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Erfurter Geschichtsverein

Der Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt gilt als "historisches Gedächtnis und Gewissen" der Stadt.


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Seit 1863 engagiert sich der Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt für die Erforschung und Popularisierung der Stadtgeschichte. Dabei hat er sich über die Lokalhistoriografie hinaus durch Vorträge, Führungen, Exkursionen und ein breites Engagement in Denkmalschutz und Erinnerungskultur als „historisches Gedächtnis und Gewissen“ der Stadt fest etabliert. Auch schwierige Zeiten und längere Unterbrechungen – von 1945 bis 1990 gab es in der SBZ und DDR gar keinen „bürgerlichen“ Verein – konnte der Geschichtsverein überdauern und bildet heute ein wichtiges Element im kulturellen Vereinswesen der Landeshauptstadt.

I.

Der „alte“ Geschichtsverein vor 1945 wurde wie vielerorts getragen von bürgerlichen Honoratioren der Bildungsberufe wie Lehrer, Archivare, Bibliothekare und Museologen, aber auch von Beamten, Juristen und Unternehmern. Die Vereinsarbeit hing (und hängt bis heute) stets stark vom Engagement einiger Protagonisten ab, die es zunächst zu würdigen gilt. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich die Vereinsführung und der Großteil der Mitglieder als gesellschaftlich-politisches Spiegelbild des Erfurter Bürgertums. Nach der gescheiterten Revolution 1848 und mit Blick auf die wachsende „rote“ Industriearbeiterschaft orientierte sich die Honoratiorenschaft zunehmend an den Eliten der preußischen und ab 1871 preußisch-deutschen Monarchie, ohne ihre liberalen Grundsätze völlig aufzugeben.

Beispielhaft hierfür steht Wilhelm Johann Albert Freiherr von Tettau (1804-1894). Von der Konstituierung des ersten Vorstandes 1864 bis zu seinem Tode übte er das Amt des Vorsitzenden aus. Der Oberregierungsrat der preußischen Bezirksregierung am Hirschgarten war 1848/49 der „Hauptführer der königstreuen Partei“ und Feindbild des demokratischen Bürgertums, so die Festschrift zum 50. Vereinsjubiläum 1913. Später jedoch stieg der engagierte Kultur- und Geschichtsliebhaber vom „bestgehaßten Mann in Erfurt“ zur „populärsten Persönlichkeit der Stadt“ auf.

Die entscheidenden Impulse für die Gründung des Geschichtsvereins gingen jedoch von dem Unternehmer, Eisenbahndirektor und Lokalhistoriker Karl Herrmann (1797-1874) aus. Er galt als die „eigentliche Seele“ des Vereins. Neben seinem Engagement für den Anschluss an das Eisenbahnnetz 1847 und um das Erfurter Unionsparlament 1850 hat Herrmann weit über seine Tätigkeit im Geschichtsverein hinaus wie kaum ein anderer das Bewusstsein für das „alte Erfurt“ und seine beeindruckenden Kulturdenkmale geschärft.

Auf die „Ära Tettau“ übernahm Dr. Paul Zschiesche (1849-1919) von 1895 bis 1919 den Vereinsvorsitz. Der Arzt und Erforscher der Erfurter Vorgeschichte steht für die sowohl in der Fachwelt als auch beim breiten Publikum immer anerkanntere Arbeit des Geschichtsvereins. Weitere Exponenten dieser „zweiten Generation“ waren der Geograf Prof. Dr. Alfred Kirchhoff, die Stadtarchivare Heinrich Beyer, Dr. Carl Beyer und Prof. Dr. Alfred Overmann, der Gymnasiallehrer Prof. Dr. Hermann Weißenborn, der Arzt Dr. Richard Loth, der Pastor Dr. Georg Oergel und Lehrer Robert Huth. Nicht vergessen sei der Pädagoge und Historiker Dr. Theodor Neubauer, der 1945 als kommunistischer Widerstandskämpfer hingerichtet wurde.

Schon unter der Leitung Paul Zschiesches begann die „Ära Biereye“, die wohl das Bild vom „alten“ Geschichtsverein am nachhaltigsten geprägt hat. Gymnasialdirektor Prof. Dr. Johannes Biereye (1860-1949) wirkte über Jahrzehnte im wissenschaftlichen, populärwissenschaftlich-pädagogischen und denkmalpflegerischen Bereich unermüdlich zum Wohle seiner Wahlheimatstadt Erfurt. Endgültig seit der Übernahme des Vereinsvorsitzes 1919 darf man ihn als Spiritus Rector der Geschichtsforschung und -vermittlung bezeichnen.

Im Ersten Weltkrieges 1914-1918 und in den schwierigen Nachkriegsjahren kam das Vereinsleben weitgehend zum Erliegen. Wie viele bürgerliche Honoratioren pflegte Biereye in jener Umbruchzeit seine eher konservativ-rechtsliberalen Ansichten. Dies bedeutete aber keineswegs, dass man nun „reaktionäre Geschichtspolitik“ gegen die Weimarer Republik betrieben hätte. Die Arbeiten des Geschichtsvereins zeugen vielmehr von einem – nach eigenem Verständnis – unpolitischen Wissenschaftsbegriff.

1933 zog man wiederum nicht mit fliegenden Fahnen ins Lager des Nationalsozialismus. 1934 verweigerte sich der Verein der Forderung, im Sinne des „Führerprinzips“ ein NSDAP-Mitglied an die Spitze zu stellen und bestätigte stattdessen Biereye einstimmig im Amt. Dieser hielt sogar Kontakt zu seinem von der Gestapo verfolgten Schüler Theodor Neubauer, dessen Manuskript zum „Tollen Jahr von Erfurt“ 1948 postum erscheinen konnte. Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939-1945 hatte es 1938 einen weiteren Generationenwechsel gegeben, indem der Volkskundler Prof. Dr. Martin Wähler (1889-1953) den Vereinsvorsitz übernahm.

Der Geschichtsverein war nach seiner Gründung 1863 auf ein großes Interesse gestoßen. Sofort hatten sich 142 Mitglieder gemeldet. Deren Zahl zeigte in den ersten Jahrzehnten eine steigende Tendenz und erreichte 1894 den Höchstwert von 217. Waren es 1923 sogar 371 Mitglieder, sank deren Zahl während der Weltwirtschaftskrise bis 1933 auf 221. Im Dritten Reich gestaltete sich die Mitgliederschaft weiter stark rückläufig. Der letzte Jahresbericht 1939 nennt nur noch 149 Mitglieder, deren Zahl im Krieg bis zum praktischen Erlöschen des Vereins 1945 weiter geschmolzen sein dürfte.

II.

Auf Initiative von Karl Herrmann war es am 23. Dezember 1863 zur Gründung eines „Vereins zur Sammlung und Erhaltung von Denkmälern der Vorzeit“ im Rathaussaal gekommen. Auf der konstituierenden Sitzung am 2. März 1864 im Ratskeller benannte dieser sich dann „Verein für die Geschichte und Alterthumskunde von Erfurt“. Der Name steht für die breite inhaltliche Ausrichtung: Geschichte meinte die schriftlich belegten historischen Epochen, während die Altertumskunde weitgehend der Archäologie bzw. Vorgeschichte entsprach.

Zentrales Aufgabenfeld war die Veröffentlichungstätigkeit. Zum Flaggschiff unter den Fachzeitschriften in Thüringen entwickelten sich seit 1865 die „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt“. Sie sind bis heute in vielen Bibliotheken des deutschsprachigen Raumes und darüber hinaus gelistet. Bis zur letzten Ausgabe der „alten“ Mitteilungen 1940 erschienen 53 Bände. Inhaltlich dominierten Beiträge zum Mittelalter, darunter zahlreiche Quellenpublikationen. Allmählich rückte auch die Frühneuzeit stärker in den Fokus. Themen der Neueren Geschichte fehlen in den „alten“ Mitteilungen dagegen fast gänzlich.

Seit gut 150 Jahren bestimmen auch die Veranstaltungen des Geschichtsvereins die Stadtgeschichtsforschung und -vermittlung mit. Inhaltlich gilt weitgehend das für die Publikationen Festgestellte. Die heutigen „Montagsvorträge“ begannen bereits 1864. 1908 regte Johannes Biereye eine wöchentliche zwanglose Zusammenkunft an, die sich nach wie vor als „Geschichtskränzchen“ großer Beliebtheit erfreut. Einer der Höhepunkte war die Mitausrichtung des 19. Deutschen Historikertages 1937. Jenes in der Forschung als „eine Art Kompromiß zwischen ‚alter‘ und ‚neuer‘ Geschichtswissenschaft“ eingestufte Gelehrtentreffen fand vom 5. bis 7. Juli 1937 im Festsaal des Collegium maius der ehemaligen Erfurter Universität statt. Die Festschrift von Stadt und Geschichtsverein spiegelt das Festhalten an traditionellen Wertvorstellungen, ohne freilich größere Berührungsängste gegenüber den neuen NS-Eliten erkennen zu lassen.

Von Beginn an trat den klassischen Aktivitäten eines Geschichtsvereins die Denkmalpflege an die Seite. Auch hierbei gilt Karl Herrmann als Pionier. Schon der Gründungsort war ein Signal dafür. Die Vereinsgründung am 23. Dezember 1863 fand nicht zufällig im Saal des alten Rathauses statt, wie Tettau deutlich machte: „Aufgabe des Vereins sei es fernerhin, den Untergang dessen, was vorhanden ist und an die ehemalige Größe Erfurts und an seine Blüthe im Mittelalter erinnert zu verhüten. Diese Aufgabe bezieht sich namentlich darauf, an Bau- und Kunstwerken zu erhalten, so viel noch möglich ist.“

Im fortschrittsgläubigen Zeitalter der Industrialisierung war dies keineswegs allgemeine Überzeugung. Viele der im Rathaus erschienenen Geschichtsfreunde mögen wie Tettau geahnt haben, „dass nicht nur dieses ehrwürdige und kostbare Denkmal längst vergangener Zeiten, sondern überhaupt das alte Erfurt in kurzem dahin schwinden werde“. 1830 hatte man mit dem Abriss des bis ins 13. Jahrhundert datierenden Rathauses begonnen, der sich mehrere Jahrzehnte hin zog. Erst 1875 konnte der neogotische Neubau schrittweise bezogen werden.

Und das Rathaus war nur ein Symbolort für die durchgreifende Umgestaltung von Erfurt. Innerhalb weniger Jahrzehnte sollte sich das Stadtbild radikal verändern. Bei Vereinsgründung 1863 besaß Erfurt rund 40.000 Einwohner, zum 50. Jubiläum 1913 hatte sich die Zahl auf 130.000 mehr als verdreifacht. Nahezu die kompletten Stadtbefestigungen und alle Stadttore verschwanden, die Stadt dehnte sich in alle Himmelsrichtungen aus, und die Innenstadt wurde in weiten Teilen im Stile der Gründerzeit umgestaltet.

Der Geschichtsverein stemmte sich nun keineswegs grundsätzlich gegen diese Modernisierung. Aber es blieb bei allem Fortschrittsoptimismus ein gewisses Unbehagen, wie es für das Bürgertum der wachsenden Industriestädte typisch war. Eine Antwort hierauf bestand in der Idealisierung von Heimat, im Folklorisieren des Landlebens, was sich zunehmend mit sozialkonservativ-völkischen Grundstimmungen vermischte. Mit Martin Wähler steht der spätere Vereinsvorsitzende als prominenter Volkskundler beispielhaft für diese ambivalenten Entwicklungen.

Die in jene Zeit zurück gehende Heimatschutzbewegung engagierte sich im urbanen Kontext für den Erhalt der historischen Altstädte. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Rettung des „Dämmchens“ nördlich der Krämerbrücke 1912/13, für die sich Biereye maßgeblich einsetzte. Dieses alte Stadtviertel an der Furt durch die Gera sollte teilweise abgerissen und eine Straße vom Fischmarkt zur Gotthardtstraße gebaut werden. Hätte man diese Pläne umgesetzt, würde heute einer der beliebtesten Bereiche der Altstadt mit dem „Krämerbrücken-Blick“ von einer Autopiste durchschnitten.

Ein weiteres verdienstvolles Kapitel der Vereinsgeschichte stellen die Bemühungen um die Wasserburg Kapellendorf dar, die Perle des einstigen Erfurter Landgebietes. 1930 wurde in Erfurt die Burggemeinde Kapellendorf unter Leitung ihres „Fürstehers“ Johannes Biereye gegründet. Mit großem Engagement bemühte man sich erfolgreich um die Sanierung der verwahrlosten Anlage, ehe die Verbindung zu Erfurt 1945 gekappt wurde.

Aber es galt die Erinnerungsorte nicht nur zu schützen, sondern sie auch erlebbar zu machen. Hierfür veranstaltete man erstmals 1903 einen „Tag der Denkmalpflege“ – gewissermaßen ein Vorläufer der heutigen Denkmalwoche. Kein anderer hat sich derart um die breitenwirksame Erschließung der zahlreichen Bau- und Kulturdenkmale Erfurts bemüht, wie der passionierte Pädagoge Johannes Biereye.

Schließlich sei nicht vergessen, dass der Geschichtsverein bei der Institutionalisierung der Stadtgeschichtsforschung und -verbreitung eine zentrale Rolle gespielt hat. So hat der Verein maßgeblich die Einrichtung eines Stadtarchivs (1864) angestoßen. Dies gilt auch für die Erfurter Museumslandschaft, ausgehend von einer Gemäldegalerie im heutigen Angermuseum 1886. Schon zuvor hatte der Geschichtsverein stadtgeschichtliche Gegenstände gesammelt und an verschiedenen Orten präsentiert. 1919 nahm man eine „schenkweise Überlassung der Sammlung des Vereins an die Stadt Erfurt“ vor – mit dem Wunsch, ein genuin historisches Museum einzurichten. Hierzu kam es allerdings erst 1974 mit der Eröffnung des Museums für Stadtgeschichte, dem heutigen Stadtmuseum.

Ebenso sei auf die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen und Institutionen hingewiesen. In Erfurt selbst gab es enge Kontakte etwa zur Akademie gemeinnütziger Wissenschaften und zu zahlreichen weiteren Kulturvereinen. Eine übergreifende Partnerschaft gab es von Beginn an neben anderen thüringisch-mitteldeutschen Vereinen zum Verein für Thüringische Geschichte und Alterthumskunde in Jena und zur Historischen Kommission für die Provinz Sachsen. Nicht vergessen sei die Mitgliedschaft im Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine.

Dass sich der Geschichtsverein so erfolgreich engagieren konnte, lag natürlich auch an seiner sozialen Stellung. Da war das hohe Prestige von Vorständen wie von Tettau, Herrmann und Biereye. Ihr Wort fand bei Oberbürgermeister, Magistrat und Stadtverordneten Gehör, sie gehörten den sozialen Netzwerken ihrer Zeit an. Neben wegweisenden Einzelprojekten waren die kontinuierliche Publikations- und Vortragstätigkeit, die Präsenz in den Medien und geschickte Lobbyarbeit ein Schlüssel zum Erfolg.

Dabei prägte der Geschichtsverein auf lange Sicht auch die städtischen Selbstbilder ganz wesentlich mit. Diese wurden besonders seit den 1920er-Jahren mit dem Aufschwung des Tourismus zugleich zu markanten Elementen der Fremdwahrnehmung. Auf den Punkt gebracht sind sie in dem seit 1931 mehrfach aufgelegten Fremdenführer „Erfurt – Blumen-, Luther- und Domstadt“, dessen Erstellung Vereinsmitglieder unterstützt hatten.

Die „Domstadt“ stand für die im 19. Jahrhundert angestoßene Rückbesinnung auf das mittelalterliche „Heldenzeitalter der Stadt“ (Carl Beyer). Die „Lutherstadt“ besaß zwar immer in der evangelischen Bevölkerungsmehrheit eine hohe Wertschätzung, wurde aber nicht zuletzt durch Johannes Biereye auf eine neue Qualität gehoben. Dessen unermüdliche Hinweise, dass Erfurt mit Luther und seiner alten Universität historische Hochkaräter zu bieten habe, trugen jetzt Früchte. Auch das Image einer „Blumenstadt“ wurde vom Geschichtsverein durch seriöse historische Unterfütterung mit gepflegt.

III.

Nach dem bisher Geschilderten lassen sich durchaus einige Traditionslinien vom „alten“ hin zum „neuen“ Geschichtsverein ziehen. Bei der Wiedergründung 1990 handelte es sich natürlich um einen Neubeginn. Der Verein mit seinen Vorsitzenden Prof. Dr. Ulman Weiß (1990-2001), Dr. Klaus-Dieter Kaiser (2001-2005), Dr. Thomas Nitz (2005-2013) und Prof. Dr. Karl Heinemeyer (seit 2013) und seinen Redakteuren Prof. Dr. Brigitte Döring (1993), Dr. Rudolf Benl (1994-2005) und Dr. Steffen Raßloff (seit 2005) agiert in einem völlig anderen politisch-gesellschaftlichen Umfeld als vor 1945.

Das Anknüpfen an die alten Bezeichnungen macht jedoch deutlich, dass man bewährte Traditionen aufgreifen wollte: Die „Mitteilungen“ erscheinen seit 1865, die „Montagsvorträge“ gehen auf die Veranstaltungen seit 1864 zurück, das „Geschichtskränzchen“ trifft sich seit 1908. Die jährlichen Fachtagungen stehen in der Tradition großer Veranstaltungen seit der Kaiserzeit, die oft in Kooperation mit auswärtigen Institutionen und Wissenschaftlern durchgeführt wurden.

Der Denkmalschutz nimmt wie zu Zeiten eines Karl Herrmann und Johannes Biereye breiten Raum ein. Kaum ein gefährdetes Kulturgut, für das der Verein nicht sein gewichtiges Wort in die Waagschale wirft. Galt es einst das „Dämmchen“ und die Wasserburg Kapellendorf zu retten, so half der Verein in jüngster Vergangenheit mit, im Nachwende-Boom so manche Bausünde zu verhindern.

Im Denkmalbeitrat der Stadt ist er vertreten. Die Erfurter Denkmalwoche steht ganz in der Tradition des Vereins besonders unter Biereye, der für eine anschauliche Geschichtsvermittlung den Gang zu den authentischen Schauplätzen propagiert hat. Die jüngsten Ergebnisse der Stadtarchäologie werden seit 1993 in einem Jahresbericht der Mitteilungen zugänglich gemacht. Hierin und in den jährlichen Vorträgen dokumentiert sich die enge Zusammenarbeit mit dem Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie.

Wie einst steht die öffentliche Erinnerungskultur mit auf der Agenda, etwa der Umgang mit Denkmalen, Straßennamen und Jubiläen. Auch der Austausch zwischen Historikern und Laien sowie die Kooperation mit anderen Vereinen verbinden „alten“ und „neuen“ Verein. So wie der alte von Beginn an in der Region wissenschaftlich verankert war, pflegt auch der neue gute Kontakte etwa zum Verein für Thüringische Geschichte und zur Historischen Kommission für Thüringen. Ebenso ist er wieder Mitglied im Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine.

Das Ansehen als „historisches Gedächtnis und Gewissen der Stadt“, das überregional Anerkennung findet, ist für den Verein weiterhin Ehre und Verpflichtung. Hierfür stehen auch Auszeichnungen, wie der renommierte Friedrich-Christian-Lesser-Preis 2018. Und wenn der Geschichtsverein heute wieder mit den Worten Johannes Biereyes „ad maiorem Erfordiae gloriam“ wirkt, so dürfte dies ganz im Sinne seiner Gründer sein.

Erfurt bietet hierbei als Stadt des jungen Luthers, der ältesten Universität Deutschlands, mit seiner Altstadt voller mittelalterlicher Kulturdenkmale, dem erst in jüngster Vergangenheit erschlossenen jüdischen Erbe oder als Blumenstadt und Ausrichter der Bundesgartenschau 2021 für das Profil der Stadt prägende Arbeitsfelder, die zugleich von übergreifendem wissenschaftlichen Interesse sind. Und auch heute ist es keineswegs überflüssig, auf die historischen Potenziale unserer Stadt aufmerksam zu machen.

Einiges hat der Verein seit seiner Wiedergründung in diesem Sinne schon beigesteuert. Die „Mitteilungen“ sind wieder das maßgebliche Periodikum der Stadthistoriographie. Seit 1993 bieten sie unter Berücksichtigung aller Epochen über die alten Hefte hinaus u.a. Rezensionen und eine Erfurt-Chronik. 2021 konnte die Attraktivität durch Farbdruck weiter gesteigert werden. Die neuen „Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt“ haben wichtige Themen mit Monografien und Sammelbänden erschlossen, wie die Universitätsgeschichte, die Bach-Stadt, die Blumenstadt, den Luftkrieg, das Gipfeltreffen 1970 und die Kontroverse um den „Wolfram“ im Dom.

Auch als Veranstalter tritt der Verein über seine eigenen Reihen hinaus hervor, etwa bei den mit initiierten Erfurter Synagogenabenden, die das jüdische Erbe seit 2008 in der Alten Synagoge thematisieren. Keine Berührungsängste gibt es zu den dunklen Kapiteln der Stadtgeschichte. So hat man sich immer wieder differenzierend und um Akzeptanz werbend in den Entstehungsprozess des 2011 eröffneten „Erinnerungsortes Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ eingebracht.

Die Bedeutung des Geschichtsvereins für die historische Erinnerungskultur zeigte sich zuletzt beim Projekt einer modernen Dauerausstellung zur Geschichte des Petersberges im Kommandantenhaus, eröffnet zur Bundesgartenschau 2021. Es wurde von einem wissenschaftlichen Kuratorium mit den Vorstandsmitgliedern Prof. Dr. Karl Heinemeyer, Dr. Steffen Raßloff, Sabine Hahnel, Tim Erthel und Hardy Eidam sowie den Vereinsmitgliedern Dr. Karin Sczech und Christian Misch getragen. In dieser Ausstellung spiegelt sich zudem das umfassende Spektrum der Vereinsarbeit, die sich auch in Zukunft der Stadtgeschichte von der Archäologie bis zur Zeitgeschichte widmen wird.

Steffen Raßloff: Tradition seit 1863. Der Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 81 (2022), S. 20-23.


Siehe auch: Erfurter Geschichtsverein