Der Mustergau Thüringen im Nationalsozialismus

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Thüringen im Nationalsozialismus

Thüringen war Vorreiter für die Machtergreifung der Nationalsozialisten und "Mustergau" im Dritten Reich


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Die NSDAP unter Gauleiter Fritz Sauckel erhob im Dritten Reich den Anspruch, in Thüringen einen „Mustergau“ errichtet zu haben. Dieser habe sich „seit Jahren auf Vorpostenstellung befunden“ und nach der „Machtergreifung“ 1933 einen erheblichen „Anteil am Befreiungswerk“ Deutschlands gehabt. Tatsächlich hatte sich hier in den 1920er-Jahren eine der frühen NSDAP-Hochburgen gebildet, gelangten 1930 erstmals Nationalsozialisten auf Ministerposten und erfolgte 1932 die „vorgezogene Machtergreifung“ unter der Regierung Sauckel. Im Dritten Reich ging Sauckel bei der braunen Gewaltherrschaft voran, bündelte regionale Machtkompetenzen, setzte in der Wirtschaftspolitik Akzente, nutzte die Ausstrahlung des Kulturlandes und baute Hitlers „Lieblingsstadt“ Weimar zu einer „Muster-Gauhauptstadt“ aus. Im Krieg sollte Thüringen mit unterirdischen Rüstungsprojekten, Auslagerungen und einem Führerhauptquartier im Jonastal zur letzten „Festung“ des Dritten Reiches werden.

Thüringen hat also bei Aufstieg, Herrschaft und Verbrechen der NS-Diktatur eine wichtige Rolle gespielt. Unermüdlich war die Gauleitung um Fritz Sauckel bis zum bitteren Ende bemüht, Thüringen in den verschiedensten Bereichen als „Mustergau“ zu profilieren. Häufig ist ihr dies gelungen, wobei tatsächlicher Stellenwert und propagandistische Überhöhung nur schwer zu trennen sind. Im internationalen kollektiven Gedächtnis ist Thüringen mit Blick auf das Dritte Reich fest verankert. Mit dem ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald befindet sich hier der bekannteste Erinnerungsort an die Verbrechen der Nationalsozialisten in Deutschland. „Muster-Gauleiter“ Sauckel wurde als „Hitlers Sklavenhalter“, als Organisator des Zwangsarbeitereinsatzes im Zweiten Weltkrieg, 1946 vom Nürnberger Militärtribunal zum Tode verurteilt.


Vorreiter der „Machtergreifung“

Der verlorene Erste Weltkrieg 1914/18 schuf als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ in Deutschland das Klima für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Aus der Novemberrevolution 1918 geboren, sollte die Weimarer Republik stets politische instabil bleiben und durch die Extreme von rechts und links gefährdet werden. Nirgendwo sonst zeigte sich dies so deutlich wie in Thüringen. Die politische Landschaft des 1920 aus den ehemaligen Kleinstaaten gegründeten Freistaates mit der Hauptstadt Weimar, dem die preußischen Gebiete mit Erfurt noch nicht angehörten, war tief gespalten. Von Beginn an standen sich im Landtag die linken Arbeiterparteien und die bürgerlich-nationalen Parteien gegenüber.

Auf der radikalen Rechten etablierte sich die 1919 in München gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) als stärkste Kraft. 1921 konnte sich Adolf Hitler als „Führer“ an ihre Spitze stellen. Zentrale Elemente der NS-Ideologie waren eine rassisch einheitliche „Volksgemeinschaft“, „germanische Demokratie“ mit persönlichem „Führertum“, Kampf der „Rassen“ bei Überlegenheit der „nordisch-germanischen Rasse“ und Antisemitismus. Über die Revision des Versailler Vertrages 1919 hinaus sollte sich das deutsche Volk Siedlungsraum im Osten erkämpfen. Hinzu kamen die Frontstellung zur linken Arbeiterbewegung und ein entschiedener Antiparlamentarismus.

Von Bayern aus etablierten sich seit 1921 erste Ortsgruppen in Thüringen. Bis zum gescheiterten Hitler-Putsch vom 9. November 1923 blieb es allerdings bei einem eher losen Verbund von Stützpunkten, der eine hohe Fluktuation von und zu anderen völkisch-nationalen Organisationen aufwies. Erst mit der offiziellen Gründung des Gaues Thüringen der NSDAP 1925 sollte der rasche Aufstieg beginnen. An dessen Spitze stand zunächst der antisemitische Schriftsteller Artur Dinter. Der Aufstieg wurde begünstigt von den politischen Konstellationen im Land. Die erste sozial-liberale Regierung 1920/21 zerbrach rasch an den Spannungen der Nachkriegszeit. Diese gipfelten im Kapp-Putsch vom März 1920. In beiden Lagern gewannen nun die radikalen Kräfte an Zuspruch. 1921 trat eine SPD-Regierung unter August Frölich ihr Amt an, die von den Kommunisten toleriert wurde. Sie begann eine intensive linksdemokratische Reformpolitik, die besonders im Kulturbereich etwa mit der Einführung neuer Feiertage zu Ungunsten kirchlicher und einer umfassenden Bildungsreform („Greilsche Schulreform“) für Aufsehen sorgte. Jene als „rotes Thüringen“ bezeichnete Periode sollte die politische Atmosphäre weiter aufheizen. Die von Wirtschaftskrise und Inflation begleitete Amtszeit Frölichs gipfelte in der „Volksfrontregierung“ von SPD und KPD im „heißen Herbst“ 1923, die nach dem Einmarsch der Reichswehr zurücktreten musste.

Die Bürgerparteien setzten danach alles auf die Entmachtung der Linken. Die Landtagswahl 1924 brachte jedoch keine absolute Mehrheit. So gerieten die sieben Abgeordneten der Völkischen und NSDAP in eine Schlüsselposition. Artur Dinter verstand es, ihre Stimmen für die Wahl der bürgerlichen Landesregierung öffentlichkeitswirksam in politische Münze umzuschlagen. Das politische Klima beförderte die Erholung der NSDAP. So fand am 3./4. Juli 1926 ihr erster Reichsparteitag, auf dem die „Hitler-Jugend“ gegründet wurde, in Weimar statt. Hitler erwog sogar die Verlegung der Parteileitung nach Weimar.

Zudem hielt eine kurzzeitige Stabilisierung der Republik in den „Goldenen Zwanzigern“ nicht lange an. Erneut waren nach der Landtagswahl 1929 die Bürgerlichen bei der Regierungsbildung auf die äußerste Rechte angewiesen. Die NSDAP gab sich allerdings nicht mehr mit einer Tolerierung zufrieden. Adolf Hitler reiste nach Weimar und setzte die Berufung des Hitler-Putsch-Teilnehmers Wilhelm Frick zum Innen- und Volksbildungsminister einer Koalitionsregierung durch. In Thüringen gelangte so 1930 erstmals ein Nationalsozialist auf den Ministersessel eines deutschen Landes.

Der spätere Reichsinnenminister nutzte sein Amt als „Experimentierfeld für die Machtergreifung“. Frick setzte die „Säuberung“ des Beamtenapparates fort, erließ Maßnahmen wie den Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“, nationalistische „Schulgebete“ und die Berufung des Rassekundlers Hans F. K. Günther an die Universität Jena. Neben Minister Frick und Staatsrat Willy Marschler profilierte sich der 1927 ins Amt gerückte NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel zum Einpeitscher seiner Partei.

Im Landtag führten nicht die Regierungspraxis Fricks zum Bruch der Koalition, sondern die heftigen verbalen Attacken der „Nazis“ gegen die Bürgerlichen. 1931 wurde Frick und Marschler das Misstrauen ausgesprochen. Die NS-Propaganda lief nun auf Hochtouren. Alle Parteigrößen um Hitler, Göring und Goebbels kamen nach Thüringen. Unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise mit Arbeitslosigkeit und sozialem Elend brachte sich die NSDAP in die Position des „letzten Retters aus der Not“. Die parallel zur Reichstagswahl ausgetragene Landtagswahl vom 31. Juli 1932 konnte sie mit 42,5 % der Stimmen klar gewinnen.

Nach dieser „Erdrutschwahl“ kam es zur „vorgezogenen Machtübernahme“ in Thüringen. Am 26. August 1932 nahm die vierte NSDAP-geführte Landesregierung nach Anhalt, Oldenburg und Mecklenburg-Schwerin in Weimar ihre Geschäfte auf. In seiner Regierungserklärung nahm Sauckel bereits Grundmaximen des Dritten Reiches voraus. Er betonte, dass „über die wirtschaftliche und politische Sicherung des Landes hinaus die Entfaltung und Gestaltung aller geistigen und seelischen Kräfte in Rasse und Volkstum“ erreicht werden müssten.


„Mustergau“ im Dritten Reich

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Durch die „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar konnten politische Gegner ohne gerichtliche Untersuchung in „Schutzhaft“ genommen werden. Tausende NS-Gegner, v.a. Kommunisten und Sozialdemokraten, wurden verschleppt. Am 23. März 1933 sorgte das „Ermächtigungsgesetz“ für die vom Reichstag unabhängige Gesetzgebung der Regierung Hitler. Bis Sommer 1933 wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten oder lösten sich auf. Zugleich suggerierten Symbolakte wie der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 mit der Verneigung Hitlers vor Reichspräsident Hindenburg, das bürgerliche Deutschland vereinige sich mit der NS-Bewegung zu einem neuen nationalen Ordnungsstaat.

Der Weg in die Diktatur verlief in Thüringen aufgrund der „vorgezogenen Machtergreifung“ relativ reibungslos. Dabei war die Gauleitung bemüht, weiter als „Vorreiter“ zu glänzen. So wurden schon am 31. Januar Aktivitäten der KPD verboten. Die politische Linke war im Frühjahr 1933 faktisch zerschlagen bzw. in den Untergrund gedrängt. Trotzdem blieb besonders der kommunistische Widerstand aktiv und besaß in der Gruppe um Theodor Neubauer und Magnus Poser ein wichtiges Zentrum. Auch Sozialdemokraten wie Hermann Brill gingen in den Widerstand. Viele von ihnen bezahlten dies ebenso wie Angehörige anderer politisch-gesellschaftlicher Gruppen mit KZ-Haft oder Tod.

In den Fokus der Verfolgungen durch das Dritte Reich gerieten neben der politischen Linken bald auch die Kirchen. Die NS-Führung kämpfte im „Kernland der Reformation“ und Land der Heiligen Elisabeth heftig gegen die beiden großen Konfessionen und kleinen Religionsgemeinschaften. Die NS-nahen „Deutschen Christen“ beherrschten zudem die Führungsstrukturen der evangelischen Landeskirche. Einzelne kritische Pfarrer und Laien der Bekennenden Kirche wurden gemaßregelt oder ins KZ Buchenwald gebracht. Dort starb 1939 mit Pfarrer Paul Schneider einer der bekanntesten evangelischen Geistlichen.Ganze zwei Wochen nach Hitlers Ernennung kam das Parlament als ein Symbol des verhassten demokratischen „Systems“ an die Reihe. In der Sitzung vom 14. Februar 1933 beschloss der Landtag auf Antrag der NSDAP, „sich auf unbestimmte Zeit“ zu vertagen – das war das faktische Ende des Parlamentarismus. Die erste Welle der „nationalen Revolution“ hatte sich bis Herbst 1933 über das Land ergossen. Es gelang dem neuen Regime in den Folgejahren, sich scheinbar auf Dauer zu etablieren.

Dem Geschehen in der Provinz des „tausendjährigen Reiches“ kam dabei erhebliches Gewicht zu, was bei aller Machtkonzentration in der NS-Führung um Hitler nicht zu übersehen ist. Gerade Fritz Sauckels Wirken in Thüringen macht dies deutlich. Das regionale Geschehen wurde im Sinne des „Führergedankens“ auf die Person des Gauleiters zugeschnitten und hierarchisch durchgegliedert. Dabei gelang es dem „Vizekönig“ Hitlers, den Wirrwarr der verschiedenen Ämter, Instanzen und Organisationen effektiv zu bündeln. Seit 1932 Regierungschef, wurde Gauleiter Sauckel am 5. Mai 1933 zum Reichsstatthalter für Thüringen ernannt und vereinte so die höchsten Ämter in Partei und Staat.

Allerdings verlor das Amt des Reichsstatthalters mit der „Gleichschaltung“ der Länder 1933/34 an Bedeutung. Dennoch gelang es Sauckel, mit einem Geflecht aus engen Verbindungen zur NS-Spitze um Hitler, aus Herrschaftsfunktionen, persönlicher Gefolgschaft, Prestigestreben und ökonomischem Einfluss seine Machtstellung zu stärken. Viele „alte Kämpfer“ wurden in Führungspositionen eingesetzt. Die Stellung Sauckels als dominierender „Gaufürst“, die keineswegs allen der 31 Gauleiter beschieden war, durfte Mitte der 1930er-Jahre als gefestigt gelten.

Hauptanliegen Sauckels war die Profilierung Thüringens zum „Mustergau“. Ein wesentlicher Akzent lag dabei auf der Kultur, ein Hauptelement bildete der Ausbau Weimars zu einer repräsentativen Gauhauptstadt. Sehr entgegen kam Sauckel die Vorliebe Hitlers für die Klassikerstadt, die dieser seit 1925 häufig besucht hatte. Sauckel konnte so die große Popularität des „Führers“ für sich nutzen. Hitler an Weimar zu binden, ließ er sich deshalb einiges kosten. Deutlich wird dies etwa im Neubau des von Hitler bevorzugten Hotels „Elephant“ am Marktplatz 1938.

Hitlers „Lieblingsstadt“ Weimar sollte darüber hinaus zum Muster für die Umgestaltung aller deutschen Gauhauptstädte werden. Herzstück war das „Gauforum“ (Weimarplatz) mit Bauten für Reichsstatthalterei und Gauleitung, Parteigliederungen, Deutsche Arbeitsfront und Wehrmacht sowie einer für 20.000 Zuschauer konzipierten „Halle der Volksgemeinschaft“. Dieser Platz sollte Machtdemonstration und Kulisse für die Inszenierung der NS-Volksgemeinschaft in Massenveranstaltungen werden. Das Bauprojekt wurde als einzige regionale NS-Machtzentrale in Deutschland fast fertiggestellt.

Zur Profilierung Weimars gehören aber auch Investitionen in Klassikerstätten wie das Goethe-Nationalmuseum und eine Nietzsche-Gedenkhalle. Bei alldem sollte die Erinnerung an die Nationalversammlung 1919, an den Geburtsort der Weimarer Republik ausgelöscht werden. Ein weiteres Element waren zahlreiche Kulturveranstaltungen. Viele davon präsentierte Sauckel auch im 1933 eröffneten „Thüringenhaus“ in Berlin. Medium der NS-Kulturpolitik wurde weiterhin die Landesuniversität Jena, seit 1934 „Friedrich-Schiller-Universität“. Dabei ging es besonders um die Darstellung als „Mustergau“ der Rassenkunde. 1939 trat in Jena Karl Astel, 1933 Begründer des Landesamtes für Rassewesen, als erster „Rasseforscher“ an die Spitze einer deutschen Universität.

Sein politisches Gespür ließ Gauleiter Sauckel auch in der Wirtschaftspolitik aktiv werden. Die Enteignung des Suhler Waffen- und Fahrzeugwerkes der jüdischen Familie Simson 1935 legte den Grundstein für die Wilhelm-Gustloff-Stiftung. Als NS-Musterbetrieb verlieh sie Sauckel ökonomische Macht. Der Ausbau der Rüstung führte zu einem tiefgreifenden Strukturwandel. Gegen Kriegsende wurde Thüringen zum Schauplatz verzweifelter Bemühungen, mit unterirdischen Anlagen die vom Luftkrieg bedrohte Rüstung aufrecht zu erhalten. Für diese mit tausendfachem Häftlingstod verbundenen Maßnahmen steht v.a. das KZ Mittelbau-Dora bei Nordhausen (1943/45) mit seinen V-2-Raketen-Stollen. Auf Initiative von Sauckel wurde 1944/45 unter dem Walpersberg nahe Kahla der Düsenjäger Me 262 hergestellt (REIMAHG). Die Gustloff-Stiftung wurde aber auch zum Feld sozialpolitischer Bemühungen. Es gehörte zur Überzeugungskraft des NS-Regimes, die Volksgemeinschafts-Vision mit Leben zu erfüllen. Hierzu zählten die Maßnahmen der an die Stelle der Gewerkschaften tretenden Deutschen Arbeitsfront. Die Gustloff-Stiftung stilisierte sich zum „Sozialismus der Gesinnung und der Tat“. Weimar sollte mit seinem „Fritz-Sauckel-Werk“ zu einer Muster-Industriestadt von 100.000 Einwohnern ausgebaut werden. Bei zahlreichen Grundsteinlegungen, Inbetriebnahmen usw. verstand es Sauckel, nach zwei Jahrzehnten mit Krieg, Bürgerkrieg und Wirtschaftskrisen Aufbruchsstimmung zu verbreiten.

Seit langem hatte Sauckel gute Beziehungen zur Wehrmacht gepflegt. Den richtigen Instinkt bewies er im Vorfeld des „Röhm-Putsches“ vom 30. Juni 1934, als Hitler die SA-Führung ermorden ließ. Ganz auf der Linie seines Führers hatte Sauckel die Forderungen nach einer „zweiten Revolution“ und dem Ausbau der SA zu einer Volksmiliz zurückgewiesen. Die Reichswehr blieb der „Waffenträger der Nation“, der ab 1935 als Wehrmacht mit allgemeiner Wehrpflicht rasant aufgerüstet wurde. Auch in Thüringen führte dies zum Ausbau vieler Garnisonen und der Errichtung großer Kasernenkomplexe.

Zum NSDAP-Gau gehörten das Land Thüringen, der preußischen Regierungsbezirk Erfurt und Kreis Schmalkalden. Damit hatte Sauckel auf der Parteiebene „Großthüringen“ unter seiner Verfügungsgewalt. Dass nach der „Gleichschaltung“ der Länder die Partei an Bedeutung gewann, kam ihm daher entgegen. Seine Bestrebungen nach einem einheitlichen „Reichsgau Thüringen“ scheiterten jedoch. Unter den Bedingungen des Krieges kam Sauckel seinem Ziel aber doch sehr nahe. 1944 verlieh ihm ein Führererlass die Befugnisse eines Oberpräsidenten für den Regierungsbezirk Erfurt.

Mit zu den schlimmsten Verbrechen der NS-Diktatur gehört die Ermordung Tausender behinderter Menschen durch das Euthanasieprogramm. Der Rassenhygiene (Eugenik) fielen seit Kriegsbeginn 1939 ca. 200.000 Psychiatriepatienten zum Opfer. Das Programm wurde in Thüringen v.a. in den Heilanstalten Blankenhain, Hildburghausen, Pfafferode und Stadtroda durchgeführt, wobei ca. 630 Patienten ums Leben kamen. Hinzu kam die „Kindereuthanasie“ in Stadtroda.

Auch ihren Judenhass lebten die thüringischen Nationalsozialisten voll aus. Im Gaugebiet wohnten 1933 rund 4500 Juden. Ihnen wurde schon seit 1932 das Leben schwer gemacht. Jetzt galt es, sich auch in der „Judenfrage“ hervorzutun. So galt die „Arisierung“ der Simson-Werke als international beachteter Präzedenzfall. Vom Judenboykott am 1. April 1933 über die Nürnberger Gesetze 1935, die „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 bis hin zu den „Endlösungs“-Deportationen nach der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 zieht sich die Spur der Entrechtung und Vernichtung jüdischer Mitbürger. 1945 lebten noch ganze 400 von ihnen in Thüringen.

Am eindringlichsten symbolisiert wird die verbrecherische NS-Herrschaft vom Konzentrationslager Buchenwald nahe Weimar, ab 1937 eines der drei Großlager im Reich neben Dachau und Sachsenhausen. Das KZ mit seiner großen SS-Besatzung gehörte mit zur Profilierung als „Mustergau“. Die Häftlinge waren zudem billige Arbeitskräfte, mit denen die Weimarer Bauvorhaben und die Rüstungswirtschaft forciert wurden. Buchenwald sollte nach der Befreiung am 11. April 1945 schlagartig zum Synonym des Mord- und Terrorortes in Deutschland werden. Jenes Lagers, in dem rund 56.000 Menschen ums Leben kamen, zeichnet so für die vielzitierte Janusköpfigkeit der zum UNESCO-Welterbe zählenden Kulturstadt Weimar verantwortlich.

Nach der Auslösung des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, besonders aber mit dem Ende der erfolgreichen „Blitzkriege“ 1942/43 hatte Reichsverteidigungskommissar Sauckel die „Heimatfront“ zu organisieren. Neben der Lösung vieler Probleme vom verstärkten Luftkrieg bis hin zum Mangel an Dingen des Lebensbedarfes fiel ihm auch die Aufgabe zu, die Bevölkerung zum Durchhalten zu mobilisieren. Die britischen und amerikanischen Bomberangriffe kosteten etwa 20.000 Thüringern das Leben, einige Städte, besonders Nordhausen, Jena und Gera, wurden stark zerstört. Auch die Kämpfe zwischen der Wehrmacht und den am 1. April 1945 von Westen in Thüringen einrückenden Truppen der 3. US-Armee kosteten noch zahlreiche Menschenleben. Am 16. April 1945 war für Thüringen der Krieg und damit die Herrschaft der Nationalsozialisten beendet.


Historische Erinnerungskultur

Die exponierte Rolle Thüringens im Nationalsozialismus ist auch eine besondere Verpflichtung und Herausforderung an die Erinnerungskultur im heutigen Freistaat. Dem wird man an zentralen Erinnerungsorten wie den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vollauf gerecht. Dort hat man auch eine breite Aufarbeitung des Umgangs mit den beiden KZ nach 1945 vorgenommen. Der Erinnerungsort „Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ in Erfurt erinnert an jenes Unternehmen, das die Krematorien für die KZ von Buchenwald bis Auschwitz hergestellt hat. Dabei wird besonders die Frage nach der moralischen Verantwortung der Wirtschaft und jedes Einzelnen aufgeworfen.

Zahlreiche weitere Gedenkstätten, Museen und Bildungseinrichtungen, oft aus bürgerschaftlichem Engagement geboren, leisten einen wichtigen Beitrag. So erinnert ein Dokumentationszentrum an das REIMAHG-Werk im Walpersberg bei Kahla, eine Ausstellung in Turmgebäude des „Gauforums“ in Weimar an die architektonischen Ambitionen der „Muster-Gauhauptstadt“. Viele kleinere Gedenkorte, Denkmale und Erinnerungstafeln machen auf die Spuren der NS-Diktatur aufmerksam. Gefragt sind daneben politische Bildung, Schulen und Medien, das Wissen an die nachwachsenden Generationen weiter zu geben. Und nicht zuletzt gilt es, die Erinnerung durch die Landesgeschichtsschreibung wach zu halten. (Foto: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar)

Text: Steffen Raßloff: Der "Mustergau" Thüringen im Nationalsozialismus (Thüringen. Blätter zur Landeskunde 106). Erfurt 2015.


Lesetipp: Steffen Raßloff: Der "Mustergau". Thüringen zur Zeit des Nationalsozialismus. München 2015.


Filmdokumentation: Fritz Sauckel - Hitlers Mann in Thüringen (MDR, "Geschichte Mitteldeutschlands", Erstausstrahlung am 16.08.2009)


Siehe auch: Fritz Sauckel, Erfurt im Nationalsozialismus, Geschichte Thüringens, Drittes Reich