Tolle Jahre Stadtmuseum

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Tolle Jahre - An der Schwelle der Reformation

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Erfurt gilt als die wichtigste Lutherstadt neben Wittenberg. Der junge Lateinschüler trat 1501 in die renommierte Universität Erfurt ein, wurde 1505 Magister der philosophischen „Künste“, brach sein Jura-Studium nach dem Stotternheimer „Gewittererlebnis“ ab und trat am 17. Juli 1505 ins Augustinerkloster ein. Bis zu seinem Wegzug nach Wittenberg 1511 rang er hier um einen „gnädigen Gott“, was in die reformatorischen Grunderkenntnisse münden sollte. Dieser Umstand als bedeutender Ort für die Biographie Luthers spielt für das historisch-kulturelle und touristische Selbstverständnis Erfurts eine große Rolle. Im Rahmen der „Lutherdekade“ bis 2017 soll das Profil Erfurts als Lutherstadt weiter geschärft werden.

Dabei ist bisher schon Bahnbrechendes geschehen, besonders was die authentischen Lutherorte in der Stadt angeht. Die Bildung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) 2009 hat dies mit befördert. Das Collegium maius, Hauptgebäude von Luthers Universität, wurde 2011 als Sitz des neuen Landeskirchenamtes rekonstruiert. Der gotische Festsaal gehört seither wieder zu den stimmungsvollsten Veranstaltungsstätten Erfurts, in dem die COLLEGIUM MAIUS ABENDE von Kirche und Universitätsgesellschaft stattfinden. Das Augustinerkloster ist seit dem großen Lutherjubiläum 1983 zu einem der wichtigsten evangelischen Kultur- und Tagungszentren in Deutschland geworden und konnte seinen komplexen Wiederaufbau 2011 abschließen. Diese beiden Leuchttürme ragen heraus aus einem dichten Geflecht weiterer historischer Erinnerungsorte.

Hiermit korrespondierend soll sich das Stadtmuseum im „Haus zum Stockfisch“ in der Johannesstraße zum zentralen Ort der musealen Erinnerungskultur in der Lutherstadt Erfurt wandeln. Seit der Teileröffnung einer neuen Dauerausstellung 1994 sind mittlerweile fast zwei Jahrzehnte vergangen, in denen sich sowohl historische Forschung als auch museale Standards weiterentwickelt haben. Für regelmäßige Sonderausstellungen musste zudem immer wieder Platz gemacht werden. Mit der zukünftigen Nutzung des Hauses „Zum Krönbacken“ für Sonderausstellungen gemeinsam mit den Kunstmuseen konnte dieses Problem gelöst werden. Die Lutherdekade gab schließlich den Anstoß, die Neukonzeption anzupacken.

Das Stadtmuseum versteht sich natürlich weiterhin als Einrichtung, die dem Besucher einen informativen und kurzweiligen Überblick zur gesamten Stadtgeschichte bietet. Zu klassischen Formen der Präsentation treten dabei moderne Mittel wie ein Erfurt-Film „Steinerne Chronik“ zur Stadtentwicklung im neuen Veranstaltungsraum im Gewölbekeller. Über die eigenen Mauern hinaus soll der „Stockfisch“ aber auch sehr viel stärker den Knotenpunkt eines „Netzwerkes Stadtgeschichte“ bilden. In der Ausstellung wird an vielen Stellen auf die Geschichtsorte verwiesen, neben den genannten Lutherstätten etwa auf die Georgenburse in der Augustinerstraße, wo eine Dauerausstellung Aspekte der Erfurter Universitätsgeschichte und Luthers Zeit als Student und Dozent vertieft. Solche Verweise gibt es weiterhin zur Alten Synagoge, zum Museum Neue Mühle und dem Druckereimuseum im Benaryspeicher. Die Wasserburg Kapellendorf, einst ein Reichslehen der Stadt Erfurt, wird ebenfalls weiterhin vom Stadtmuseum betreut.

Die neue Dauerausstellung umfasst den Keller, das Erdgeschoss und die erste Etage, zeitlich spannt sich der Rahmen von der Ur- und Frühgeschichte (im Keller) bis zur Reformationszeit. Im Mittelpunkt steht zunächst die Präsentation der spätmittelalterlichen Blütezeit in den beiden großen Erdgeschosshallen, die gleichsam die „Vorgeschichte“ der Reformation bieten. Konkret will das Erfurter Stadtmuseum erstmalig Einblicke in ihre Entstehungsbedingungen vor einem stadthistorischen Hintergrund ausbreiten. Die Metropole, die den späteren Reformator Luther maßgeblich geprägt hat, soll für den Besucher in ihrer ganzen Macht und Pracht erlebbar werden.

Hierzu dient besonders die Präsentation der Ausstattungsstücke der Ratshalle im alten Rathaus (große Setzschilde, Armbrust, Wandbilder, Ratssilber), über die das Museum verfügt bzw. von denen hochwertige Repliken angefertigt wurden. Auch das monumentale Wappen über dem einstigen Hauptportal ist ausgestellt. Erklärt wird das Funktionieren der Stadt (Bevölkerung, Ratsherrschaft, Stadtverteidigung, Gerichtswesen etc.) und deren Stellung als Metropolis Thuringiae. Die reichsstadtähnliche Metropole Thüringens konnte vom 13. bis 17. Jahrhundert weitgehende Autonomie von ihrem Stadtherrn, dem Mainzer Erzbischof, behaupten. Mit seinem großen Territorium bildete das „Land Erfurt“ einen beachtlichen Machtfaktor in der Region. Die aufwändige Präsentation, in die auch das alte Rathausportal integriert wurde, erfolgt in der repräsentativen Mittelhalle.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Selbstverständnis der Kommune als „sakrale Gemeinschaft“, in der weltliche und religiöse Sphäre eng verwoben waren. Hierfür wird in der anschließenden Nordhalle das „thüringische Rom“ mit seinen über 40 Gotteshäusern erlebbar gemacht. Schwerpunkte bilden etwa die mittels einer multimedialen Karte aufgeschlüsselte Kirchenlandschaft, sakrale Kunst und das Peterskloster als herausragender Ort von Kultur und Bildung. Zutage treten dabei auch die immer größeren Spannungen an der Schwelle zur Reformation, von der Erfurt schließlich heftig ergriffen werden sollte.

Ist all dies seit dem 20. Mai 2012 im Hause zu erleben, werden sich im Herbst in einem zweiten Schritt die Komplexe Universität, Geistesleben und Reformation im ersten Obergeschoss anschließen. Das Haus verfügt hierfür über hochkarätige Exponate zur Universitätsgeschichte, eine Sammlung von Reformationsdrucken und Flugschriften sowie eine Sammlungen zur Luther-Rezeption. Höhepunkte sind etwa die Insignien der mit ihrem Gründungsprivileg von 1379 ältesten Universität im heutigen Deutschland. Dementsprechend nimmt die Rolle der Stadt für die biographische Entwicklung Luthers natürlich breiten Raum ein. Das Haus hat sich dabei ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Angestrebt wird nicht nur eine isolierte Abhandlung des Erfurter Geschehens. In Ergänzung zu den authentischen Lutherstätten von Eisleben bis Wittenberg soll ein korrespondierendes Bild entstehen, dass die allgemeine Luther- und Reformationsrezeption ergänzt.


Hardy Eidam und Steffen Raßloff: Tolle jahre - An der Schwelle der Reformation. Die neue Dauerausstellung im Stadtmuseum. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 51 (2012). S. 34.