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Erfurt ist die alte Metropole '''[[Geschichte Thüringens|Thüringens]]''', inmitten des "Grünen Herzen" Deutschlands gelegen. Seit jeher geographisch-infrastruktureller Zentralort und "heimliche Hauptstadt", fungiert es - nach kurzem Intermezzo 1949/52 - seit 1990 als '''[[Landeshauptstadt Erfurt|Hauptstadt]]''' des Bundeslandes (1993 "Freistaates") Thüringen.
Erfurt ist die alte Metropole '''[[Geschichte Thüringens|Thüringens]]''', inmitten des "Grünen Herzen" Deutschlands gelegen. Seit jeher geographisch-infrastruktureller Zentralort und "heimliche Hauptstadt", fungiert es - nach kurzem Intermezzo 1949/52 - seit 1990 als '''[[Landeshauptstadt Erfurt|Hauptstadt]]''' des Bundeslandes (1993 "Freistaates") Thüringen.



Version vom 24. Juni 2010, 12:13 Uhr

Geschichte der Stadt Erfurt

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Erfurt ist die alte Metropole Thüringens, inmitten des "Grünen Herzen" Deutschlands gelegen. Seit jeher geographisch-infrastruktureller Zentralort und "heimliche Hauptstadt", fungiert es - nach kurzem Intermezzo 1949/52 - seit 1990 als Hauptstadt des Bundeslandes (1993 "Freistaates") Thüringen.

Von etwa 1000 an unter weltlicher Herrschaft des Mainzer Erzbischofs, hatte sich der frühe Siedlungsschwerpunkt seit dem 13. Jahrhundert zur autonomen mitteldeutschen Handels- und Kulturmetropole entwickelt. 1379 erfolgte die Privilegierung der ältesten Universität im heutigen Deutschland, deren bekanntester Student und Lehrer Martin Luther war. Dem schleichenden Niedergang ab Ende des 15. Jahrhunderts folgte 1664 im Zeitalter des Absolutismus die erneute Unterwerfung unter den Stadtherren. Die gut 800-jährige Bindung an Mainz endete 1802 mit dem Übergang an Preußen. Im Königreich der Hohenzollern stieg Erfurt ab Mitte des 19. Jahrhunderts zur modernen Industriegroßstadt und Hochburg der Sozialdemokratie auf, die im Erfurter Programm von 1891 den Namen SPD festschrieb. Im 20. Jahrhundert hatte auch Erfurt die heftigen Spannungen des "Zeitalters der Extreme" samt zweier Weltkriege und Diktaturen zu durchleben.

Mit Erfurt sind über die mehr als zwölf Jahrhunderte schriftlich verbriefter Stadtgeschichte zahlreiche bedeutende historische Persönlichkeiten und Ereignisse vom Wirken des Missionars Bonifatius bis hin zum ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen Brandt-Stoph 1970 im Erfurter Hof verbunden. Im heutigen Stadtbild, in zahlreichen historischen Gebäuden und Monumenten, insbesondere in der großen, weithin erhaltenen Altstadt, schlägt sich die reiche Geschichte Erfurts als "steinerne Chronik" für jeden Betrachter sichtbar nieder. Zugleich verweisen Orte wie das Gelände der ehemaligen Firma Topf & Söhne, Hersteller der Öfen für Auschwitz, aber auch auf die dunklen Kapitel der jüngeren Geschichte.

Frühgeschichte und Stadtwerdung (30.000 v. Chr. bis 12. Jh.)

Die natürlichen Gegebenheiten, geschützte Lage in einer Mulde, die Nähe des Flusses Gera mit seinen seichten (für die Stadt namensgebenden) Furten und fruchtbare Schwarzerdeböden, haben Erfurt seit der Altsteinzeit zu einem Siedlungsschwerpunkt werden lassen. Martin Luther formulierte es in seiner bildhaften Sprache später so: "Erfurt steht am besten Orte, ist eine Schmalzgrube. Da müßte eine Stadt stehen, wenn sie gleich wegbrennete." Der älteste archäologische Fund, ein faustkeilartiges Feuersteingerät, wird auf 30.000 v. Chr. datiert. Den entscheidenden Schritt zur dauerhaften Ansiedlung im späteren Stadtgebiet stellte die "Neolithische (Jungsteinzeitliche) Revolution" dar. Der Übergang vom Jäger und Sammler-Leben zu Ackerbau und Viehzucht setzte im Raum Erfurt um 5000 v. Chr. ein.

Die auf die Bronzezeit (2100-750 v.Chr.) folgende Eisenzeit (800 v.Chr.-0) sah die in West- und Südeuropa verbreiteten Kelten als Kulturträger. Sie wurden in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. von den germanischen Hermunduren abgelöst. Im Zusammenhang mit der Herausbildung der germanischen Großstämme seit dem 3. Jh. gingen diese schließlich mit den eingewanderten Chatten und Teilen der aus Norden stammenden Angeln und Warnen im Stamm der Thüringer auf. Im Königreich der Thüringer (5./6. Jh.), unter den Franken sowie in den Anfängen der deutschen Geschichte im 9./10. Jh. kann man anhand archäologischer Funde und früher Urkunden bereits eine herausgehobene Stellung Erfurts erkennen.

Die erste urkundliche Erwähnung der Stadt fällt in das Jahr 742. Es handelt sich hierbei um einen Brief des Missionars Bonifatius an Papst Zacharias II. in Rom. Seit 721 mit der Mission in Ostfranken, Hessen und Thüringen betraut, schlug er dem Papst die Einsetzung dreier Bischöfe für dieses Gebiet vor, darunter Erfurt ("erphesfurt") für Thüringen. Dies unterstreicht die frühe herausragende Stellung, auch wenn das Bistum wenige Jahre später dem Erzbistum Mainz einverleibt wurde. Erfurt entwickelte sich dennoch zum kirchlichen Zentrum Thüringens. In diese Zeit geht auch der Aufstieg zum Handelszentrum zurück, begünstigt durch die Lage an der Kreuzung zweier wichtiger mittelalterlicher Fernhandelsstraßen ("Hohe Straße" oder "Königstraße" in O-W-Richtung von Nordfrankreich bis zur Ukraine, N-S-Verbindung Skandinavien-Norditalien). Greifbar wird er erstmals in einem Kapitular Karls des Großen aus dem Jahre 805, das Erfurt zum Grenzhandelsplatz mit den Slawen bestimmte.

Im 10. Jahrhundert gehörte Erfurt noch zum Königsgut, wie u.a. eine Reihe wichtiger Hoftage belegen. Ab Anfang des 11. Jahrhunderts gelang es jedoch dem Mainzer Erzbischof, sich zum Stadtherren aufzuschwingen. Trotz der Mainzer Stadtherrschaft nahm aber auch die kaiserliche Zentralgewalt weiterhin in Erfurt ihre Rechte wahr. Im Königskloster auf dem Petersberg residierten Salier, Staufer und Habsburger. 1181 musste sich der Welfe Heinrich der Löwe in der Peterskirche vor dem staufischen Kaiser Friedrich I. Barbarossa demütigen. Bis Ende des 11. Jahrhunderts lebte noch ein großer Teil der Erfurter Bevölkerung in feudaler Abhängigkeit. Dann begann der Erzbischof damit, den meisten städtischen Grund und Boden gegen Zahlung eines jährlichen "Freizinses" zu verteilen. Der Besitz eines solchen "Freigutes" enthob die Bürger von Verpflichtungen gegenüber dem Stadtherrn und bildete die Basis für die neue Rechtsgemeinschaft der Stadtbürger. Grundlage für deren wachsenden Wohlstand stellte der weitere Aufschwung von Nah- und Fernhandel dar.

Auf die totale Zerstörung durch König Heinrich IV. 1080 im Zusammenhang mit dem Investiturstreit folgte ein rasches Aufblühen der Stadt. 1168/1169 legte man anstelle mehrfach geschleifter Vorgängerbauten (seit ca. 1133) eine dauerhafte steinerne Stadtmauer an, welche Petersberg, Domhügel und die Stadtteile beiderseits der Gera einschloss. Das 12. Jahrhundert stellte auch einen ersten Höhepunkt von Kunst und Architektur dar. An Stelle eines frühen Vorgängerbaues entstand 1154-1182 der romanische Dom St. Marien. Auf dem Petersberg befand sich vermutlich bereits seit dem 8. Jahrhundert ein Kloster. 1060 hatte Erzbischof Siegfried I. das dortige Chorherrenstift in ein Benediktinerkloster umgewandelt. 1103-1147 wurde die romanische Peterskirche errichtet, die über Jahrhunderte gemeinsam mit dem Dom die Stadtkrone bildete. Eine Reihe weiterer Kirchen- und Klostergründungen (Augustiner-Chorherrenstift [Regler]) 1131, Schottenkloster nach 1130) folgte, die der mauerumwehrten Stadt am Ende des 12. Jahrhunderts bereits ein imposantes Aussehen verliehen.

Mittelalterliche Handels- und Kulturmetropole (13. bis 15. Jh.)

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gelang es der Bürgerschaft, sich nahezu völlige Autonomie und Selbstverwaltung zu erkämpfen, ohne die nominelle Oberherrschaft des Mainzer Landesherren abzustreifen. 1192 tauchen erstmals Bürger als Zeugen erzbischöflicher Urkunden auf, ausdrücklich als Rat wird die Stadtvertretung ab 1217 erwähnt. Herz der neuen kommunalen Selbstverwaltung und Sitz des Stadtrates wurde das Rathaus am Fischmarkt (1275 erstmals erwähnt). Mehrfach erweitert und umgebaut, musste der historische Gebäudekomplex erst dem neogotischen Neubau 1869 weichen. Die wachsende Wirtschafts- und Finanzkraft der Stadt und ihrer Bürger, aus ertragreichem Handel, v.a. mit dem beliebten Textilfärbemittel Waid geschöpft, gestattete es, die verbliebenen Rechte des Erzbischofs bis zum Ende des 13. Jahrhunderts an sich zu bringen.

Bis Ende des 15. Jahrhunderts gelang es nun, sich als wichtiger Machtfaktor in Thüringen zwischen Mainz, den ludowingischen Thüringer Landgrafen (1131-1247) und deren Nachfolgern, den wettininschen Markgrafen von Meißen und späteren Kurfürsten von Sachsen (1423) sowie den übrigen Herrschern des Umlandes erfolgreich zu behaupten. In diesen Zusammenhang gehört auch der Aufbau eines städtischen Territoriums ("Land Erfurt"), das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zwei Städte, Erfurt selbst und Sömmerda, sowie fast 100 Dörfer und Burgen umfasste. Zugleich hatte man sich im "Thüringer Dreistädtebund" (1306-1481) mit den Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen verbündet. Erfurt galt faktisch als Reichsstadt und lehnte sich an die kaiserliche Reichsgewalt an; schon 1239 hatte Friedrich II. der Stadt einen Schutzbrief ausgestellt, der von vielen seiner Nachfolger bestätigt wurde. 1289/90 residierte König Rudolf von Habsburg zehn Monate auf dem Petersberg, wobei er im Raum Thüringen gemeinsam mit den Erfurtern den Landfrieden wieder herstellte.

Unberührt von Turbulenzen um die Vorherrschaft und Verfassungsfragen in der Stadt strebte Erfurt im 14. Jahrhundert seinem wirtschaftlichen und politischen Höhepunkt entgegen. Reichtum und Macht der Bürger spiegelten sich auch im Stadtbild wieder. Der Nürnberger Chronist Hartmann Schedel zählte Ende des 15. Jahrhunderts die Merkmale der Erfurter Blütezeit auf: "Diese Stadt liegt in einer gar guten Flur und fruchtbarem Erdboden, der trägt ein Kraut Waydt genannt, zur Färbung der Tücher dienlich. Diese Stadt hat an Wohnungen, Häusern und Höfen der Bürger und an Gezierden der Klöster und Kirchen wunderparlich zugenommen." Erfurt gehörte mit bis zu 20.000 Einwohnern zu den wenigen mittelalterlichen "Großstädten" im Reich, die Mauer von 1168/69 musste 1432-1446 durch einen zweiten Mauerring um die Vorstädte ergänzt werden. 1325 errichtete die Stadtgemeinde an Stelle einer alten Holzbrücke (um 1100) die berühmte Krämerbrücke, die einzige durchgehend mit Häusern bebaute Brücke nördlich der Alpen. Die Bürgerhäuser zeugen ebenso vom Reichtum der Stadt.

Den noch heute sichtbarsten Ausdruck fand die mittelalterliche Größe Erfurts jedoch in seinen Kirchenbauten. 1329 wurde der Domhügel Richtung Domplatz durch gewaltige künstliche Aufschüttungen und Steinbögen (Kavaten) erweitert, auf denen 1349-1372 der Hohe Chor entstand. 1330 hatte man das reich verzierte Triangelportal angelegt. 1455-1465 entstand das spätgotische Langhaus. Zusammen mit der gotisch umgebauten Severikirche bildet der Domhügel seither ein einzigartiges Ensemble. Hinzu kamen die gewaltigen Klosterkirchen der Bettelorden der Franziskaner ("Barfüßer", seit 1224) und Dominikaner ("Prediger", seit 1229). Der Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) verbrachte 28 Jahre seines Lebens im Erfurter Predigerkloster und ließ es so zu einem Zentrum der Mystik werden. Ein weiterer wichtiger Bettelorden war der der Augustinereremiten (seit 1276). In ihrem Kloster begann der Student Martin Luther seit 1505 seinen Weg zum Kirchenreformator.

Höhepunkt in der Entwicklung des Erfurter Geisteslebens war 1379 die Gründung der Universität, der ältesten im heutigen Deutschland. Bereits im 12. Jahrhundert existierten eine Reihe hochschulähnlicher Kloster- und Stifterschulen. Nach wechselvoller Vorgeschichte, u.a. durch das päpstliche Schisma bedingt, nahm die 1379 privilegierte "Hierana" ("Universität an der Gera") am 1. Mai 1392 ihren Lehrbetrieb auf. Sie war die dritte Universität im Reich (nach Prag und Wien sowie vor Heidelberg und Köln), jedoch die erste, die mit allen vier mittelalterlichen Fakultäten (Theologie, beide Rechte, Medizin und Artistenfakultät [Philosphie]) den Lehrbetrieb begann. Es zeigt die Stärke und das Selbstbewußtsein der Erfurter Bürgerschaft, dass die Universität neben Köln die einzige war, die auf Betreiben einer Stadt, nicht eines Fürsten, ins Leben gerufen wurde. Im 15. Jahrhundert galt sie als eine der angesehensten und meistbesuchten Hochschulen Mitteleuropas. Eine Reihe von Baudenkmalen, v.a. das Collegium maius, erinnern im "lateinischen Viertel" um die Michaelisstraße an jene kulturelle Blütezeit.

Schleichender Niedergang und kurmainzische Provinz (16. bis 18. Jh.)

Im ausgehenden 15. Jahrhundert ging die Blütezeit Erfurts dem Ende entgegen. In den Verträgen von Amorbach und Weimar 1483 wurde die Stadt gezwungen, Mainz als Stadtherren und Sachsen als Schutzherren anzuerkennen sowie 200.000 Gulden Kriegsentschädigung zu zahlen. Gleichzeitig war der ertragreiche Fernhandel zurückgegangen. Die sächsische Messestadt Leipzig erhielt 1497/1507 kaiserliche Privilegien und verdrängte die Erfurter Messen. Die extreme Verschuldung führte 1509/10 zum "Tollen Jahr von Erfurt" mit einem Aufstand der plebejischen Opposition. Dennoch konnte sich die Stadt noch einmal erholen. Der Waidhandel, seit der Entdeckung Amerikas gefährlicher Konkurrenz (Indigo) ausgesetzt, erlebte im 16. und frühen 17. Jahrhundert eine letzte Blüte. Eine Reihe stattlicher Waidjunkerhäuser dokumentiert dies bis heute: (Zum Goldenen Sternberg 1535, Zur Hohen Lilie 1538, Zum Güldenen Krönbacken 1561, Zum Roten Ochsen 1562, Zum Breiten Herd 1584, Zum Stockfisch 1607).

In die Zeit beginnender Stagnation fällt die der höchsten Blüte der Universität. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Alma mater Erfordiensis von der geistigen Erneuerungsbewegung des Humanismus ergriffen und für einige Zeit sogar eines ihrer Zentren. Von 1506 an entwickelte sich eine namhafte Humanistenvereinigung um Mutianus Rufus, Crotus Rubeanus, Ulrich von Hutten, Helius Eobanus Hessus, Justus Jonas und Johannes Lang. Von 1514-1526 bot der Poet Hessus mit dem "Haus zur Engelsburg", das dem Universitäts-Rektor Georg Sturtz gehörte, der Bewegung ein Zentrum. Ihr entsprang u.a. eine der wirkungsvollsten Satiren gegen die Scholastik, die "Dunkelmännerbriefe" (1515/17). Erfurt beherbergte von 1518-1523 auch den berühmten Mathematiker Adam Ries, der hier sein erstes und zweites Rechenbuch veröffentlichte. Durch das rege Geistesleben im "lateinischen Viertel" rund um das "Große Kolleg" (Collegium maius) in der Michaelisstraße wurde das noch junge Buchdruckergewerbe gefördert (1473 einer der ersten Drucke aus Erfurt).

Die wohl einschneidendste religiöse bzw. Geistesbewegung der frühen Neuzeit, die Reformation, hat ebenfalls ihre Wurzeln in Erfurt. Ihr Begründer Martin Luther holte sich seine geistigen und theologischen Grundlagen hier in der Stadt. Der aus Eisleben bzw. Mansfeld stammende Luther war 1501 an der Universität Erfurt immatrikuliert und 1505 zum Magister artium promoviert worden. Auf Wunsch seines Vaters begann er darauf das lukrative Jura-Studium. Bei einer Fußreise nahe dem heutigen Erfurter Vorort Stotternheim wurde er jedoch von einem heftigen Unwetter überrascht und gelobte in höchster Not Mönch zu werden. Am 17. Juli 1505 trat er ins Erfurter Augustinerkloster ein, wurde 1507 im Dom zum Priester geweiht. Erst 1512 verließ er die Stadt endgültig Richtung Wittenberg.

Die dort 1517 mit dem berühmten Thesenanschlag einsetzende Reformation fand auch in Erfurt bald viele Anhänger. Der "Erfurter Reformator" Johannes Lang konnte so im April 1521 den zum Reichstag nach Worms reisenden Luther vor begeisterter Bürgerschaft begrüßen. Zugleich suchte der Rat die Entwicklungen der Zeit für sich zu nutzen. Während des Bauernkrieges hatte man 1525 den Bauern die Tore geöffnet und deren Zorn gegen Mainzer und Kircheneinrichtungen lenken können. Fortan blieben jedoch beide Konfessionen in der Stadt vertreten, wie es im Hammelburger Vertrag 1530 festgeschrieben wurde. Das religiöse "Unentschieden" und weitere Faktoren sorgten für einen deutlichen Niedergang der Universität, die mit der 1548/58 von Johann Friedrich dem Großmütigen von Sachsen gegründeten protestantischen Landesuniversität Jena ernsthafte Konkurenz bekommen hatte. Die allmählich dahinsiechende Universität wurde schließlich 1816 geschlossen.

Die relative Stabilisierungsphase war mit dem Dreißigjährigen Krieg 1618-1648 endgültig dahin. Erfurt bekam die Folgen dieses verheerenden Krieges zu spüren, v.a. Nah- und Fernhandel kamen fast völlig zum Erliegen. Plünderungen der Stadt konnten immerhin um den Preis hoher Kontributionen verhindert werden. Die seit 1630 ins Kriegsgeschehen verwickelten Schweden blieben mit einer Unterbrechung die Herren der Stadt (1631-35 und 1637-50). König Gustav II. Adolf von Schweden residierte 1631/32 zeitweilig im "Haus zur Hohen Lilie". Schweden hatte nochmals Hoffnungen auf Unabhängigkeit als Reichsstadt genährt. Diese Bestrebungen scheiterten jedoch bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648. Das Zeitalter des Absolutismus brachte neben Erfurt eine Reihe weiterer bisher autonomer Städte (Münster 1661, Magdeburg 1666, Braunschweig 1671) in die Abhängigkeit ihres Landesherren. Nach langjährigen Reibereien konnte Mainz unter Erzbischof Johann Philipp von Schönborn die belagerte Stadt 1664 zur Kapitulation zwingen.

Die Zeit nach der Mainzer "Reduktion" ("Rückführung") 1664 war gekennzeichnet durch die Unterwerfung unter das Regiment des Erzbischofes. Oberste Behörde war fortan das Vizedomamt, seit 1675 Regierung genannt. Ihr stand der Vizedom bzw. Statthalter vor. Ein Mittel seiner Herrschaftssicherung war die von 1665 bis 1726 errichtete Zitadelle auf dem Petersberg. Seit dem Dreißigjährigen Krieg hatten Handel und Gewerbe in Erfurt stark gelitten, große Pestepedemien 1682/83 sorgten für weitere Not und einen starken Bevölkerungsrückgang. Daran änderten auch die Bemühungen von Statthaltern wie Philipp Wilhelm von Boineburg (1702-17) nichts. 1705-11 entstanden unter ihm der barocke Waage- und Packhof am Anger, das heutige Angermuseum, und die Statthalterei am Hirschgarten (1711-20), die heutige Thüringer Staatskanzlei.

Der bedeutendste unter den Statthaltern war der spätere Erzbischof und Fürstprimas des Rheinbundes, Karl Theodor von Dalberg (1772-1802). Dalberg machte Erfurt für drei Jahrzehnte zu einem Zentrum der Kultur in Nachbarschaft zur Klassikerstadt Weimar. Er zog Goethe (seit 1776 als Gesandter des Weimarer Herzogs oft in Erfurt), Schiller, Herder, Wieland (1769-72 Professor an der Universität) und Wilhelm von Humboldt in seinen Kreis. Humboldt heiratete 1792 in Erfurt die Tochter des Akademie-Präsidenten Karl Friedrich von Dacheröden, Karoline von Dacheröden. Im Geiste der Aufklärung versuchte Dalberg, das geistige Leben der Stadt selbst anzuheben (u.a. wöchentliche "Assembleen" auch für Bürger in der Statthalterei) und betätigte sich als Förderer der 1754 gegründeten "Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt", drittälteste Einrichtung ihrer Art im Reich. Dieser gehörten neben Goethe, Schiller u.a. Prominenten auch der Erfurter Apotheker und Begründer der modernen Pharmazie Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770-1837) sowie Christian Reichart (1685-1775), Vater des Erfurter gewerblichen Gartenbaus, an.

Wiederaufstieg unter Preußen (19. Jh.)

In Folge der Französischen Revolution seit 1789 und der 1792 beginnenden Koalitionskriege wechselte Erfurt 1802 nach rund 800jähriger Zugehörigkeit zu Mainz seinen Landesherren. Noch bevor der Reichsdeputationshauptschluss 1803 die größeren Fürsten für ihre linksrheinischen Verluste an Frankreich durch die Mediatisierung kleiner Reichsstände und Reichstädte sowie die Säkularisation der meisten geistlichen Fürstentümer entschädigte, kam Erfurt durch einen preußisch-französischen Sondervertrag 1802 zu Preußen. Am 21. August 1802 marschierten preußische Truppen in die Stadt ein und nahmen symbolisch von ihr Besitz.

Mit der preußischen Niederlage gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 begann für Erfurt das Zwischenspiel der "Franzosenzeit" 1806-1814. Erfurt erhielt 1807 den Status einer "kaiserlichen Domäne", die direkt Napoleon unterstand. Im September/Oktober 1808 fand auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung der glanzvolle Erfurter Fürstenkongress mit nicht weniger als 34 Kaisern, Königen und Fürsten statt. Hierbei kam es am 2. Oktober 1808 zum denkwürdigen Treffen von Napoleon und Goethe in der Statthalterei. Im Kaisersaal beeindruckte Napoleon seine Gäste mit glanzvollen Theateraufführungen der Comédie-Française. Nach der Niederlage Napoleons in Russland und der Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1813 belagerten alliierte Truppen die Stadt und zerstörten bei einem Bombardement u.a. ein Wohnviertel auf dem nördlichen Domplatz sowie das Peterskloster. Nach gut siebenjähriger, zunehmend bedrückender französischer Besatzung zogen am 6. Januar 1814 die alliierten Befreiungsarmeen in die Stadt ein. Mit dem Abzug der Franzosen aus den Festungen Petersberg und Cyriaksburg am 7. Mai 1814 endete für Erfurt die Napoleonische Zeit.

Der Wiener Kongress 1815 sprach Erfurt erneut Preußen zu. Erfurt stieg zur Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks in der neuen Provinz Sachsen mit der Hauptstadt Magdeburg auf. Für Preußen stand die Festung Erfurt an seiner Südgrenze im Mittelpunkt. Die Befestigungsanlagen einschließlich der beiden Citadellen (Petersberg, Cyriaksburg) wurden bis zur Jahrhundertmitte kostspielig ausgebaut. Das militärische Element prägte zunehmend das Stadtbild. Soldaten und Offiziere machten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über ein Zehntel der Gesamtbevölkerung aus.

Die finanziell ruinierte Stadt erhielt erst 1822 ein gewisses Maß an Selbstverwaltung, das Wirtschaftsleben entwickelte sich nur allmählich. Entscheidend für den Anschluss an die nach der Jahrhundertmitte beginnende Industrialisierung war der Bau der Thüringer Eisenbahn 1844-47, deren Sitz nach Erfurt gelegt wurde. Ab 1850 war die Verbindung von Frankfurt/M. bis Berlin hergestellt. 1869 kam die Strecke Erfurt-Nordhausen und 1883 Erfurt-Sangerhausen hinzu. Nun fasste auch die Metallindustrie in Erfurt Fuß (1847 Eisenbahnreparaturwerkstatt, 1838 Metallfabrik J.A. John, 1862 Königliche Gewehrfabrik im Brühl).

Das wirtschaftlich erstarkte Bürgertum verlangte politische Mitsprache, liberale Grundrechte und einen deutschen Nationalstaat. Die Märzrevolution 1848 und ihre Folgen machten so vor Erfurt nicht halt. Am 24. November 1848 kam es sogar zu schweren Straßenkämpfen zwischen Bürgern und der Garnison auf dem Anger und in der Bahnhofstraße, bei denen 20 Menschen ums Leben kamen. Eine gewisse Fortsetzung der 1848/49 gescheiterten nationalen Einheitsbewegung war das in der Augustinerkirche tagende Erfurter Unionsparlament vom März/April 1850, das im Kompromiss zwischen Liberalen und preußischem König Friedrich Wilhelm IV. die Verfassung für einen "kleindeutschen" Nationalstaat ohne Österreich erarbeiten sollte. Die "Erfurter Union", an der der junge Otto von Bismarck als konservativer Abgeordneter teilgenommen hatte, blieb freilich Episode, da sich der preußische König nicht gegen Österreich durchsetzen konnte.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich die Industrialisierung in Erfurt weitgehend durch. Es boomte nun v.a. die Metall- bzw. Schwerindustrie (Hagans, J.A. Topf & Söhne, Henry Pels & Co.) sowie die Textilindustrie (Schuhfabrik Lingel). Erfurter Gartenbau und Samenzucht (J.C. Schmidt, Benary, Haage, F.C. Heinemann, , N.L. Chrestensen u.a.) erlangten Weltruf und sorgten für den Beinamen "Blumenstadt", der durch regelmäßige Gartenbauausstellungen seit 1865 - gewissermaßen Vorläufer der 1961 eröffneten "iga" bzw. "ega Cyriaksburg" - gefestigt wurde. Aber auch Banken und Versicherungen (Thuringia) siedelten sich in bisher nicht gekanntem Ausmaß im wirtschaftlichen Herzen Thüringens an.

Die "Gründerjahre" nach der Reichseinigung 1871 sorgten endgültig für den Durchbruch zur modernen Industriemetropole, die seit 1872 als kreisfreie Stadt von Oberbürgermeistern geleitet wurde. Wichtig war die Aufhebung der Festungsfunktion 1873. Es erfolgte die Beseitigung der Mauerringe und rasante Vergrößerung des Stadtgebietes. Im Norden und Osten wuchsen v.a. Industrie und Arbeiterwohnsiedlungen, im Süden und Westen gehobenere Wohnquartiere. Daneben entstanden das neue Rathaus (1869/75), der Hauptbahnhof (1892/93), das Kaufhaus "Römischer Kaiser" am Anger (1906, heute "Anger 1"), das Hotel "Erfurter Hof" (1904/05, 1916 erweitert durch "Haus Kossenhaschen"), der Flutgraben (1891-1900) und parallel dazu die breite Ringstraße, der heutige Juri-Gagarin-Ring. 1871-76 wurde der Südfriedhof, 1913-16 der Hauptfriedhof angelegt, 1882 öffnete das neue städtische Krankenhaus in der Nordhäuser Straße, das heutige Klinikum. Daneben wurden Infrastruktur und Trinkwasserversorgung verbessert sowie die Kanalisation eingeführt. Die Stadt erhielt 1883 eine Pferdestraßenbahn, 1894 durch die "Elektrische" ersetzt. Seit den 1890er Jahren erfolgte die repräsentative Umgestaltung der Einkaufsmeilen Anger und Bahnhofstraße.

Das schwindelerregende Wachstum der Stadt wird deutlich, wenn man die 44.000 Einwohner von 1871 mit der 1906 erreichten Zahl von 100.000 vergleicht - Erfurt war nunmehr erste und lange Zeit einzige Großstadt Thüringens. Nach der Eingemeindung Ilversgehofens 1911 zählte die Stadt 1914 schließlich schon 130.000 Einwohner. Sie bot nunmehr das Bild einer spannungsreichen Klassengesellschaft des Industriezeitalters.

Das Bürgertum mit einer exklusiven Honoratiorenschicht an der Spitze beanspruchte eine Führungsstellung, wie sie in der Kommunalpolitik und im Kulturbereich (Vereine, Museen, öffentliches Leben) zum Ausdruck kam. Am Nationalismus der Kaiserzeit orientiert, symbolisiert u.a. im Kaiser-Wilhelm-Denkmal (1900), Bismarckturm (1901) und zahlreichen Feierlichkeiten, lehnten sich die Bürger zunehmend an den Staat an. Mit Begeisterung verfolgte man den Aufstieg Deutschlands zur Flotten- und Kolonialmacht, an dem der in Erfurt gebürtige Konsul Dr. Wilhelm Knappe, Schöpfer der Erfurter Südseesammlung, seinen Anteil hatte. Zudem hatte sich in Erfurt ein starkes preußisches Landesbewusstsein entwickelt; Preußen glaubte man inmitten der thüringischen Kleinstaatenwelt - bis 1918 drängten sich hier noch acht souveräne Fürstenstaaten (Sachsen-Weimar-Eisenach, -Gotha und Coburg, -Altenburg, -Meinigen; Schwarzburg-Sondershausen, -Rudolstadt; Reuß ä. L./Greiz, Reuß j. L./Gera) - ganz wesentlich den Aufstieg zur modernen Industriemetrolpole zu verdanken.

Große Teile der Arbeiterschaft dagegen strebten unter Führung der Sozialdemokratie nach demokratischer Emanzipation und sozialen Verbesserungen. Nach Beendigung der Bismarckschen Sozialistengesetze (1878-90) fand im Oktober 1891 im Kaisersaal unter Leitung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht der Erfurter Parteitag der SPD statt, auf dem das wegweisende Erfurter Programm beschlossen wurde. Die Erfurter SPD nahm wie die Gesamtpartei einen kontinuierlichen Aufschwung und konnte 1912 erstmals das Mandat im Erfurter Reichstagswahlkreis gewinnen.

Das "Zeitalter der Extreme" (20. Jh.)

Das Zeitalter der Hochindustrialisierung und Urbanisierung hatte in Erfurt also bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begonnen und sich um 1900 voll ausgeprägt. Solche pulsierenden Metropolen der Moderne wurden die Hauptschauplätze des "kurzen 20. Jahrhunderts", das mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 seinen Anfang nahm. Jene mit dem britischen Historiker Eric Hobsbawm oft als "Zeitalter der Extreme" umschriebenen Jahrzehnte bis zum Ende des globalen Ost-West-Konfliktes um 1990 waren gekennzeichnet von zwei verheerenden Weltkriegen, von großen sozialen und politischen Umbrüchen, Gewalt, Bürgerkrieg, extremen Ideologien und diktatorischen Staatswesen. All diese Extreme haben auch die Entwicklung der Stadt Erfurt nachhaltig beeinflusst.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit seiner nationalen Euphorie schien zunächst die tiefe Zerklüftung der Gesellschaft zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft zu überbrücken. Doch jener "Geist des August 1914" sollte rasch mit den großen Opfern an den Fronten und in der Heimat verfliegen. So kam es schließlich zur Novemberrevolution 1918 in Deutschland, in deren Folge die Monarchie verschwandt und die Republik ausgerufen wurde. In Erfurt hatte sich die Revolution mit der Machtübernahme durch den Arbeiter- und Soldatenrat am 9. November unblutig vollzogen.

Die Zeit der Weimarer Republik 1918-1933 war von zunehmender Radikalisierung der gesellschaftlichen Fronten gekennzeichnet. Schon seit Februar 1919 kam es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, die im Kapp-Putsch vom März 1920 eskalierten. In jenen Tagen standen sich Bürger, Polizei und Militär auf der einen und organisierte Arbeiter auf der anderen Seite förmlich wie im Krieg gegenüber, was zu acht Todesopfern und vielen z.T. schwer Verletzten führte. Dennoch kam es nach dem "heißen Herbst" 1923 mit Hochinflation und radikalen Putschversuchen (Hitler-Putsch in München) zu einer Phase relativer Beruhigung 1924-1929, die auch zu einem gewissen wirtschaftlichen Aufschwung und städtebaulichen Impulsen (Hanse-Viertel und "Gartenstadt"-Siedlungen, Nordbad 1925/29, Flughafen am Roten Berg 1925, Mitteldeutsche Kampfbahn, das heutige Steigerwaldstadion 1931) führte.

Die relative Beruhigung jener "Goldenen Zwanziger Jahre" wurde jäh beendet von der Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929, durch die 1932 jeder dritte Erfurter ohne Arbeit war. Jener Prozess führte zu einer weiteren politischen Polarisierung, die der linksradikalen KPD sowie der rechtsradikalen NSDAP zugute kam. Im Bürgertum, insbesondere im kleinbürgerlichen Mittelstand, führte die totale Krise der späten Republik zu einer förmlichen Flucht in die nationale Volksgemeinschaft des "nationalen Messias" Adolf Hitler, wie sie sich u.a. in den Wahlergebnissen niederschlug. Der reichsweit für Schlagzeilen sorgende Kommunalwahlsieg des skandalumwitterten Antisemiten und Wochenblattherausgebers Adolf Schmalix im November 1929 hatte bereits verdeutlicht, wie weit das Vertrauen der Erfurter in ihre alte konservativ-liberale Honoratiorenschaft und deren Parteien geschwunden war.

Viele Bürger fühlten sich nach dem 30. Januar 1933, dem Beginn der Hitlerschen "Machtergreifung", zunächst in ihrer Option für den Nationalsozialismus bestätigt. Das Einkehren von "Ruhe und Ordnung", der wirtschaftliche Aufschwung mit dem Verschwinden der Arbeitslosigkeit und die außenpolitischen Erfolge taten das ihrige. Der gewaltsamen Zerschlagung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung trat die Propaganda von der Versöhnung der Geistes- und Handarbeiter, die ideelle Aufwertung des Arbeiterstandes gegenüber. Die neue "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) sorgte mit ihrer Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) hinfort wesentlich mit dafür, dass der Nationalsozialismus von immer mehr "Volksgenossen" als sozial fortschrittlich empfunden wurde.

Die Zeit des Dritten Reiches war von der Umgestaltung nahezu aller Gesellschaftsbereiche gekennzeichnet. Die kommunale Selbstverwaltung fiel bis 1935 schrittweise der "Gleichschaltung" zum Opfer. Von nun an herrschten die NS-Oberbürgermeister, v.a. der berüchtigte Walter Kießling (1936-1945). Die NSDAP versuchte mit ihren "Gliederungen" die Menschen in allen Alters-, Berufs- und Interessengruppen zu erfassen. Trotz des weiteren Ausbaus von Wirtschaft und Garnison in Erfurt bildete Fritz Sauckels Gauhauptstadt Weimar das NS-Machtzentrum. Denn Thüringen blieb zwar formal bis 1945 in das Land Thüringen und den preußischen Regierungsbezirk Erfurt zweigeteilt, doch der NSDAP-Gau umfasste das ganze Gebiet, wodurch Weimar faktisch zur gesamtthüringischen Hauptstadt aufstieg.

Zu den Charakteristika der braunen Diktatur gehörte von Beginn an der Antisemitismus. Die Entrechtung, Verfolgung und Deportation der Juden geschah auch in Erfurt inmitten der Gesellschaft. Den vermeintlichen Höhepunkt bildete die "Reichskristallnacht" vom 9. November 1938, der u.a. die Synagoge am Kartäuserring (Juri-Gagarin-Ring) durch Flammen zum Opfer fiel. Sie war aber nur ein Vorgeschmack auf die "Endlösung der Judenfrage". Wenn auch dieses größte Verbrechen des Nationalsozialismus weit weg in den Vernichtungslagern des Ostens vonstatten ging, war Erfurt doch mittelbar in das Geschehen eingebunden. Die ortsansässige Firma "J.A. Topf & Söhne", führendes Unternehmen für Mälzerei-, Speicher- und Feuerungsanlagen, lieferte für die Konzentrationslager vom nahen Buchenwald bis hin zu Auschwitz die Verbrennungsöfen und ihre Ingenieure machten "Verbesserungsvorschläge" für die Gaskammern in Auschwitz.

Im Zweiten Weltkrieg 1939-1945 stärkten zunächst die Anfangserfolge das Prestige des "Führerstaates". Später sorgten die riesigen Opfer an den Fronten und im heimischen Luftkrieg eher für verbitterte Entschlossenheit bis zum Kriegsende, das in Erfurt am 12. April 1945 mit der Besetzung durch US-Truppen erfolgte. Dem vergleichsweise glimpflichen Ausgang der Luftangriffe und Kampfhandlungen, durch den rund 6.500 Bürger der Stadt als Soldaten und Zivilopfer ihr Leben verloren, verdankt Erfurt sein bis heute in weiten Teilen erhaltenes historisches Stadtbild - der Zerstörungsgrad betrug "nur" 5% (im Vergleich: Nordhausen 55%, Jena 15%).

Am 3. Juli 1945 übernahm die Sowjetarmee entsprechend den Beschlüssen der Konferenz von Jalta (Februar 1945) von den US-Truppen die Stadt. Der mit der Nachkriegszeit einsetzende Aufbau der SED-Diktatur in der SBZ bzw. der 1949 gegründeten DDR mündete zunächst in den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der auch in Erfurt zu heftigen Streiks und Protesten führte. Spätestens mit dem Mauerbau vom August 1961 musste sich die Bevölkerung aber mit ihrer Situation arrangieren. Es entstand für viele Menschen die "heile Welt der Diktatur" (Stefan Wolle), das Leben in privaten oder kollektiven Nischen und beruflicher Pflichterfüllung. Das bedeutendste Ereignis des 20. Jahrhunderts in Erfurt, das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen Brandt-Stoph 1970 im Erfurter Hof zeigte jedoch eindrucksvoll, wie stark die nationalen Einheitshoffnungen unter den Erfurtern noch ausgeprägt waren. Ihre Rufe "Willy Brandt ans Fenster!" gingen um die ganze Welt.

Im 1945 erstmals im heutigen Gebietsumfang entstandenen Land Thüringen hatte Erfurt ab 1948 die Hauptstadtrolle übernommen. Die Auflösung der Länder in der DDR 1952 setzte dem freilich ein rasches Ende. Doch auch als thüringische Bezirksstadt (neben Gera und Suhl) nahm Erfurt sowohl im wirtschaftlich-infrastrukturellen (Sitz großer Kombinate, internationaler Flughafen, 1972 200.000 Einwohner) wie auch im kulturell-wissenschaftlichen Bereich (1953 Pädagogische Hochschule, 1954 Medizinische Akademie, 1958 Thüringer Zoopark, 1961 iga) eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Im Norden und Südwesten (sowie am Juri-Gagarin-Ring) entstanden große Plattenbaugebiete, die das Stadtbild einschneidend veränderten. In den 1980er Jahren ließ sich zudem der Niedergang des "real existierenden Sozialismus" nicht mehr übersehen, wie er sich u.a. im Verfall großer Teile der Altstadt und in maroden Industrieanlagen zeigte. Mit der friedlichen Revolution vom Herbst 1989, der deutschen Wiedervereinigung und der Wiedergründung des Landes Thüringen 1990 kam für Erfurt das Ende der SED-Diktatur und fand zugleich seine historische Zentralortstellung endgültig ihren formalen Ausdruck.

Heute ist Erfurt als Hauptstadt des "Freistaates" Thüringen, als moderne Metropole und Verkehrdrehscheibe das pulsierende Herz der Region. Der Wandel von der Industrie- zur Verwaltungs- und Dienstleistungsstadt war fraglos auch mit schmerzhaften Einschnitten verbunden und sorgte neben Arbeitslosigkeit auch für einen erheblichen Bevölkerungsrückgang (von 220.000 auf mittlerweile unter 200.000 Einwohner). Gleichzeitig gibt es aber zahlreiche Entwicklungen, die das Gesicht der Stadt deutlich zum Positiven hin verändert haben, wie die Sanierung der Bausubstanz, v.a. der historischen Altstadt, die sich weiter zum Touristenmagneten entwickelt hat, der Ausbau des Stadtbahnnetzes sowie des Straßennetzes mit neuem Autobahnkreuz und kompletter Stadtumfahrung, der Sitz des Bundesarbeitsgerichtes, mdr-Landesfunkhauses, Kinderkanals Ki-Ka, der Ausbau der Fachhochschule Erfurt und die 1994 erfolgte Wiedergründung der Universität Erfurt u.v.a.m.

Text: Dr. Steffen Raßloff


Siehe auch die Artikel-Serien zur Erfurter Stadt- und Kulturgeschichte