Koloniales Erbe in Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:SuedseesammlungBoot.jpg|390px|right]]Die Diskussion über das koloniale Erbe wurde 2019 durch die Ausstellung '''[[Kolonialismus in Erfurt]]''' neu angestoßen. Mit ihrer plakativen Form mit heftigen Vorwürfen gegen städtische und private Einrichtungen ist sie jedoch in die Kritik geraten, worauf eine Präsentation in kommunalen Räumen abgelehnt wurde. Besonders deutlich zeigt sich dies beim bedeutendsten Erbe des Kolonialzeitalters, der '''[[Erfurter Südseesammlung]]''' von Konsul '''[[Wilhelm Knappe]]''' im Benaryspeicher (Foto: Stadt Erfurt, Dirk Urban). Hier hat man die viel beachtete Sonderausstellung '''[[Reisen ins Paradies]]''' der erstmals restaurierten und wissenschaftlich aufgearbeiteten Sammlung in der Kunsthalle 2005 harsch kritisiert.  
[[Datei:SuedseesammlungBoot.jpg|390px|right]]Die Diskussion über das koloniale Erbe wurde 2019 durch die Ausstellung '''[[Kolonialismus in Erfurt]]''' neu angestoßen. Mit ihrer plakativen Form mit heftigen Vorwürfen gegen städtische und private Einrichtungen ist sie jedoch in die Kritik geraten, worauf eine Präsentation in kommunalen Räumen abgelehnt wurde. Besonders deutlich zeigt sich dies beim bedeutendsten Erbe des Kolonialzeitalters, der '''[[Erfurter Südseesammlung]]''' von Konsul '''[[Wilhelm Knappe]]''' im Benaryspeicher (Foto: Stadt Erfurt, Dirk Urban). Hier hat man die viel beachtete Sonderausstellung '''[[Reisen ins Paradies]]''' der erstmals restaurierten und wissenschaftlich aufgearbeiteten Sammlung in der Kunsthalle 2005 harsch kritisiert.  


Ins Visier geriet in der Kolonialismus-Ausstellung auch der '''[[Zoopark Erfurt|Erfurter Zoopark]]''' wegen seiner "Tropennächte", die als "entwürdigende Inszenierungen" in der Tradition rassistischer "Völkerschauen" des 19. Jahrhunderts kritisiert wurden. Für die Mohren-Apotheke forderte man trotz ihres weit vor das Kolonialzeitalter zurückreichenden Namens eine Umbenennung, das '''[[Burenhaus Erfurt|Burenhaus]]''' sei eine unreflektierte Huldigung der südafrikanischen Apartheidpolitik usw. Die Mitinitiatoren vom Verein Decolonize Erfurt um Philosoph Dr. Urs Lindner, einer der Betreuer der Kolonialismus-Ausstellung von Studenten der Universität Erfurt, fordern darüber hinaus seit 2020 die Umbenenung des '''[[Nettelbeckufer|Nettelbeckufers]]''', was eine intensive Debatte hervorgerufen hat.  
Ins Visier geriet auch der '''[[Zoopark Erfurt|Erfurter Zoopark]]''' wegen seiner "Tropennächte", die als "entwürdigende Inszenierungen" in der Tradition rassistischer "Völkerschauen" des 19. Jahrhunderts kritisiert wurden. Für die Mohren-Apotheke forderte man trotz ihres weit vor das Kolonialzeitalter zurückreichenden Namens eine Umbenennung, das '''[[Burenhaus Erfurt|Burenhaus]]''' sei eine unreflektierte Huldigung der südafrikanischen Apartheidpolitik usw. Die Mitinitiatoren vom Verein Decolonize Erfurt um Philosoph Dr. Urs Lindner, einer der Betreuer der Kolonialismus-Ausstellung von Studenten der Universität Erfurt, fordern darüber hinaus seit 2020 die Umbenenung des '''[[Nettelbeckufer|Nettelbeckufers]]''', was eine intensive Debatte hervorgerufen hat.  


Trotz aller Defizite verfolgte die Kolonialismus-Ausstellung ein wichtiges Grundanliegen und rückte das Thema wieder intensiver in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Stadtrat hat hierauf im Dezember 2020 beschlossen, das koloniale Erbe in Erfurt aufzuarbeiten und zugänglich zu machen: "Die Museen und Archive haben aber auch einen kritischen Bildungsauftrag. Deshalb muss die wissenschaftliche Aufarbeitung, öffentliche Darstellung und Vermittlung der Kolonialgeschichte die Bürger/innen auch erreichen und kommunikativ offen einbinden." Dieser Prozess sollte deshalb nicht von der moralisch-ideologischen "Cancel Culture" im Stile der Nettelbeckufer-Initiative dominiert werden. Auch Professoren der Universität Erfurt fordern im '''[https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ Netzwerk Wissenschaftsfreiheit]''' vielmehr "eine plurale von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur" ohne persönliche Polemik.  
Trotz aller Defizite verfolgte die Kolonialismus-Ausstellung ein wichtiges Grundanliegen und rückte das Thema wieder intensiver in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Stadtrat hat hierauf im Dezember 2020 beschlossen, das koloniale Erbe in Erfurt aufzuarbeiten und zugänglich zu machen: "Die Museen und Archive haben aber auch einen kritischen Bildungsauftrag. Deshalb muss die wissenschaftliche Aufarbeitung, öffentliche Darstellung und Vermittlung der Kolonialgeschichte die Bürger/innen auch erreichen und kommunikativ offen einbinden." Dieser Prozess sollte deshalb nicht von der moralisch-ideologischen "Cancel Culture" im Stile der Nettelbeckufer-Initiative dominiert werden. Auch Professoren der Universität Erfurt fordern im '''[https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ Netzwerk Wissenschaftsfreiheit]''' vielmehr "eine plurale von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur" ohne persönliche Polemik.  

Version vom 8. März 2021, 09:12 Uhr

Koloniales Erbe in Erfurt

Erfurt verfügt über ein koloniales Erbe, aus dem die Erfurter Südseesammlung von Konsul Wilhelm Knappe heraus ragt. Dieses bedeutende Kulturerbe soll nunmehr aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden.


SuedseesammlungBoot.jpg

Die Diskussion über das koloniale Erbe wurde 2019 durch die Ausstellung Kolonialismus in Erfurt neu angestoßen. Mit ihrer plakativen Form mit heftigen Vorwürfen gegen städtische und private Einrichtungen ist sie jedoch in die Kritik geraten, worauf eine Präsentation in kommunalen Räumen abgelehnt wurde. Besonders deutlich zeigt sich dies beim bedeutendsten Erbe des Kolonialzeitalters, der Erfurter Südseesammlung von Konsul Wilhelm Knappe im Benaryspeicher (Foto: Stadt Erfurt, Dirk Urban). Hier hat man die viel beachtete Sonderausstellung Reisen ins Paradies der erstmals restaurierten und wissenschaftlich aufgearbeiteten Sammlung in der Kunsthalle 2005 harsch kritisiert.

Ins Visier geriet auch der Erfurter Zoopark wegen seiner "Tropennächte", die als "entwürdigende Inszenierungen" in der Tradition rassistischer "Völkerschauen" des 19. Jahrhunderts kritisiert wurden. Für die Mohren-Apotheke forderte man trotz ihres weit vor das Kolonialzeitalter zurückreichenden Namens eine Umbenennung, das Burenhaus sei eine unreflektierte Huldigung der südafrikanischen Apartheidpolitik usw. Die Mitinitiatoren vom Verein Decolonize Erfurt um Philosoph Dr. Urs Lindner, einer der Betreuer der Kolonialismus-Ausstellung von Studenten der Universität Erfurt, fordern darüber hinaus seit 2020 die Umbenenung des Nettelbeckufers, was eine intensive Debatte hervorgerufen hat.

Trotz aller Defizite verfolgte die Kolonialismus-Ausstellung ein wichtiges Grundanliegen und rückte das Thema wieder intensiver in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Stadtrat hat hierauf im Dezember 2020 beschlossen, das koloniale Erbe in Erfurt aufzuarbeiten und zugänglich zu machen: "Die Museen und Archive haben aber auch einen kritischen Bildungsauftrag. Deshalb muss die wissenschaftliche Aufarbeitung, öffentliche Darstellung und Vermittlung der Kolonialgeschichte die Bürger/innen auch erreichen und kommunikativ offen einbinden." Dieser Prozess sollte deshalb nicht von der moralisch-ideologischen "Cancel Culture" im Stile der Nettelbeckufer-Initiative dominiert werden. Auch Professoren der Universität Erfurt fordern im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit vielmehr "eine plurale von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur" ohne persönliche Polemik.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Marina Moritz/Kai Uwe Schierz (Hg.): Reisen ins Paradies. Die Erfurter Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst. Erfurt 2005.

Steffen Raßloff: Wilhelm Knappe (1855-1910). Staatsmann und Völkerkundler im Blickpunkt deutscher Weltpolitik. Jena 2005.

Steffen Raßloff: Deutsche Weltpolitik. In: Deutsche Geschichte. Die große Bild-Enzyklopädie. München 2018. S. 278 f.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt