Blumenstadt Erfurt - Gartenbauunternehmen

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Blumenstadt Erfurt - Gartenbauunternehmen

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2007)


Mythos Blumenstadt (1): Erfurt beherrschte um 1900 den Weltmarkt in Sachen Gartenbau und Samenzucht

Erfurt möchte seinen verblassten Ruf als Blumenstadt wiederbeleben. Dabei richtet sich der Blick auch auf die historischen Wurzeln dieses Mythos. Sie liegen im 19. Jahrhundert, als die Gartenbauunternehmer der Stadt den Weltmarkt beherrschten.


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Die traditionsreiche Kunst- und Handelsgärtnerei reicht weit ins Mittelalter zurück. Im 19. Jahrhundert wurde sie aber ein die Wirtschaft und den Ruf der Stadt in besonderem Maße prägender Sektor. Verantwortlich hierfür waren Firmen wie Fr.Ad. Haage jun. (1822, „Kakteen-Haage“), J.C. Schmidt (1823, „Blumenschmidt“), Ernst Benary (1843), F.C. Heinemann (1848), Pabst & Neumann (1857), Haage & Schmidt (1863), N.L. Chrestensen (1867), Liebau & Co. (1892) und Stenger & Rotter (1896). Ihre Produkte erwarben „einen weit über die Grenzen des deutschen Vaterlandes hinaus reichenden Ruf“, so eine zeitgenössische Darstellung zur Geschichte des Gartenbaus. Der in dieser Zeit erworbene Beiname „Blumenstadt“ wurde durch große Gartenbauausstellungen seit 1865 gefestigt.

Von Erfurt gingen Innovationen wie der erstmalige Versandt von getrockneten Blumen (1853) und frischen Schnittblumen (1854, J.C. Schmidt) aus – gewissermaßen als Vorläufer des Fleurop-Systems. Die seit der Jahrhundertmitte aufkommende Verschickung von Sämereien in bunten Samentüten wurde zum Markenzeichen der Erfurter Gartenbaubetriebe, das schon 1862 rund 90% des Exports ausmachte. Eine weltweite Führungsstellung mit einem Katalog von rund 13.000 Samenarten errang sich die Firma Haage & Schmidt.

Die Blumenstadt war aber auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild deutlich zu erkennen. Viele Zeitgenossen schwärmten von den endlosen Blumenfelder rund um die Stadt und den riesigen Gartenbau- und Samenzuchtbetrieben. Man muss sich Erfurt als Insel in einem „Meer von berauschend duftenden, in allen Farben leuchtenden Blüten: Rosen und Feilchen, Reseden, Levkojen und Tulpen, Balsamienen“ vorstellen, wie es der Reiseschriftsteller Karl Emil Franzos um 1900 beschrieben hat.

Die Stadt war bestrebt, den Gartenbau als tragende Säule der Wirtschaft zu erhalten. So blieben große Teile des fruchtbaren Geländes im Norden und Westen den Gärtnern vorbehalten. Trotz Industrialisierung und hektischem Baugeschehen blieb das Gartengewerbe einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren. Neben den fest Beschäftigten arbeiteten hunderte von Saisonkräften in Erfurt. Allein Benary und Chrestensen stellten jedes Jahr rund 1000 von ihnen ein. Erfurt war die einzige deutsche Industriegroßstadt, in der laut Gewerbestatistik die Landwirtschaft einen Anteil von über 4% der Arbeiter ausmachte.

Ihre protektionistische Haltung gegenüber dem Gartenbau musste die Stadt freilich zumindest teilweise korrigieren. 1909 gab man, weit später als andere Großstädte, ein großes Gelände für neue Industrieansiedlungen nördlich von Ilversgehofen frei. Dieser Prozess der Zersiedelung durch Gewerbe- und Wohnbau im Umland hat bis heute angehalten. Gleichzeitig bedeuteten die beiden Weltkriege und die „Wende“ von 1989/90 Zäsuren, die die internationale Ausnahmestellung des Erfurter Gartenbaus untergruben.

Nun wird Erfurt heute weder die wirtschaftliche Weltgeltung noch die Idylle duftender Blumenfelder zurückholen können. Man kann aber versuchen, die großen Gartenbautraditionen in ein modernes Imagekonzept einzubinden. Mit egapark, Gartenbaumuseum, Fachhochschule und Gartenbauunternehmen wie Chrestensen und Haage stehen kompetente Partner bereit. Die vom Autor vorgeschlagene Grünanlage am Hirschgarten mit dem Denkmal des Gartenbau-Pioniers Christian Reichart wäre ein erster symbolischer Schritt.


Mythos Blumenstadt (2): Das Gartenbauunternehmen Benary

Ernst Benary begründete 1843 eines der großen Erfurter Gartenbauunternehmen mit Weltruf. Er und seine Nachkommen verkörpern zugleich den Typus des gemeinnützigen Bürgers, was bis heute in der Grünanlage am Benaryplatz sichtbar ist.


Erfurt erwarb sich im 19. Jahrhundert den weltweiten Ruf einer Blumenstadt. Maßgeblich hierfür verantwortlich waren Männer wie Ernst Benary, die es vom kleinen Gärtner bis zum Unternehmer von Weltrang brachten. Ihren wirtschaftlichen Erfolg setzten sie auch zum Wohle der Allgemeinheit ein. Die von Benary testamentarisch gestiftete Grünanlage am Benaryplatz erinnert an jenen freigiebigen Bürgergeist. Sie bildet mit dem 2000 eingeweihten Denkmal einen der zentralen Symbolorte für den Mythos Blumenstadt.

Ernst Samuel Benary (1819-1893) entstammte einer jüdischen Familie aus Hessen. Sein Vater, der Bankier Salomon Levy Benary, war 1821 nach Erfurt gezogen. Nach langen Querelen hatte er 1824 durch Kabinettsorder des Königs von Preußen gegen den Willen des Stadtrates als einer der ersten Juden das Bürgerrecht erlangt. Ernst Benary ging nach dem Besuch des Gymnasiums bei Gartenbauerunternehmer Friedrich Adolph Haage in die Lehre und gründete 1843 eine kleine Gärtnerei. Er erwarb Grundstücke im Brühl, das im Laufe der Jahre mit seinen Gewächshäusern, Beeten, den vier Villen der Besitzergenerationen sowie dem Geschäftshaus in der Gorkistraße (1890, heute Aufbaubank) durch das Familienunternehmen geprägt wurde. Seine Söhne Friedrich und John Benary sowie deren Nachkommen führten die erfolgreichste Erfurter Samenzuchtfirma vor dem Ersten Weltkrieg 1914/18 auf den Höhepunkt ihrer Entwicklung.

Die Benarys zählten zur bürgerlichen Führungsschicht der Stadt. Friedrich Benary gehörte 1910 zu den sieben Großunternehmern, die es zu mehrfachen Millionären gebracht hatten: Textilfabrikant Ferdinand Lucius (9 Mio. Mark), Malzfabrikant Fritz Wolff (6 Mio.), Friedrich Benary (6 Mio.), Lampenfabrikant Franz Kaestner (5 Mio.), Bankier Herrmann Stürcke (3 Mio.), Bankier Max Stürcke (3 Mio.) und Maschinenfabrikant Ludwig Topf (3 Mio.). Damit verbunden war eine einflussreiche Stellung im gesellschaftlichen Leben. So stand Friedrich Benary von 1912 bis 1917 an der Spitze der Handelskammer. Sein Bruder John Benary brachte es bis zum stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher. Die antisemitischen Vorbehalte wichen angesichts dieses gesellschaftlichen Status, mit den Benarys knüpfte man jetzt gern familiäre Bande. So heiratete etwa Bankier Max Stürcke eine Benary. Ganz im bürgerlichen Geiste betätigten sich die Benarys auch im kulturellen Bereich. Friedrich stand an der Spitze des „Erfurter Musikvereins“, John leitete die „Vereinigung der Erfurter Museumsfreunde“. Im Nachruf auf Kommerzienrat John Benary von 1926 nahmen die Verdienste als Kunstsammler, Mäzen und Persönlichkeit des kulturellen Lebens der Stadt breiten Raum ein.

All dies erklärt auch den bemerkenswerten Umstand, dass Stadthistoriker Johannes Biereye 1937 den Begründer der Gartenbaudynastie Ernst Benary in sein Lexikon „Erfurt in seinen berühmten Persönlichkeiten“ aufnahm. Selbst zwei Jahre nach den berüchtigten Nürnberger Rassegesetzen und übelster antisemitischer Propaganda der Nationalsozialisten fand der jüdische Gartenbauunternehmer die Anerkennung, die ihm zweifellos zukam.

Siehe auch Ernst Benary Denkmal


Mythos Blumenstadt (3): Das Gartenbauunternehmen Heinemann

Er ging mit Ernst Benary gemeinsam zur Schule und hat fünf Jahre nach diesem 1848 ebenfalls eine Gärtnerei gegründet. Auch Friedrich Carl Heinemanns Samenszuchtbetrieb trug maßgeblich zum internationalen Ruf Erfurts als Blumenstadt bei.


Friedrich Carl Heinemann (1819-1875) stammte aus Vieselbach. Sein Vater ermöglichte ihm eine gründliche Ausbildung in der Hofgärtnerei Belvedere in Weimar und naturwissenschaftliche Studien an der Universität Jena. Nach beruflichen „Wanderjahren“ in Deutschland, Frankreich, England, Belgien und Österreich gründete er im Revolutionsjahr 1848 in Erfurt seine eigene Firma.

„F.C. Heinemann“ wurde rasch zum internationalen Markenzeichen für Blumen- und Gemüsesamen. Wohn- und Betriebsgelände befanden sich im Bereich des heutigen Huttenplatzes, später kamen große Erweiterungen westlich der Nordhäuser Straße hinzu. Heinemanns Versandkataloge, die schon 1850 2600 Samenarten aufwiesen, konnten sich bald mit hohen Auszeichnungen schmücken. Auf der legendären Erfurter Gartenbauausstellung 1865 gewann er den von Kaiserin Augusta gestifteten Ersten Preis. Natürlich zählte Friedrich Carl Heinemann ebenso wie seine Nachkommen zur Honoratiorenschaft der Stadt. Er gehörte der noblen Gesellschaft „Ressource“ an, wirkte im katholischen Kirchenvorstand, betätigte sich ehrenamtlich und als Stifter.

Nach den drei Söhnen war es an den Enkeln Waldemar und Alfred Heinemann, die Firma nach dem Ersten Weltkrieg ab 1919 bzw. 1924 durch die Wirren der krisengeschüttelten Weimarer Republik zu führen. Es gelang ihnen wie vielen der Erfurter Gartenbaukollegen, die internationale Marktstellung zumindest in großen Teilen zurück zu gewinnen. Auf dem Gelände des Stammsitzes an dem heutigen „wilden“ Parkplatz am Huttenplatz und in der Marbacher Flur entfaltete sich wieder geschäftiges Treiben. Neben dem Versandhandel betrieben die Heinemanns wegweisende Grundlagenforschung und Neuzüchtungen, erweiterten das Geschäft durch eine Baumschule. Der 1926 erstmals in Kupferdruck herausgegebene Hauptkatalog und Ratgeber fand viele Liebhaber.

Auch nach der „Machtergreifung“ Hitlers 1933 blieb das Geschäft auf dem Vormarsch. Starke Berührungsängste zum neuen Regime scheint man dabei nicht gehabt zu haben. Besitzer Waldemar Heinemann gehörte zu den „Märzgefallenen“, d.h. zu denjenigen, die nach Ansicht vieler „alter Kämpfer“ aus opportunistischen Gründen im Frühjahr 1933 der NSDAP beigetreten waren. Das Nachkriegsschicksal der Firma F.C. Heinemann schließlich steht beispielhaft für viele Privatunternehmen nicht nur der Gartenbranche. Verließen etwa die Benarys schon 1951 Erfurt Richtung Westen, wurde der Firmeninhaber Alfred Heinemann 1953 wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Ende der 50er Jahre siedelte er ebenfalls in die Bundesrepublik über. 1972 erfolgte die endgültige Verstaatlichung des Unternehmens.


Mythos Blumenstadt (4): Das Gartenbauunternehmen J.C. Schmidt („Blumenschmidt“)

Die 1823 gegründete Gartenbaufirma J.C. Schmidt ging als „Blumenschmidt“ in die Geschichte ein. Mit wirtschaftlichem Erfolg und vielen Innovationen trug sie wesentlich zur Weltgeltung der „Blumenstadt“ Erfurt bei. Das Palmenhaus am Anger erinnert an den Glanz der großen Zeit des Erfurter Gartenbaus um 1900.


Firmengründer Johann Christoph Schmidt (1803-1868) hatte zunächst in der Tradition seines Vaters als Wachsbossierer gearbeitet. Aus dem Rohstoff Bienenwachs gestaltete er u.a. beliebte Wachsfiguren. Auf dem Umweg über den Blumenanbau für seine Bienen machten Schmidt und seine Nachkommen schließlich ganz in Blumen. Die 1823 gegründete Firma „J.C. Schmidt“ bekam rasch den Ehrennamen „Blumenschmidt“. Johann Christoph Schmidt gehörte zu den aktiven Gründungsmitgliedern des Gartenbauvereins (1838), der für fachlichen Austausch sorgte, Ausstellungen vorbereitete und an der Gründung der „Thüringer Gartenbauzeitung“ beteiligt war. Kaum eine wichtige Neuerung in der Branche geschah ohne Schmidts Zutun, so etwa der erstmalige Versandt von getrockneten Blumen (1853) und frischen Schnittblumen (1854), gewissermaßen die Vorläufer des heutigen Fleurop-Systems. Spezialitäten von Blumenschmidt waren darüber hinaus die Bukett- und Kranzbinderei sowie die Herstellung von Wachsblumen.

Heinrich Schmidt (1841-1890) führte die Firma seines Vaters erfolgreich weiter. Zum äußeren Ausdruck des wirtschaftlichen Erfolges wurde der 1888 an der Ecke Schlösserstraße/Anger neben der Lorenzkirche errichtete Verkaufspavillon. Mit der eindrucksvollen Glasarchitektur des „Palmenhauses“ setzte sich „Blumenschmidt“ im Herzen der Stadt ein bleibendes Denkmal.

Teilhaber Ernst Müller übernahm nach dem Tod von Heinrich Schmidt 1890 die Firma als Alleininhaber. Der intelligente und erfolgreiche Kaufmann verhalf „Blumenschmidt“ zu neuem Aufschwung. Allerdings verstarb auch er schon 1900 im Alter von nur 45 Jahren. Später übernahmen sein Sohn Alfred Müller und Alfred Wentscher die Firma. Die eigentlich prägende Persönlichkeit über Jahrzehnte hinweg war die Witwe Ernst Müllers, Seniorchefin Marie Bauer. Sie genoss hohes Ansehen und spielte im gesellschaftlichen Leben der Stadt eine wichtige Rolle. Ihr Andenken ist in dem nach dem Ersten Weltkrieg am Ringelberg errichteten Marienhof verewigt. Dort hatte man einen Saatguthof mit Schäferei und Fohlenzucht eingerichtet. Das Krämpferfeld am nordwestlichen Stadtrand war seit langem das „Revier“ von „Blumenschmidt“. Große Gewerbeanlagen befanden sich an der Leipziger Straße gegenüber dem alten Nordhäuser Bahnhof.

Allerdings gehörte „Blumenschmidt“ zu jenen Gartenbauunternehmen, die die großen Beeinträchtigungen durch Ersten Weltkrieg und Krise der Weimarer Republik nicht überstanden. 1926 musste die Firma Bankrott anmelden und verschmolz mit dem Gartenbauunternehmen Benary.

„Stadtgeflüster“

Das „Palmenhaus“ am Anger galt als das Aushängeschild des Erfurter Gartenbaus. Es war viel mehr als nur ein Verkaufpavillon von „Blumenschmidt“, es verkörperte den „Mythos Blumenstadt“. So kann man nur auf die baldige Wiederbelebung dieses einzigartigen Erinnerungsortes im Herzen der Stadt hoffen.


Mythos Blumenstadt (5): Das Gartenbauunternehmen Haage

Das Familienunternehmen Haage steht für zwei Besonderheiten des Erfurter Gartenbaus: Brunnenkresse- und Kakteenzucht. Seit dem 18. Jahrhundert bauten Haages am Dreienbrunnenfeld jene auch von Napoleon sehr geschätzte Wasserpflanze an. Die stacheligen Gewächse brachten der Familie den Namen „Kakteen-Haage“ ein.


Die feuchte, fruchtbare Gera-Niederung am Dreienbrunnenfeld gilt als „Wiege des Erfurter Gartenbaus“. Schon Gartenbau-Pionier Christian Reichart (1685-1775) hatte hier Kresseklingen angelegt, weil er der schmackhaften Wasserpflanze heilsame Wirkung gegen alle möglichen Krankheiten zusprach. Der prominenteste Kresse-Liebhaber war Kaiser Napoleon I., der 1808 Erfurter Gärtner nach Frankreich beorderte, um dort ebenfalls Kresse anzubauen. 1769 begründete Heinrich Haage im Dreienbrunnenfeld die lange Tradition des Familienunternehmens Haage. 1803 folgte ihm Sohn Joachim, 1830 Enkel Friedrich, 1863 Urenkel Gottfried, 1910 Ururenkel Fritz und 1953 Urururenkel Fritz Haage. Neben anderen Gemüse- und Obstkulturen blieb der Kresseanbau ein wichtiges Standbein des Unternehmens. Fritz Haage junior hatte ihn in den 1930er Jahren durch die Anlage großer Becken mit hölzernen Laufstegen effektiviert und erntete bis zu 20 Tonnen Kresse jährlich. Die Klingen rund ums heutige „Kresseschlösschen“, 1880 als Wohnhaus der Haages errichtet, erinnern an dieses besondere Kapitel Geschichte der Blumenstadt Erfurt.

Begründer der Kakteen-„Linie“ in der verzweigten Familie war Friedrich Adolph Haage (1796-1866). Seine Ausbildung erhielt er am Hofe von König Friedrich August von Sachsen, wo er auch mit der Pflege von Kakteen betraut war. Nach Erfurt zurückgekehrt, gründete er 1822 eine Gärtnerei. Dank großer fachlicher und kaufmännischer Fähigkeiten wuchs sie zu einem der erfolgreichsten Gartenbauunternehmen.

Natürlich gehörte Friedrich Adolph Haage zur bürgerlichen Führungsschicht der Stadt. Er war Mitbegründer des Erfurter Gartenbauvereins (1838) und später dessen Ehrendirektor. Sein Urenkel Ferdinand Friedrich Adolf Haage führte die Spezialisierung auf Kakteen mit großem Erfolg weiter. Haages Produkte genossen Weltruf, das Handbuch „Haages Kakteen-Kultur“ galt um die Jahrhundertwende als Standardwerk. 1903 entstand das neue Firmengelände in der Andreasflur mit großen Gewächshauskomplexen. Zwar beeinträchtigten die beiden Weltkriege das Unternehmen, doch konnte selbst in der schweren Nachkriegszeit nach 1945 der Betrieb wieder aufgenommen werden.

Anders als bei vielen der großen Gartenbauunternehmen brach zudem die Familientradition in der DDR-Zeit nicht ab. Zwar ging Walther Haages Firma 1972 in Volkseigentum über. Die Leitung der Kakteenzucht des VEG Saatzucht Zierpflanzen wurde jedoch Sohn Hans-Friedrich Haage übertragen, Walther Haage behielt einen gewissen Einfluss auf den Betrieb. Nach der Wende bekam Hans-Friedrich Haage das Unternehmen rückübertragen. Der klangvolle Name „Kakteen-Haage“ mag mitgeholfen haben, dass seit 1990 wieder erfolgreich Kakteen und andere Pflanzen bzw. Samen von Erfurt aus in alle Welt versendet werden. Durch Juniorchef Ulrich Haage wird die Tradition der ältesten europäischen Kakteenzucht fortgesetzt. Neben internationalen Auszeichnungen hat er wie viele Haages vor ihm mit seinem Kochbuch „Kakteen zum Anbeißen“ neue Wege beschritten.


Mythos Blumenstadt (6): Das Gartenbauunternehmen Chrestensen

Der Ruf der Blumenstadt hatte Niels Lund Chrestensen aus dem dänischen Jütland nach Erfurt geführt. Er sollte diesen Ruf gehörig befördern. Seit 1867 betätigen sich mittlerweile fünf Generationen dieses Familienunternehmens erfolgreich als „Lieferanten für die Gärten der Welt“.


Niels Lund Chrestensen (1840-1914) war der älteste Sohn eines dänischen Bauern in Jütland. Er lernte das Gärtnerhandwerk bei C. Jensen in Aarhus. Zur weiteren Ausbildung ging er 1864 nach Erfurt, das schon zu dieser Zeit eine einmalige Dichte an Gartenbauunternehmen von Weltruf und verschiedenen Spezialisierungsrichtungen aufwies. In mehreren Firmen betätigte er sich als Gehilfe und Obergärtner.

1867 begann Chrestensen mit einer Binderei von prächtigen Blumensträußen und Kränzen. Das von ihm erfundene Trockenverfahren machte die Blumen länger haltbar und sorgte rasch für regen Absatz. 1874 erweiterten Kunst- und Handelsgärtnerei sowie Krobflechterei die Produktpalette. Der florierende Samenhandel machte „N.L. Chrestensen“ schließlich um die Jahrhundertwende zur Weltfirma. Die internationalen Märkte wurden seit 1896 auch von einem Verkaufsbüro in London aus koordiniert. Die Weltausstellung 1893 in Chicago endete mit der Ehrung durch die Große Columbus Medaille, zu der hunderte andere Preise hinzu kamen.

Zugleich gehörte Chrestensen als Vertreter der bürgerlichen Honoratiorenschaft dem Vorstand des 1898 gegründeten „Erfurter Spar- und Bauvereins“, einem katholischen Kirchenvorstand und dem „Bürger-Schützen-Corps 1463“ an, Ausrichter des beliebten Schützenfestes. Zugleich trat er als Spender und Stifter auf. Auch seine Nachkommen blieben diesem ehrenamtlichen Engagement treu, ebenso wie dem wirtschaftlichen Erfolg der Firma. Sie konnten auch die Rückschläge durch den Ersten Weltkrieg kompensieren, selbst das 1914 geschlossene Büro in London nahm 1926 seinen Betrieb wieder auf.

Ähnlich wie bei Kakteen-Haage blieb die Familientradition trotz aller Restriktionen sogar über die DDR-Zeit hinweg gewahrt. Nach Überführung des Betriebes in Volkseigentum 1972 verblieb Inhabersohn Niels Lund Chrestensen im Betrieb für die Blumensamenzucht und -vermehrung verantwortlich. Nach der Reprivatisierung 1990 übernahm er als Geschäftsführer die Leitung der Firma. Mit gärtnerischem Versandhandel, Fleurop-Blumendienst, Samen- und Pflanzenhandel konnte N.L. Chrestensen wieder eine internationale Marktposition aufbauen. Im Stammhaus in der Marktstraße und im 1994 eingeweihten Lager- und Logistikzentrum im Brühler Feld, dem traditionellen Firmenstandort, herrscht reges Treiben. Rund 100 Mitarbeiter erfüllen die Kundenwünsche von Hobbygärtnern ebenso wie von Gärtnereien und Handelspartnern in aller Welt. Über 1.000 verschiedene Arten und Sorten, darunter mehr als 200 Eigenzüchtungen stehen heute im Sortiment.

Auch die Stellung von Firmenchef Niels Lund Chrestensen als Präsident der Erfurter Industrie- und Handelskammer, der einst auch ein Friedrich Benary vorstand, verweist auf die wirtschaftliche Bedeutung des Gartenbaus bis auf den heutigen Tag. Mit Chrestensen und Kakteen-Haage verfügt Erfurt noch immer über zwei Gartenbauunternehmen von internationalem Ruf. Hier lebt der alte Mythos Blumenstadt jenseits von egapark, Fachhochschule oder Gartenbaumuseum weiter und wird buchstäblich Tag für Tag in die Welt hinaus getragen.


Siehe auch die Publikation Blumenstadt Erfurt. Waid - Gartenbau - iga/egapark (2011)