Reisen ins Paradies: Unterschied zwischen den Versionen

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 4: Zeile 4:




[[Datei:Paradies-Katalog-2005.jpg|310px|right]]Ende  des  19.  Jahrhunderts  trug  der  aus Erfurt stammende Konsul Dr. Wilhelm Knappe (1855-1910) in Neuguinea, den Marshall- und Samoainseln und anderen ozeanischen Gefilden  eine  einzigartige  Sammlung  von Ethnographica zusammen. Bürgerschaftliches  Engagement  ermöglichte  1889  den  Ankauf  der ursprünglich etwa  900  Objekte  –  Gebrauchs-  und  Kultgegenstände,  Musikinstrumente,  Schmuckund Waffen  –  durch  die  Stadt  Erfurt.  Zu  den herausragendsten Stücken gehört ein „walap“-Auslegerboot  von  den  Marshallinseln. Es ist das weltweit einzig vollständig erhaltene Exemplar. Dazu bestimmt, das 1886 gegründete Städtische Museum um eine  Attraktion zu bereichern, konnte die Öffentlichkeit 1888 die Sammlung  erstmals in der  Aula  der Realschule Himmelspforte besichtigen. Von 1890 bis 1935 war sie dann  im Erfurter Großen Hospital (heute: Museum für Thüringer Volkskunde)   ausgestellt. Während dieser Zeit kamen neue Exponate hinzu, andere wurden abgegeben. Erhalten geblieben sind gut 600 Objekte, die sich heute im Besitz des Museums  für  Thüringer  Volkskunde  befinden.  
[[Datei:Paradies-Katalog-2005.jpg|310px|right]]Ende  des  19.  Jahrhunderts  trug  der  aus Erfurt stammende Konsul Dr. Wilhelm Knappe (1855-1910) in Neuguinea, den Marshall- und Samoainseln und anderen ozeanischen Gefilden  eine  einzigartige  Sammlung  von Ethnographica zusammen. Bürgerschaftliches  Engagement  ermöglichte  1889  den  Ankauf  der etwa  900  Objekte  –  Gebrauchs-  und  Kultgegenstände,  Musikinstrumente,  Schmuck und Waffen  –  durch  die  Stadt  Erfurt.  Zu  den herausragenden Stücken gehört ein „walap“-Auslegerboot  von  den  Marshallinseln. Es ist das weltweit einzig vollständig erhaltene Exemplar. Dazu bestimmt, das 1886 gegründete Städtische Museum um eine  Attraktion zu bereichern, wurde die Sammlung 1888 erstmals in der Realschule Zur Himmelspforte gezeigt. Von 1890 bis 1935 war sie im Großen Hospital (heute: Museum für Thüringer Volkskunde) ausgestellt. Es kamen neue Exponate hinzu, andere wurden abgegeben. Erhalten geblieben sind gut 600 Objekte, die sich heute im Besitz des Volkskundemuseums befinden.  


Nach 1945 weitgehend in Vergessenheit geraten, konnte die restaurierte und erstmals wissenschaftlich bearbeitete Sammlung vom 15. Mai bis 14. August 2005 in der Kunsthalle  Erfurt  wiederentdeckt  werden. Das schloss  eine  Beschäftigung  mit  der Persönlichkeit  des  Sammlers, den Umständen seines Wirkens und eine Reflexion des Paradies-Themas ein. Galten doch die Inseln der Südsee seit ihrer Entdeckung in Europa als das Paradies auf  Erden.  Die  Inseln  und  ihre  Bewohner  erschienen  den  Seefahrern  in einem  Zustand  der  Glückseligkeit,  einer  ursprünglichen Unverdorbenheit und zugleich größtmöglichen (sexuellen) Freizügigkeit, einer intakten Mensch-Natur-Beziehung. Dabei  erlebten die Europäer die Inseln der Südsee zwangsläufig gebrochen durch die Brille ihrer eigenen Kultur und die dort wurzelnden Vorstellungen von paradiesischen Zuständen. Das verführerisch Exotische wurde dabei nicht selten fehlgedeutet, vorherrschende Spannungen in den sozialen Verhältnissen übersehen, weil das einer Stilisierung im Sinne der „Edlen  Wilden“  widersprochen  hätte. Vielmehr funktionierten die sagenhaften Mitteilungen von Reisenden aus der Südseerund zwei Jahrhunderte lang in großer Kontinuität als Gegenbilder, die mit der eigenen Kultur kritisch konfrontiert wurden.
Nach 1945 weitgehend in Vergessenheit geraten, konnte die restaurierte und erstmals wissenschaftlich bearbeitete Sammlung vom 15. Mai bis 14. August 2005 in der Kunsthalle  Erfurt  wiederentdeckt  werden. Das schloss  eine  Beschäftigung  mit  dem Sammler, den Umständen seines Wirkens und eine Reflexion des Paradies-Themas ein. Galten doch die Inseln der Südsee seit ihrer Entdeckung in Europa als das Paradies auf  Erden.  Die  Inseln  und  ihre  Bewohner  erschienen  den  Seefahrern  in einem  Zustand  der  Glückseligkeit,  einer  ursprünglichen Unverdorbenheit und zugleich größtmöglichen (sexuellen) Freizügigkeit, einer intakten Mensch-Natur-Beziehung. Dabei  erlebten die Europäer die Inseln der Südsee zwangsläufig gebrochen durch die Brille ihrer eigenen Kultur und die dort wurzelnden Vorstellungen von paradiesischen Zuständen. Das verführerisch Exotische wurde dabei nicht selten fehlgedeutet, vorherrschende Spannungen in den sozialen Verhältnissen übersehen, weil das einer Stilisierung im Sinne der „Edlen  Wilden“  widersprochen  hätte. Vielmehr funktionierten die sagenhaften Mitteilungen von Reisenden aus der Südseerund zwei Jahrhunderte lang in großer Kontinuität als Gegenbilder, die mit der eigenen Kultur kritisch konfrontiert wurden.


Um diese spezielle Sicht auf die außereuropäische fremde Welt als Teil unserer kulturellen Tradition zu verdeutlichen, werden die Objekte der Knappeschen Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst präsentiert. Beginnend mit Motiven aus der Holzschnitt-Serie für „Noa-Noa“ von Paul Gauguin, die er nach seiner ersten Tahiti-Reise um 1893/94 schuf, über Emil Noldes Südsee-Bilder, Frucht seiner Teilnahme an der Expedition nach Neuguinea 1913/14, bis hin zu Werken, in denen Max Pechstein seine Reise zu den Palauinseln 1914 verarbeitete, folgen die künstlerischen Beschäftigungen mehr oder weniger dem historisch vorgegebenen  Muster  von  der  gesuchten Begegnung  mit  der  ursprünglichen  Natur und den „Edlen Wilden“ im vermeintlichen Südsee-Paradies. Heutige künstlerische Reflexionen gehen oft deutlich skeptischer und reflektierter mit den klassischen Ursprungs- und Paradiesvorstellungen um, wie Lisi Ponger, Felix M. Furtwängler, Rémy Markowitsch und Miguel Rothschild  eindrucksvoll demonstrieren.
Um diese spezielle Sicht auf die außereuropäische fremde Welt als Teil unserer kulturellen Tradition zu verdeutlichen, werden die Objekte der Knappeschen Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst präsentiert. Beginnend mit Motiven aus der Holzschnitt-Serie für „Noa-Noa“ von Paul Gauguin, die er nach seiner ersten Tahiti-Reise um 1893/94 schuf, über Emil Noldes Südsee-Bilder, Frucht seiner Teilnahme an der Expedition nach Neuguinea 1913/14, bis hin zu Werken, in denen Max Pechstein seine Reise zu den Palauinseln 1914 verarbeitete, folgen die künstlerischen Beschäftigungen mehr oder weniger dem historisch vorgegebenen  Muster  von  der  gesuchten Begegnung  mit  der  ursprünglichen  Natur und den „Edlen Wilden“ im vermeintlichen Südsee-Paradies. Heutige künstlerische Reflexionen gehen oft deutlich skeptischer und reflektierter mit den klassischen Ursprungs- und Paradiesvorstellungen um, wie Lisi Ponger, Felix M. Furtwängler, Rémy Markowitsch und Miguel Rothschild  eindrucksvoll demonstrieren.

Version vom 25. Februar 2021, 08:46 Uhr

Reisen ins Paradies

Eine Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt präsentierte die Erfurter Südseesammlung Wilhelm Knappes gemeinsam mit dem Volkskundemuseum eindrucksvoll im Spiegel der Kunst.


Paradies-Katalog-2005.jpg

Ende des 19. Jahrhunderts trug der aus Erfurt stammende Konsul Dr. Wilhelm Knappe (1855-1910) in Neuguinea, den Marshall- und Samoainseln und anderen ozeanischen Gefilden eine einzigartige Sammlung von Ethnographica zusammen. Bürgerschaftliches Engagement ermöglichte 1889 den Ankauf der etwa 900 Objekte – Gebrauchs- und Kultgegenstände, Musikinstrumente, Schmuck und Waffen – durch die Stadt Erfurt. Zu den herausragenden Stücken gehört ein „walap“-Auslegerboot von den Marshallinseln. Es ist das weltweit einzig vollständig erhaltene Exemplar. Dazu bestimmt, das 1886 gegründete Städtische Museum um eine Attraktion zu bereichern, wurde die Sammlung 1888 erstmals in der Realschule Zur Himmelspforte gezeigt. Von 1890 bis 1935 war sie im Großen Hospital (heute: Museum für Thüringer Volkskunde) ausgestellt. Es kamen neue Exponate hinzu, andere wurden abgegeben. Erhalten geblieben sind gut 600 Objekte, die sich heute im Besitz des Volkskundemuseums befinden.

Nach 1945 weitgehend in Vergessenheit geraten, konnte die restaurierte und erstmals wissenschaftlich bearbeitete Sammlung vom 15. Mai bis 14. August 2005 in der Kunsthalle Erfurt wiederentdeckt werden. Das schloss eine Beschäftigung mit dem Sammler, den Umständen seines Wirkens und eine Reflexion des Paradies-Themas ein. Galten doch die Inseln der Südsee seit ihrer Entdeckung in Europa als das Paradies auf Erden. Die Inseln und ihre Bewohner erschienen den Seefahrern in einem Zustand der Glückseligkeit, einer ursprünglichen Unverdorbenheit und zugleich größtmöglichen (sexuellen) Freizügigkeit, einer intakten Mensch-Natur-Beziehung. Dabei erlebten die Europäer die Inseln der Südsee zwangsläufig gebrochen durch die Brille ihrer eigenen Kultur und die dort wurzelnden Vorstellungen von paradiesischen Zuständen. Das verführerisch Exotische wurde dabei nicht selten fehlgedeutet, vorherrschende Spannungen in den sozialen Verhältnissen übersehen, weil das einer Stilisierung im Sinne der „Edlen Wilden“ widersprochen hätte. Vielmehr funktionierten die sagenhaften Mitteilungen von Reisenden aus der Südseerund zwei Jahrhunderte lang in großer Kontinuität als Gegenbilder, die mit der eigenen Kultur kritisch konfrontiert wurden.

Um diese spezielle Sicht auf die außereuropäische fremde Welt als Teil unserer kulturellen Tradition zu verdeutlichen, werden die Objekte der Knappeschen Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst präsentiert. Beginnend mit Motiven aus der Holzschnitt-Serie für „Noa-Noa“ von Paul Gauguin, die er nach seiner ersten Tahiti-Reise um 1893/94 schuf, über Emil Noldes Südsee-Bilder, Frucht seiner Teilnahme an der Expedition nach Neuguinea 1913/14, bis hin zu Werken, in denen Max Pechstein seine Reise zu den Palauinseln 1914 verarbeitete, folgen die künstlerischen Beschäftigungen mehr oder weniger dem historisch vorgegebenen Muster von der gesuchten Begegnung mit der ursprünglichen Natur und den „Edlen Wilden“ im vermeintlichen Südsee-Paradies. Heutige künstlerische Reflexionen gehen oft deutlich skeptischer und reflektierter mit den klassischen Ursprungs- und Paradiesvorstellungen um, wie Lisi Ponger, Felix M. Furtwängler, Rémy Markowitsch und Miguel Rothschild eindrucksvoll demonstrieren.


Marina Moritz/Kai Uwe Schierz (Hg.): Reisen ins Paradies. Die Erfurter Südseesammlung im Spiegel der Kunst. Erfurt 2005.


Siehe auch: Erfurter Südseesammlung, Wilhelm Knappe, Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurter Museen, Kolonialismus-Kontroverse