahrhundert zurück. Und ewig lockt das Weib, so könnte man das erste Bild von Eduard Kämpffer im Treppenaufgang zur ersten Etage mit einem Filmklassiker von Brigitte Bardot umschreiben. Nahezu magisch zieht es den Sagenhelden in den Venusberg alias Hörselberg bei Eisenach. Die für die prüde Zeit um 1900 recht offenherzig dargestellte Liebesgöttin mag die Phantasie manches männlichen Betrachters über das Treiben im Erdinneren beflügelt haben. Selbst der getreue Ekkehart, ebenfalls eine bekannte Sagengestalt, kann Tannhäuser nicht zurück halten. Trotz aller Verführungskünste der heidnischen Göttin und ihrer Gespielinnen wird sich Tannhäuser jedoch nach sieben Jahren im Traum seines sündigen Lebens bewusst. Bild drei zeigt, wie der Sünder als Rom-Pilger nicht die erbetene Vergebung erhält und verzweifelt zusammen bricht. Wagner lässt den Papst mit Blick auf seinen Hirtenstab ausrufen: „Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblühn.“ Jene zumindest indirekte Kritik am unbarmherzigen Papst hatte der Oper lange Zeit im katholischen Raum Widerstand eingebracht, was in der protestantischen Lutherstadt Erfurt freilich kein Problem darstellte. Im Pilgergewandt schleppt sich Tannhäuser auf dem vierten Bild bei eisiger Kälte von Italien zurück in die Heimat. Im letzten Bild “schummelt” Kämpffer etwas, indem er Tannhäuser in den winterlichen Alpen sterben lässt. In der üblichen Sagenform kehrt er jedoch nach Thüringen zurück, um erneut im Venusberg zu verschwinden oder wie bei Wagner durch den Namen der Heiligen Elisabeth hiervor bewahrt zu werden. Das Erblühen des päpstlichen Priesterstabes als Zeichen der Vergebung durch Gott wird von Kämpffer ebenso ausgespart wie der bei Wagner in die Opernhandlung eingebaute Sängerkrieg auf der Wartburg. So spitzt sich der Bilderzyklus auf den christlichen Aspekt Sünde und Vergebung zu, indem dem sterbenden Tannhäuser zum Zeichen der Gnade Gottes von zwei Engeln ein Rosenkranz aufs Haupt gesetzt wird.


Der zweibeweibte Graf

Die Treppenhausbilder im Rathaus (3): Graf von Gleichen

Die Grafen von Gleichen sind eng mit der Erfurter Stadtgeschichte verbunden. Diesem edlen Geschlecht verdankt sich zugleich eine der reizvollsten Sagen, die bis heute die Phantasie der Erfurter anregt, die Sage vom zweibeweibten Grafen.

Im Flur des ersten Obergeschosses im Rathaus gestaltete Prof. Eduard Kämpffer in sechs Bildern die Sage vom Grafen von Gleichen. Jenes Adelsgeschlecht gehörte zu den ältesten und einflussreichsten in Thüringen. Der Erzbischof von Mainz übertrug ihnen 1120 die Vogtei über die Stadt Erfurt. Sie verfügten über umfangreichen Grund- und Lehnsbesitz in der Stadt (Grafengasse) und ihrer Umgebung, darunter die namensgebende Burg Gleichen, eine der “Drei Gleichen”. So wichtig die Gleichen für Erfurts Geschichte auch sind, zu “sagenhafter” Bekanntheit hat ihnen aber erst die Geschichte vom zweibeweibten Grafen Ernst verholfen. Dieser soll als Kreuzfahrer in Palästina von einer Sultanstochter aus der Gefangenschaft befreit worden sein und diese dann mit päpstlicher Genehmigung zur zweiten Gattin genommen haben. Den Anstoß für die Sage mag die 1813 von der Peterskirche in den Dom verlegte Grabplatte eines Grafen von Gleichen aus dem 13. Jahrhundert gegeben haben. Sie zeigt diesen mit zwei Frauen. Erstmals erwähnt wird die vermeintliche Doppelehe in einem Brief Landgraf Philipps von Hessen 1539 an Luther, der sich für die Legalisierung seiner problematischen Zweitehe mit Margarethe von der Saale einsetzen sollte. Von da an wurde der Stoff immer wieder von Historikern und Dichtern aufgegriffen. Freilich konnte die Geschichtswissenschaft die Sage nicht beglaubigen, was deren Reiz aber keinen Abbruch tut. Mittlerweile hat der mdr die Geschichte sogar verfilmt, es gibt ein Musical, das seit 2006 auf Gut Ringhofen bei Mühlberg aufgeführt wird. Die Bilder im Rathaus von 1896 stehen am Anfang dieser Medienkarriere. Im romantischen Stil der übrigen Rathausbilder gehalten, darf man sie nach wie vor als eine der eindrucksvollsten Darstellungen der Sage ansehen. Zunächst nimmt die Gräfin auf den Zinnen der Burg Gleichen mit ihrem Kind im Arm Abschied von ihrem Gemahl, der sich dem Kreuzzug ins Heilige Land anschließt. Die kommenden Bilder zeigen die Gefangennahme des Grafen während einer Schlacht mit den Sarazenen und die Begnadigung auf Bitte der Sultanstochter Melechsala. Diese Schöne aus dem Morgenland hatte sich in den wackeren Thüringer verliebt und verhalf ihm zur Flucht auf abenteuerlichen Wegen. In Europa angekommen, zeigt sich der Graf dankbar und erwählt Melechsala zu seiner zweiten Gemahlin. Mit päpstlicher Erlaubnis lässt er sich auf der heimatlichen Burg Gleichen trauen. Die Gräfin nimmt, obwohl man ihr auf dem letzten Bild die zwiespältigen Gefühle ansehen kann, Melechsala wie eine Schwester auf, die ihr den Gatten gerettet hat. Fortan sollen alle drei in einem großen Ehebett geschlafen haben, das bis 1813 im Herrenhaus der Burg zu sehen war. An die glückliche Heimkehr des Grafen erinnert bis heute das “Freudenthal” unterhalb der Burgruine, das vielen Erfurtern als beliebtes Ausflugsziel vertraut ist.


Teuflischer Gelehrter

Die Treppenhausbilder im Rathaus (4): Faust

Johann Faust war schon lange vor Goethes Trägodie einer der bekanntesten Sagenhelden. Einige Episoden aus dem Volksbuch vom wissbegierigen Gelehrten, der sich dem Teufel verschrieben hat, spielen auch in Erfurt.

Faust, der Gelehrte und Wundertäter, der über seine Grenzen hinaus strebt und sich sogar dem Teufel verschrieben hat, fasziniert die Menschen seit jeher. Vom Volksbuch des 16. Jahrhunderts über Goethes bekannte Tragödie bis heute wurde und wird der Stoff immer wieder aufgegriffen. Auch malerische Darstellungen gibt es viele. Die Wandbilder Prof. Kämpffers im Rathaustreppenhaus von 1896 gehören mit zu den eindrucksvollsten. Kämpffer bezieht sich bei den drei Bildern im Aufgang zum zweiten Obergeschoss auf die Faustgestalt des 1587 erstmals erschienenen Volksbuches. Ein Georg oder Johann Faust zog als Gaukler und Wundertäter in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch die deutschen Lande. Er konnte in jener Zeit des Aufbruchs in die Neuzeit, geprägt von Renaissance, Humanismus und Reformation, viele Menschen ansprechen. Gelehrte und Kirche sahen in ihm freilich meist einen Ketzer und Scharlatan. Der mysteriöse Tot Fausts 1541 im badischen Staufen lieferte den Anstoß für die Sage vom Teufelspakt. Das dritte Bild zeigt die vom Höllenfürsten grausig zugerichtete Leiche auf einem Misthaufen. Freilich schildert das Volksbuch Faust auch als großen Gelehrten, der an Adelshöfen und Universitäten spektakuläre Auftritte hatte. Auf dem ersten Bild lässt er vor keinem Geringeren als Kaiser Karl V. den Makedonenkönig Alexander den Großen und dessen Gemahlin Roxane erscheinen. Das Kohlebecken, aus dessen Rauch die antiken Gestalten vermeintlich erscheinen, mag zusammen mit der Sensations- und Glaubenswilligkeit jener Zeit andeuten, worauf Fausts “Wunder” beruhten. Großen Eindruck soll “Doktor Faustus” nicht zuletzt auf den akademischen Nachwuchs ausgeübt haben. An der Universität Erfurt, um 1500 noch immer eine der renommiertesten Hochschulen des Reiches, hielt er laut Volksbuch Vorlesungen über Homer. Natürlich waren die mit der antiken Mythologie vertrauten Studenten begeistert, dass ihnen die Gestalten Homers wortwörtlich vor Augen geführt wurden. Allerdings war doch, wie auf dem zweiten Bild zu sehen, der Schrecken groß, als der einäugige Zyklop Polyphem seine Riesenhand nach den Zuschauenden ausstreckte. Soweit die Sage. Aber auch der historische Faust hielt sich in Erfurt auf. Der Humanist Mutianus Rufus etwa spricht davon, den “Schwätzer” 1513 in einer Gastwirtschaft gehört zu haben. Hieraus erkennt man die Geringachtung durch einen angesehenen Erfurter Gelehrten. Erst die Dichtung Goethes hat Faust endgültig zum typischen Renaissancemenschen stilisiert, erfüllt von grenzenlosem Wissens- und Tatendrang. So bleibt denn auch Goethes Faust ein solch schreckliches Ende wie das vom “Doktor Faustus” im Rathaus erspart.


Der "werdende Reformator"

Die Treppenhausbilder im Rathaus (5): Martin Luther

Im protestantischen Erfurt war man um 1900 sehr stolz darauf, Heimstatt des Studenten und “werdenden Reformators” Martin Luther gewesen zu sein. So ließ man es sich nicht nehmen, ihm den größten Wandbildzyklus im Rathaus zu widmen.

Seine geistigen Grundlagen hat der Reformator Martin Luther an der Universität Erfurt und im hiesigen Augustinerkloster erworben. In der mehrheitlich protestantischen Lutherstadt war man daher seit dem 16. Jahrhundert stolz darauf, Stätte des “werdenden Reformators” zu sein. Dies dokumentiert sich in zahlreichen authentischen Erinnerungsorten, in Denkmalen und Traditionen, so dem Martinsfest am 10. November oder dem Lutherdenkmal am Anger. Im Rathaus schmückt seit 1896 ein Wandbildzyklus mit sieben Episoden aus Luthers Erfurter Zeit den Flur des zweiten Obergeschosses. Prof. Eduard Kämpffer verwob hierbei in romantischer Manier historische und sagenhafte Momente. Freilich lässt sich auch für die Wissenschaft kaum das Gewirr von widersprechenden Quellen und legendärer Ausschmückung der frühen Lutherbiographie entwirren. Insbesondere der entscheidende Wendepunkt, der Klostereintritt 1505 nach dem Stotternheimer Gewittererlebnis, beschäftigt bis heute Theologen, Religionswissenschaftler und Historiker. So wird etwa der Tod des Freundes Alexius, den Luther auf dem ersten Bild betrauert, nur in wenigen Überlieferungen mit dem Gewitter in Verbindung gebracht. Das Ereignis als solches, an das nahe Stotternheim seit 1917 ein Gedenkstein mit der Aufschrift “Werdepunkt der Reformation” erinnert, ist unstrittig. Luther hatte seit 1501 an der Universität Erfurt studiert und nach der Magisterprüfung 1505 gerade das lukrative Studium der Rechte begonnen. Am 2. Juli 1505 wurde er nach dem Besuch seiner Eltern in Mansfeld auf dem Rückweg bei Stotternheim von einem schweren Gewitter überrascht und soll in Todesangst gerufen haben: “Heilige Anna, hilf! Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden”. Tatsächlich trat Luther am 17. Juli ins Augustinereremitenkloster ein. Weder die Vorhaltungen des Vaters, zu sehen auf dem vierten Bild, noch der Freunde können ihn von diesem Schritt abhalten. Die Bilder zwei und drei zeigen Luther an der Klosterpforte und als Bettelmönch auf der Treppe zur Krämerbrücke. Verzweifelt rang er in seiner Klosterzelle um die Gnade Gottes. Dass er sich dabei bis zur Besinnungslosigkeit gegeißelt hat, wie es Kämpffer auf Bild fünf darstellt, ist nicht belegt. Keinen Zweifel gibt es aber am intensiven Bibelstudium von “Bruder Martin”, der Theologie zu studieren begann. In der Erfurter Klosterzelle bereiteten sich die Grundansichten des großen Kirchenreformators vor. Dass man in Erfurt die 1517 von Wittenberg aus angestoßene Reformation begeistert aufnahm, zeigt das letzte Bild. Es stellt den Empfang Luthers am 6. April 1521 durch hohe Repräsentanten von Stadt und Universität dar. Der Reformator befand sich auf der Reise von Wittenberg zum Wormser Reichstag, um seine “ketzerischen” Ansichten vor dem Kaiser zu verantworten. Der triumphale Empfang in Erfurt dürfte ihn in dem Entschluss, seine Lehren nicht zu widerrufen, gestärkt haben.