Georgenburse Geschichte

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Geschichte der Georgenburse Erfurt

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In den letzten Jahren hat die Lutherstadt Erfurt wieder deutlich an Profil gewonnen. Das Kulturjahr „Luther – Der Aufbruch“ 2010/11 widmet sich der Romreise Luthers vor 500 Jahren, zahlreiche Veranstaltungen erinnern an die prägenden Erfurter Jahre. Vieles wird durch die „Lutherdekade“ bis zum 500. Reformationsjubiläum 2017 möglich gemacht. Ein nachhaltiges Element stellen dabei die Investitionen in die Erinnerungslandschaft dar. Neben der Rekonstruktion des einstigen Universitätshauptgebäudes Collegium maius als Landeskirchenamt, dem Abschluss der Rekonstruktion des Augustinerklosters und einer neuen Dauerausstellung im Stadtmuseum ragt die Bildungs- und Begegnungsstätte Georgenburse Erfurt – Studienort der Lutherzeit deutlich heraus. Sie bildet seit dem 31. Oktober 2010 ein weiteres Glied in der Kette lebendig erlebbarer Lutherorte. Als Luthers Studentenwohnheim steht sie zugleich für das herausragende spätmittelalterliche Wissenschaftszentrum Erfurt mit der ältesten Universität im heutigen Deutschland.

Auf Initiative des Freundeskreises Georgenburse Erfurt e.V. unter Leitung von Augustinerkloster-Kurator Lothar Schmelz und des Luther-Beauftragten des Freistaates Thüringen Dr. Thomas A. Seidel wurde das historische Gebäude in enger Abstimmung mit Eigentümer Christian Niedling saniert. Im Dachgeschoss bietet eine Pilgerherberge elf Betten, womit auf die immer größere Beliebtheit Erfurts als Station auf Pilgerreisen reagiert wird. Darüber hinaus ist in dem Hause das Zentrum der Evangelischen St. Georgs Bruderschaft untergebracht, die gemeinsam mit dem Bonhoeffer-Haus e.V. eine Geistliche Akademie entwickeln möchte.

Erinnerungskulturelles Herzstück ist der Ausstellungs- und Begegnungsraum im Erdgeschoss. Er wurde gestaltet durch Carl Ulrich Spannaus vom Artus Atelier Erfurt und den Historiker Dr. Steffen Raßloff. Beide wurden unterstützt von Fachleuten der Universität Erfurt wie Prof. Dr. Josef Pilvousek, Dr. Klaus-Bernward Springer und Dr. Andreas Lindner. Unterstützung kam weiterhin vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und dem Stadtmuseum Erfurt „Haus zum Stockfisch“. Auf großen Bannern werden die sechs Schwerpunkte der Ausstellung umrissen: „Erfurt um 1500“, „Lutherstadt Erfurt“, „Universität Erfurt“, „Philosophische Fakultät“, „Kollegien und Bursen“ und „Georgenburse“.

Im Mittelpunkt steht das mittelalterliche Universitätsleben, wie es sich in einer solchen Burse abgespielt hat. Der Raum ist in seiner Gestaltung angelehnt an einen Vorlesungssaal mit großem Lesepult und zwei langen Tischen samt Sitzbänken. Damit wird die Nutzung als Bildungs- und Begegnungsstätte gewährleistet. Die Tische können aufgeklappt werden und enthalten Vitrinen, die viele Facetten wie Struktur einer Universität, Lehrinhalte, Studiengang und -abschlüsse, den Alltag von Studenten und Lehrern u.a.m. aufgreifen. Weitere wichtige Elemente sind eine multimediale Karte Erfurts zur Lutherzeit, auf der die wichtigsten Lutherorte angezeigt und in einem Klappbuch erläutert werden. Hinzu kommen ein Modell der Georgenburse, ein Bücherschrank und zahlreiche zeitgenössische Abbildungen.

Zunächst wird das Erfurt der Lutherzeit einführend erläutert. Es gehörte zu den größten und mächtigsten Städten des Deutschen Reiches. Von Luther ist hierzu das Zitat überliefert: «Erfurt steht am besten Orte, ist eine Schmalzgrube. Da muss eine Stadt stehen, wenn sie gleich wegbrennete.» War auch der Höhepunkt der historischen Entwicklung um 1500 bereits überschritten, machte das imposante «Erfordia turrita», das türmereiche Erfurt, auf den jungen Studenten Martin Luther noch immer großen Eindruck. Dieser wurde 1501 an der Universität Erfurt immatrikuliert und bezog vermutlich die Georgenburse. Das philosophische Grundstudium beendete er 1505 als Magister. Nach dem «Gewittererlebnis» bei Stotternheim brach Luther das begonnene Jurastudium ab und trat am 17. Juli 1505 ins Augustinerkloster ein. 1507 erfolgte die Priesterweihe im Dom, zugleich nahm Luther das Theologiestudium auf. Auch nach seinem Wegzug nach Wittenberg 1511 kam es zu bedeutsamen Aufenthalten. Luther selbst charakterisierte sein Verhältnis zu Erfurt so: «Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke.» Hier erfolgte mit dem Klostereintritt die entscheidende biographische Zäsur. Damit begann Luthers leidenschaftliche Suche nach einem «gnädigen Gott», die in die reformatorischen Grunderkenntnisse mündete. Zugleich stellt die von großen religiösen und gesellschaftlichen Spannungen erfasste Metropole einen wesentlichen Erfahrungshorizont für das reformatorische Wirken Luthers dar.

Einen wichtigen Teil in der Ausstellung nimmt die Bedeutung der Universität Erfurt ein. Die Erfurter Bürgerschaft erhielt 1379 das erste Privileg für eine Universität im heutigen Deutschland vor Heidelberg (1385) und Köln (1388). Nach erneuter Privilegierung durch den Papst 1389 wegen des Großen Schismas eröffnete diese 1392 mit allen vier Fakultäten (Philosophie, Medizin, Recht, Theologie). Die Alma mater Erfordensis, der bereits eine lange Kloster- und Stiftsschultradition (Studium generale) vorausgegangen war, entwickelte sich im 15. Jahrhundert zu einer der führenden Hochschulen Mitteleuropas. Luther sprach davon, dass sich neben Erfurt alle anderen Universitäten wie «kleine Schützenschulen» ausnähmen. Um 1500 wurde sie zu einem Zentrum des Humanismus und öffnete sich teilweise der Reformation Luthers. Gleichwohl war der Zenit ihrer Entwicklung überschritten. Nach langem Niedergang kam es 1816 zur Schließung der Universität Erfurt. 1994 erfolgte deren Wiedergründung als moderne Reformuniversität.

Die Philosophische Fakultät erfüllte innerhalb der Universität die Funktion eines Grundstudiums, ehe man eine der drei höheren Fakultäten (Medizin, Recht, Theologie) besuchen konnte. Jeder Student hatte dort die auf die Antike zurück gehenden Sieben Freien Künste (septem artes liberales) zu absolvieren, weshalb man von der Artistenfakultät sprach. Die meisten Scholaren begnügten sich mit der für eine gehobene berufliche Stellung ausreichenden Fakultät. Auch Martin Luther durchlief den Kanon der Artes (Künste), die in ein Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) unterteilt waren. 1502 erreichte er den ersten akademischen Grad eines Baccalaureus Artium, 1505 den eines Magister Artium. In der Ausstellung werden diese Schritte auf der akademischen Karriereleiter u.a. beispielhaft mit den Quellenbelegen von Luthers Abschlüssen dokumentiert. Er bekam sprachlich-philosophisches und naturwissenschaftliches Wissen vermittelt, das v.a. auf den Werken des Aristoteles fußte. Unter dem Einfluss bedeutender spätscholastischer Gelehrter wie Jodocus Trutvetter und Bartholomäus Arnoldi aus Usingen wurde besonders der Nominalismus Wilhelm von Ockhams gelehrt.

Den Hauptgegenstand der Ausstellung bildet schließlich die Organisation des mittelalterlichen Universitätslebens in Kollegien und Bursen. Es gab kein freies Studentenleben im heutigen Sinne. Die bis zu 1000 Studenten der Universität Erfurt mussten grundsätzlich in solchen klosterähnlichen Studien- und Wohnstätten Quartier nehmen. Hier verlief fast der gesamte, streng geregelte Studienalltag vom Wecken um 4.00 Uhr früh bis hin zum kollektiven Schlafengehen um 8.00 Uhr abends. Die Kollegien waren große, angesehene Bursen, in denen zahlreiche Lehrende und Lernende gemeinsam lebten. Einige Kollegiaten erhielten aus Stiftungsfonds Unterstützungen. Das Collegium maius war Hauptsitz der Universität und Sitz der Philosophischen Fakultät. Hinzu kamen das Collegium Porta Coeli (Zur Himmelspforte oder Amplonianum), das Collegium Marianum (Juristenkolleg) und das Collegium Saxonum. Die rein privatwirtschaftlich organisierten Bursen - der Begriff Burse leitet sich von Beutel, Geldbeutel her - waren kleiner, was bis hin zum Zusammenleben weniger Studenten im Haus eines Magisters reichen konnte.

Die bekannteste Burse der Universität Erfurt ist heute dank ihres prominenten Bewohners die Georgenburse. Ein Brief des Luther-Verwandten Dietrich Lindemann aus dem Jahre 1526 belegt, dass der spätere Reformator hier als Bursale lebte: «Grüßt mir unseren Verwandten M. Luther, der als Baccalaureus mich einst zu Erfurt in der Georgenburse […] einige Tage freundlich aufnahm.» Der erst 1902 in Zwickau entdeckte und lange Zeit wenig beachtete Brief ist in der Ausstellung erstmals als Faksimile zu sehen. Auch wenn sich nicht sicher sagen lässt, ob er die ganze Studienzeit hier verbrachte, gehört die Georgenburse dank dieses unstrittigen Quellenbeleges zu den wichtigsten Luther-Erinnerungsstätten.

Die Burse wird 1456 erstmals urkundlich erwähnt und existierte bis Mitte des 16. Jahrhunderts. Danach wurde sie vom Rat der Stadt wegen des Rückgangs der Studentenzahlen verkauft. An der Spitze stand wie bei allen Kollegien und Bursen als Rektor ein Magister; namentlich bekannt sind u.a. Jakob Scholl aus Straßburg (1499-1502), Johannes Algesheim von Groningen (um 1521) und Liborius Mangold (1540-1552). Die Bewohner waren sowohl Lehrer als auch Studenten, die ihrerseits nach dem ersten akademischen Grad des Bakkalaureus Lehrveranstaltungen zu geben hatten. So hat wohl auch Luther in der Georgenburse gleichzeitig gelernt und gelehrt. Neben einem fest angestellten Koch versahen einige Studenten bestimmte Dienste, wie den des Bierpropstes, der über die Getränkevorräte zu wachen hatte. Von einem solchen Bierpropst namens Becker berichtet die Friesesche Chronik aus dem Jahre 1520, er habe einen Raubmord nahe der Georgenburse begangen.

Wie alle Kollegien und größeren Bursen bestand die Georgenburse aus einem ganzen Gebäudekomplex bis an die Gera und die Augustinerstraße, was u.a. am Modell in der Ausstellung nachvollzogen kann. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Vorderhäuser am 9. Februar 1945 zerstört und erst in den letzten Jahren durch moderne Neubauten ersetzt. Im 20. Jahrhundert dank Johannes Biereye als Lutherort ins öffentliche Bewusstsein zurück gekehrt, bekam das erhaltene Gebäude im Lutherjahr 1983 sein heutiges Aussehen. Es geht laut Baugutachten in einzelnen Bauteilen bis ins 14. Jahrhundert zurück. Nach dem Ende der Burse hatte es mehrfache Umbauten und die verschiedensten Nutzungen (u.a. Weinlager, Schlosserei, Künstlerwerkstatt) gegeben; vor der jüngsten Sanierung befanden sich neben Lagerräumen noch Wohnungen in den Obergeschossen.


Text: Steffen Raßloff: Georgenburse Erfurt - Studienort der Lutherzeit. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 47 (2011). S. 28 f.