Volkshaus Gewerkschaften 2. Mai 1933: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:Volkshaus1.jpg|280px|right]][[Datei:Volkshaus2.jpg|280px|right]]In der Johannesstraße 55 nahe der Einmündung in den Juri-Gagarin-Ring befindet sich ein prächtiger Gründerzeitbau. Vor wenigen Jahren saniert, sticht das Gebäude mit wuchtigem Sandsteinsockel und Fachwerkverzierungen deutlich aus dem Umfeld heraus. Von seinem Vorgängerbau hat es den Namen „Zum Regenbogen“ übernommen, wie an dem reich geschmückten Portal zu lesen ist. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass sich hier ein dunkles Kapitel unserer Stadtgeschichte abgespielt hat. Allerdings vermerkt eine Gedenktafel, dass sich in dem Haus einst der Sitz der Erfurter Gewerkschaften befand, die am 2. Mai 1933 brutal zerschlagen wurden. Das „Haus zum Regenbogen“ ist damit das wichtigste Denkmal für jene perfide Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“, mit der die Nationalsozialisten die Arbeiterbewegung nach dem 30. Januar 1933 überrumpelten.
[[Datei:Volkshaus2.jpg|250px|right]][[Datei:Volkshaus1a.jpg|250px|right]]In der Johannesstraße 55 nahe der Einmündung in den Juri-Gagarin-Ring befindet sich ein prächtiger Gründerzeitbau. Vor wenigen Jahren saniert, sticht das Gebäude mit wuchtigem Sandsteinsockel und Fachwerkverzierungen deutlich aus dem Umfeld heraus. Von seinem Vorgängerbau hat es den Namen „Zum Regenbogen“ übernommen, wie an dem reich geschmückten Portal zu lesen ist. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass sich hier ein dunkles Kapitel unserer Stadtgeschichte abgespielt hat. Allerdings vermerkt eine Gedenktafel, dass sich in dem Haus einst der Sitz der Erfurter Gewerkschaften befand, die am 2. Mai 1933 brutal zerschlagen wurden. Das „Haus zum Regenbogen“ ist damit das wichtigste Denkmal für jene perfide Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“, mit der die Nationalsozialisten die Arbeiterbewegung nach dem 30. Januar 1933 überrumpelten.


Das Propagieren eines nationalen Sozialismus zielte auf die Arbeiterschaft, die in einem eigenen Milieu besonders im Norden und Osten fest verwurzelt war. Der Zerschlagung der Arbeiterparteien trat die Propaganda von der Versöhnung der Geistes- und Handarbeiter, die ideelle Aufwertung des Arbeiterstandes, das Versprechen besserer Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt die rasche Beschaffung von Arbeitsplätzen gegenüber. Diese Taktik wurde am 1. und 2. Mai 1933 in einem propagandistischen Schachzug angewandt. Zunächst erhob man den 1. Mai zum Feiertag und beging ihn gemeinsam mit den Gewerkschaften. Damit hatte sich ein alter Traum der Arbeiterbewegung erfüllt. Die Betriebe marschierten früh mit ihren Unternehmern an der Spitze zum Domplatz, wo sich an die 50.000 Männer versammelten. Den Höhepunkt stellte die Rundfunkübertragung der Berliner Maifeier im Stadion dar, wo sich 100.000 Menschen versammelt hatten. In seiner abendlichen Rede beschwor Adolf Hitler die Einigkeit der Deutschen über die alten „Klassenzerklüftungen“ hinweg.  
Das Propagieren eines nationalen Sozialismus zielte auf die Arbeiterschaft, die in einem eigenen Milieu besonders im Norden und Osten fest verwurzelt war. Der Zerschlagung der Arbeiterparteien trat die Propaganda von der Versöhnung der Geistes- und Handarbeiter, die ideelle Aufwertung des Arbeiterstandes, das Versprechen besserer Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt die rasche Beschaffung von Arbeitsplätzen gegenüber. Diese Taktik wurde am 1. und 2. Mai 1933 in einem propagandistischen Schachzug angewandt. Zunächst erhob man den 1. Mai zum Feiertag und beging ihn gemeinsam mit den Gewerkschaften. Damit hatte sich ein alter Traum der Arbeiterbewegung erfüllt. Die Betriebe marschierten früh mit ihren Unternehmern an der Spitze zum Domplatz, wo sich an die 50.000 Männer versammelten. Den Höhepunkt stellte die Rundfunkübertragung der Berliner Maifeier im Stadion dar, wo sich 100.000 Menschen versammelt hatten. In seiner abendlichen Rede beschwor Adolf Hitler die Einigkeit der Deutschen über die alten „Klassenzerklüftungen“ hinweg.  


Beeindruckt von den Ereignissen des Tages mag sich selbst mancher Gewerkschafter Illusionen über die eigene Zukunft gemacht haben. Doch schon am Morgen des 2. Mai besetzten Polizei und SA deutschlandweit alle Gewerkschaftshäuser und verhafteten tausende Gewerkschaftsfunktionäre. Auch das „Volkshaus“ in der Johannesstraße, seit 1925 Sitz des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Erfurt, wurde zum Ziel der braunen Schlägerbanden. Sie verhafteten dort und an einigen weiteren Standorten 44 Gewerkschaftsfunktionäre und trieben sie durch die Stadt in das Gefängnis auf dem Petersberg. An diesen wichtigen Schritt bei der Etablierung der NS-Diktatur erinnert seit dem 70. Jahrestag der Ereignisse 2003 jene Gedenktafel, die vom DGB angebracht worden ist.
Beeindruckt von den Ereignissen des Tages mag sich selbst mancher Gewerkschafter Illusionen über die eigene Zukunft gemacht haben. Doch schon am Morgen des 2. Mai besetzten Polizei und SA deutschlandweit alle Gewerkschaftshäuser und verhafteten tausende Gewerkschaftsfunktionäre. Auch das „Volkshaus“ in der Johannesstraße, seit 1925 Sitz des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Erfurt, wurde zum Ziel der braunen Schlägerbanden. Sie verhafteten dort und an einigen weiteren Standorten 44 Gewerkschaftsfunktionäre und trieben sie durch die Stadt in das Gefängnis auf dem Petersberg. An diesen wichtigen Schritt bei der Etablierung der NS-Diktatur erinnert seit dem 70. Jahrestag der Ereignisse 2003 jene Gedenktafel, die vom DGB angebracht worden ist. (Fotos: Alexander Raßloff)




Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Gedenktafel_Gefängnis_Petersberg|Gefängnis Petersberg]]'''
Literaturtipp:
 
'''Steffen Raßloff: [[100 Denkmale in Erfurt|100 Denkmale in Erfurt. Geschichte und Geschichten]].''' Mit Fotografien von Sascha Fromm (Thüringen Bibliothek. Bd. 11). Essen 2013.
 
 
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Erfurt im Nationalsozialismus]]''', '''[[Gedenktafel_Gefängnis_Petersberg|Gefängnis Petersberg]]'''

Version vom 28. September 2013, 09:14 Uhr

Volkshaus Johannesstraße

Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (28.09.2013)


Zuckerbrot und Peitsche

DENKMALE IN ERFURT (117): Am 2. Mai 1933 wurden 44 Gewerkschaftsfunktionäre im „Volkshaus“ in der Johannesstraße verhaftet.


Volkshaus2.jpg
Volkshaus1a.jpg

In der Johannesstraße 55 nahe der Einmündung in den Juri-Gagarin-Ring befindet sich ein prächtiger Gründerzeitbau. Vor wenigen Jahren saniert, sticht das Gebäude mit wuchtigem Sandsteinsockel und Fachwerkverzierungen deutlich aus dem Umfeld heraus. Von seinem Vorgängerbau hat es den Namen „Zum Regenbogen“ übernommen, wie an dem reich geschmückten Portal zu lesen ist. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass sich hier ein dunkles Kapitel unserer Stadtgeschichte abgespielt hat. Allerdings vermerkt eine Gedenktafel, dass sich in dem Haus einst der Sitz der Erfurter Gewerkschaften befand, die am 2. Mai 1933 brutal zerschlagen wurden. Das „Haus zum Regenbogen“ ist damit das wichtigste Denkmal für jene perfide Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“, mit der die Nationalsozialisten die Arbeiterbewegung nach dem 30. Januar 1933 überrumpelten.

Das Propagieren eines nationalen Sozialismus zielte auf die Arbeiterschaft, die in einem eigenen Milieu besonders im Norden und Osten fest verwurzelt war. Der Zerschlagung der Arbeiterparteien trat die Propaganda von der Versöhnung der Geistes- und Handarbeiter, die ideelle Aufwertung des Arbeiterstandes, das Versprechen besserer Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt die rasche Beschaffung von Arbeitsplätzen gegenüber. Diese Taktik wurde am 1. und 2. Mai 1933 in einem propagandistischen Schachzug angewandt. Zunächst erhob man den 1. Mai zum Feiertag und beging ihn gemeinsam mit den Gewerkschaften. Damit hatte sich ein alter Traum der Arbeiterbewegung erfüllt. Die Betriebe marschierten früh mit ihren Unternehmern an der Spitze zum Domplatz, wo sich an die 50.000 Männer versammelten. Den Höhepunkt stellte die Rundfunkübertragung der Berliner Maifeier im Stadion dar, wo sich 100.000 Menschen versammelt hatten. In seiner abendlichen Rede beschwor Adolf Hitler die Einigkeit der Deutschen über die alten „Klassenzerklüftungen“ hinweg.

Beeindruckt von den Ereignissen des Tages mag sich selbst mancher Gewerkschafter Illusionen über die eigene Zukunft gemacht haben. Doch schon am Morgen des 2. Mai besetzten Polizei und SA deutschlandweit alle Gewerkschaftshäuser und verhafteten tausende Gewerkschaftsfunktionäre. Auch das „Volkshaus“ in der Johannesstraße, seit 1925 Sitz des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Erfurt, wurde zum Ziel der braunen Schlägerbanden. Sie verhafteten dort und an einigen weiteren Standorten 44 Gewerkschaftsfunktionäre und trieben sie durch die Stadt in das Gefängnis auf dem Petersberg. An diesen wichtigen Schritt bei der Etablierung der NS-Diktatur erinnert seit dem 70. Jahrestag der Ereignisse 2003 jene Gedenktafel, die vom DGB angebracht worden ist. (Fotos: Alexander Raßloff)


Literaturtipp:

Steffen Raßloff: 100 Denkmale in Erfurt. Geschichte und Geschichten. Mit Fotografien von Sascha Fromm (Thüringen Bibliothek. Bd. 11). Essen 2013.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt im Nationalsozialismus, Gefängnis Petersberg