Universität Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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== Geschichte im Überblick ==
== Geschichte im Überblick ==


Die Universität Erfurt ist mit ihrer Gründung im Jahre 1389 die drittälteste Alma mater Deutschlands nach Heidelberg (1385) und Köln (1388) bzw. die fünftälteste auf dem Gebiet des alten Deutschen Reiches nach Prag (1348) und Wien (1365). Zugleich kann sie sich aber auch die jüngste der deutschen Universitäten nennen, dank ihrer Wiedergründung im Jahre 1994. Als moderne Reformuniversität mit internationalem Anspruch verbindet sie somit jahrhundertealte bedeutsame Tradition mit zukunftsweisender Gegenwart.
Die Universität Erfurt ist mit ihrer Gründung im Jahre 1392 die drittälteste Alma mater Deutschlands nach Köln und Heidelberg. Zugleich kann sie sich aber auch die jüngste der deutschen Universitäten nennen, dank ihrer Wiedergründung im Jahre 1994. Als moderne Reformuniversität verbindet sie jahrhundertealte Tradition mit zukunftsweisender Gegenwart.  


Die Hierana, die Universität an der Gera (im Bild das ehemalige Collegium maius), gehörte nicht zu den vielen fürstlichen Gründungen, sondern entstand auf Initiative der Erfurter Bürgerschaft. Schon seit dem Ende des 13. Jahrhunderts hatte es in der damals zu den größten und wohlhabendsten Städten des Reiches zählenden Metropole Thüringens ein hochschulähnliches studium Erfordense gegeben, das nunmehr auf Wunsch der Stadtväter durch päpstliches Privileg in eine reguläre Universität umgewandelt werden sollte. Ein erstes Privileg durch Papst Clemens VII. in Avignon von 1379 blieb durch die Wirren des abendländischen Schismas mit zwei konkurrierenden Päpsten noch folgenlos; auf die erneute Privilegierung durch Urban VI. in Rom im Jahre 1389 folgte jedoch nach gründlicher Vorbereitung zum Sommersemester 1392 die Eröffnung des Lehrbetriebes.
Die Hierana, die Universität an der Gera, bekam 1379 ein päpstliches Privileg, das wegen des Schismas 1389 erneuert werden musste. 1392 konnte der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Rasch entwickelte sich die Alma mater Erfordensis zu einem geistigen Zentrum Mitteleuropas im 15. Jahrhundert, neben dem sich andere Universitäten wie „kleine Schützenschulen“ ausnahmen, so der Erfurter Student und Magister Martin Luther (1501-05). Ihr guter wissenschaftlicher Ruf macht die Volluniversität mit allen vier Fakultäten (Philosophie, Medizin, Recht, Theologie) zur zeitweise meistbesuchten Universität des Deutschen Reiches. Das “Bologna des Nordens” galt als vorbildliche Pflegestätte rechtswissenschaftlicher Studien und öffnete sich früh dem Humanismus. Aus dem Erfurter Humanistenkreis gingen die berühmten “Dunkelmännerbriefe” (1515/17) hervor.  


Rasch entwickelte sich die Volluniversität mit allen vier Fakultäten (Philosophie, Medizin, weltliches und kirchliches Recht, Theologie) zu einem geistigen Zentrum Mitteleuropas, neben dem sich die meisten anderen Universitäten wie "kleine Schützenschulen" ausnahmen, so der wohl berühmteste Erfurter Studiosus und Magister Martin Luther (1501-1505). Während des 15. Jahrhunderts zählte sie nach Wien die größte Studentenschaft, die aus allen Teilen Europas nach Erfurt kam. Einen guten Ruf genoss v.a. die juristische Fakultät, aber auch die übrigen Bereiche trugen zur Geltung der Alma mater Erfordiensis bei. Die Erfurter Professoren wurden selbst von Fürsten um Rat gebeten und zu Konzilien geladen.
Allerdings sollte sich das hohe Niveau nicht auf Dauer halten lassen, wozu die protestantischen Konkurrenzgründungen besonders im nahen Jena (1548/58) entscheidend beitrugen. Einst Gründung einer selbstbewussten Bürgerschaft, fungierte die bikonfessionelle Hierana nach der Unterwerfung der Stadt durch den Landesherren 1664 nur noch als Kurmainzische Landesuniversität. 1816 schloss der neue Landesherr Preußen die Erfurter Hochschule zugunsten von Halle. Dieser „hochschulfreie“ Zustand sollte lange Bestand haben, auch wenn man den Erfurtern den Fortbestand ihrer angesehenen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften (1754) zubilligte. Erst die Gründung des Pädagogischen Institutes (1953, 1969 Pädagogische Hochschule) sowie der Medizinischen Akademie (1954) – eine preußische Pädagogische Akademie 1929/32 war nur kurzlebiges Intermezzo geblieben – machten die sozialistische Bezirksstadt wieder zum Hochschulstandort. Schon seit 1952 existierte - vom Staat eher geduldet als akzeptiert - am Dom das Philosophisch-Theologische Studium als einzige Hochschule der Katholischen Kirche in der DDR.


Noch einmal spielte die Universität in den säkularen Erneuerungsbewegungen von Humanismus und Reformation eine wichtige Rolle. Die im Erfurter Humanistenkreis um Eobanus Hessus entstandenen Dunkelmännerbriefe (1515/17) gehören zu den treffendsten Satiren auf die späte Scholastik und das pseudogelehrte Mönchtum der damaligen Zeit; 1520/1521 bekleidete mit Crotus Rubeanus ein angesehener Humanist das Rektorenamt. Der Ehrenempfang für Martin Luther auf seinem Durchzug zum Reichstag nach Worms 1521 wiederum zeugt von der begeisterten Aufnahme des reformatorischen Gedankens.
Die politische Wende in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 rückten die Realisierung langjähriger Bemühungen um die Neubelebung der Universität Erfurt in realistische Nähe. Ihr Initiator war die 1987 als Bürgerinitiative gegründete heutige Universitätsgesellschaft. Am 29. April 1994 konnte die Wiedergründung durch den Freistaat Thüringen im Augustinerkloster feierlich begangen werden, 1999 startete der Lehrbetrieb. Nach einer Übergangsphase der Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule kam es zur Verschmelzung beider Einrichtungen mit Wirkung vom 1. Januar 2001 zur Universität Erfurt. Allerdings mußte zuvor die von heftigen Protesten begleitete „Abwicklung“ der Medizinischen Akademie (1994) hingenommen werden, der die Umwandlung in ein Universitätsklinikum verwehrt blieb. Die geisteswissenschaftliche Ausrichtung der Universität hatte zugleich das Aus für die naturwissenschaftlichen Fachrichtungen an der PH zur Folge.  


Allerdings sollte sich das hohe Niveau nicht auf Dauer halten lassen. Anders als in den umliegenden jüngeren Universitäten in Leipzig (1409), Wittenberg (1502) und Jena (1558) konnte sich der Protestantismus im bikonfessionellen Erfurt, das trotz weitgehender Autonomie dem katholischen Kurfürstentum Mainz angehörte, nicht endgültig durchsetzen. Der wirtschaftliche und politische Bedeutungsverlust der Stadt, die 1664 in den Status einer kurmainzischen Provinzstadt zurückfiel, tat sein übriges. Nach langem Abwärtstrend schlossen schließlich die Preußen, seit 1802 neuer Landesherr, 1816 die Erfurter Hochschule zugunsten von Halle, da im sparsamen Königreich der Hohenzollern pro Provinz nur eine Universität vorgesehen war.
Diesen Einschnitten stand die internationale Beachtung der neuen Reformuniversität unter Gründungsrektor Peter Glotz (1994-1999) gegenüber. Es gelang dem Medienwissenschaftler, dem Projekt zukunftsweisender Lösungen für die deutsche Hochschullandschaft weltweite Aufmerksamkeit zu sichern. Der Neuansatz äußerte sich v.a. in den Abschlüssen Bachelor (BA) und Master (MA). Hinzu kam ein vorbildliches Betreuungsangebot für die Studierenden und die ambitionierte Profilierung einzelner Gebiete, wie Religionswissenschaft, Kommunikation, Bildungsforschung oder Weltgeschichte. Heute studieren auf dem denkmalgeschützten Campus an der Nordhäuser Straße mit seiner modernen Universitätsbibliothek rund 5000 Studenten an vier Fakultäten: Philosophische Fakultät, Staatswissenschaftliche Fakultät, Erziehungswissenschaftliche Fakultät und Katholisch-Theologische Fakultät. Letztere kam zum 1. Januar 2003 durch die Integration des Philosophisch-Theologischen Studiums zur Universität. Wichtig für das Profil der Universität sind auch das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien und die Willy Brandt School of Public Policy.  


Dieser "hochschulfreie" Zustand sollte lange Bestand haben, auch wenn man den Erfurtern zumindest den Fortbestand ihrer angesehenen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften (1754), der drittältesten deutschen Gelehrtenakademie, zubilligte. Erst die Gründung von Katholischem Seminar (1952), Pädagogischer Hochschule (1953) und Medizinischer Akademie (1954) - eine preußische Pädagogische Akademie 1929/32 war Intermezzo geblieben - machten die nunmehrige sozialistische Bezirksstadt wieder zum Hochschulstandort.
Auch wenn die anfängliche Aufbruchstimmung angesichts der „Mühen der Ebene“ normalen Hochschulbetriebs und drastischer Sparzwänge mittlerweile abgeebbt ist, versucht die seit 2008 von Präsident Prof. Dr. Kai Brodersen geleitete Universität an ihrem Anspruch festzuhalten und stellt zweifellos einen großen Gewinn für Erfurt dar. Ihre Integration in das städtische Leben bleibt dabei weiterhin eine Aufgabe der Universitätsmitglieder und der Bürgerschaft. So hätten in der Gründungsphase viele eine stärkere Präsenz in der Innenstadt gewünscht. Die Entscheidung fiel aber wegen der weitgehend vorhandenen Infrastruktur für eine Konzentration auf dem Campus der Pädagogischen Hochschule, dessen kulturell-städtebauliche Bedeutung noch stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden kann. Mit Unterstützung der Universitätsgesellschaft bringt sich die Universität durch gut besuchte öffentliche Vortragsreihen, Lesungen, Ausstellungen, Konzerte, Straßenfeste oder Seniorenstudium zunehmend in das Kulturleben ein, stellt einen beachtlichen Standort- und Wirtschaftsfaktor dar und gehen auch vom Erfurter „Studentenleben“ nicht nur in den Studentenclubs Unikum und Engelsburg einige Impulse aus.  
 
Die politische Wende in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung 1989/1990 rückten dann sogar die Realisierung langjähriger Bemühungen um eine Neubelebung der Universität Erfurt in realistische Nähe. Am 29. April 1994 konnte deren Wiedergründung durch den Freistaat Thüringen mit einem Festakt im Augustinerkloster feierlich begangen werden. Nach einer Phase der Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule (PH) kam es schließlich zur Verschmelzung beider Einrichtungen mit Wirkung vom 1. Januar 2001 zur Universität Erfurt. Allerdings mußte zuvor die von heftigen Protesten begleitete "Abwicklung" der Medizinischen Akademie (1994) hingenommen werden, der die Umwandlung in ein Universitätsklinikum verwehrt blieb. Die rein geisteswissenschaftliche Ausrichtung der zu gründenden Universität bedeutete zugleich das Aus für die naturwissenschaftlichen Fachrichtungen an der Pädagogischen Hochschule.
 
Diesen schmerzhaften Einschnitten stand die internationale Beachtung der neuen Reformuniversität unter Gründungsrektor Prof. Dr. Peter Glotz (1994-1999, 2000-2007 Präsident Dr. habil. Wolfgang Bergsdorf) gegenüber. Es gelang dem renommierten Medienwissenschaftler, dem Projekt zukunftsweisender Lösungen für die reformbedürftige deutsche Hochschullandschaft weltweite Aufmerksamkeit zu sichern. Der Neuansatz äußerte sich v.a. in den schon nach drei bzw. weiteren zwei Jahren erreichbaren Abschlüssen Baccalaureus (BA) und Magister (MA), während man zugleich die Grund- und Regelschullehrer-Ausbildung von der PH übernahm. Hinzu kam ein vorbildliches Betreuungsangebot für die Studierenden (Mentoren-System) und die ambitionierte Profilierung einzelner Gebiete; so deckt beispielsweise die Geschichtswissenschaft in seltener Breite die Weltregionen Europa, Nordamerika, Lateinamerika, Südostasien und Westasien mit entsprechenden Professuren ab.
 
Heute studieren auf dem parkartigen Campus an der Nordhäuser Straße mit seiner modernen Universitätsbibliothek (2000) über 4.000 Studenten an vier Fakultäten: Philosophische Fakultät, Staatswissenschaftliche Fakultät, Erziehungswissenschaftliche Fakultät und Katholisch-Theologische Fakultät. Letztere kam zum 1. Januar 2003 durch die Integration des 1952 gegründeten Katholischen Seminars, der einzigen derartigen Hochschuleinrichtung in der ehemaligen DDR, zur Universität. Abschließend sei das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien am Huttenplatz genannt.
 
Auch wenn die anfängliche Aufbruchstimmung angesichts der "Mühen der Ebene" normalen Hochschulbetriebs und drastischer Sparzwänge mittlerweile abgeebbt ist, versucht die seit Juli 2008 von Präsident Prof. Dr. Kai Brodersen geleitete Universität an ihrem Anspruch festzuhalten. Welche Rolle sie in Zukunft unter den deutschen Universitäten angesichts heftiger Debatten um tiefgreifenden Reformbedarf, Eliteuniversitäten oder Studiengebühren spielen wird, bleibt abzuwarten. Modernes Konzept, Offenheit einer noch jungen Hochschuleinrichtung und ausgeprägte Internationalität sind aber Faktoren, die durchaus hoffnungsvoll in die kommenden Jahre schauen lassen.
 
Und die Universität bleibt zweifellos auch ein Gewinn für die Stadt Erfurt. Dennoch waren gewisse Defizite bei der Integration in das städtische Leben und gelegentliche "atmosphärische Störungen" nicht zu übersehen. So mancher hätte sich beispielsweise eine stärkere Präsenz in der Innenstadt gewünscht, obgleich die Ansiedlung auf dem PH-Gelände mit bereits weitgehend vorhandener Infrastruktur sicher die vernünftigere Lösung bildete. Die moderne Außendarstellung bis hin zum Uni-Logo macht traditionsbewußte Zeitgenossen nicht immer glücklich. Und die aus fachlicher Sicht sinnvolle Übernahme wertvoller historischer Buchbestände aus der Stadt- in die Universitätsbibliothek (2002) war ebenfalls nicht nur von Wohlwollen begleitet.
 
Doch in zunehmendem Maße wächst das Bewusstsein der Erfurter für ihre Universität, die sich mit gut besuchten öffentlichen Vortragsreihen, mit Lesungen, Ausstellungen, Konzerten, Straßenfesten, Seniorenstudium oder den Angeboten der Universitätsbibliothek gezielt in das Kulturleben einbringt, einen beachtlichen Standort- und Wirtschaftsfaktor darstellt und auch vom Erfurter "Studentenleben" nicht nur in den Studentenclubs "Unikum" auf dem Campusgelände und "Engelsburg" in der Allerheiligenstraße einige Impulse ausgehen. Die Wiedergründung der traditionsreichen Universität Erfurt kann in vielerlei Hinsicht als Belebung für die Stadt gewertet werden, von der man sich im Sinne des Jubiläums-Mottos von 2004 "Wissenschaf(f)t Zukunft" noch manches versprechen darf.


Text überarbeitet und aktualisiert nach: '''Steffen Raßloff: 1389 - 1816 - 1994. Ein historischer Überblick.''' In: Campus, Zeitschrift der Universität Erfurt. Sonderausgabe zum 10-jährigen Bestehen der Universität Erfurt. Erfurt 2004. S. 6 f.
Text überarbeitet und aktualisiert nach: '''Steffen Raßloff: 1389 - 1816 - 1994. Ein historischer Überblick.''' In: Campus, Zeitschrift der Universität Erfurt. Sonderausgabe zum 10-jährigen Bestehen der Universität Erfurt. Erfurt 2004. S. 6 f.


Siehe auch die TA-Beiträge von [[Dr. Steffen Raßloff]] zur Geschichte der Universität Erfurt.
Siehe auch die TA-Beiträge von [[Dr. Steffen Raßloff]] zur Geschichte der Universität Erfurt.

Version vom 27. Oktober 2009, 16:41 Uhr

Kontakt

Nordhäuser Straße 63

99089 Erfurt

Tel: (03 61) 73 70

Fax: (03 61) 7 37 50 09

E-Mail: praesident@uni-erfurt.de

Internet: http://www.uni-erfurt.de

Präsident

Prof. Dr. Kai Brodersen

Fakultäten

Philosophie, Staatswissenschaften, Erziehungswissenschaften, Katholische Theologie, Max-Weber Kolleg

Die 1389 gegründete Universität Erfurt (1816 geschlossen, 1994 wiedergegründet) ist die drittälteste Universität in Deutschland. Initiator der Wiedergründung und heutiger Förderer ist die Universitätsgesellschaft Erfurt. Als moderne geisteswissenschaftliche Reformuniversität hat sie der deutschen Hochschulllandschaft neue Impulse verliehen.

Geschichte im Überblick

Die Universität Erfurt ist mit ihrer Gründung im Jahre 1392 die drittälteste Alma mater Deutschlands nach Köln und Heidelberg. Zugleich kann sie sich aber auch die jüngste der deutschen Universitäten nennen, dank ihrer Wiedergründung im Jahre 1994. Als moderne Reformuniversität verbindet sie jahrhundertealte Tradition mit zukunftsweisender Gegenwart.

Die Hierana, die Universität an der Gera, bekam 1379 ein päpstliches Privileg, das wegen des Schismas 1389 erneuert werden musste. 1392 konnte der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Rasch entwickelte sich die Alma mater Erfordensis zu einem geistigen Zentrum Mitteleuropas im 15. Jahrhundert, neben dem sich andere Universitäten wie „kleine Schützenschulen“ ausnahmen, so der Erfurter Student und Magister Martin Luther (1501-05). Ihr guter wissenschaftlicher Ruf macht die Volluniversität mit allen vier Fakultäten (Philosophie, Medizin, Recht, Theologie) zur zeitweise meistbesuchten Universität des Deutschen Reiches. Das “Bologna des Nordens” galt als vorbildliche Pflegestätte rechtswissenschaftlicher Studien und öffnete sich früh dem Humanismus. Aus dem Erfurter Humanistenkreis gingen die berühmten “Dunkelmännerbriefe” (1515/17) hervor.

Allerdings sollte sich das hohe Niveau nicht auf Dauer halten lassen, wozu die protestantischen Konkurrenzgründungen besonders im nahen Jena (1548/58) entscheidend beitrugen. Einst Gründung einer selbstbewussten Bürgerschaft, fungierte die bikonfessionelle Hierana nach der Unterwerfung der Stadt durch den Landesherren 1664 nur noch als Kurmainzische Landesuniversität. 1816 schloss der neue Landesherr Preußen die Erfurter Hochschule zugunsten von Halle. Dieser „hochschulfreie“ Zustand sollte lange Bestand haben, auch wenn man den Erfurtern den Fortbestand ihrer angesehenen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften (1754) zubilligte. Erst die Gründung des Pädagogischen Institutes (1953, 1969 Pädagogische Hochschule) sowie der Medizinischen Akademie (1954) – eine preußische Pädagogische Akademie 1929/32 war nur kurzlebiges Intermezzo geblieben – machten die sozialistische Bezirksstadt wieder zum Hochschulstandort. Schon seit 1952 existierte - vom Staat eher geduldet als akzeptiert - am Dom das Philosophisch-Theologische Studium als einzige Hochschule der Katholischen Kirche in der DDR.

Die politische Wende in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 rückten die Realisierung langjähriger Bemühungen um die Neubelebung der Universität Erfurt in realistische Nähe. Ihr Initiator war die 1987 als Bürgerinitiative gegründete heutige Universitätsgesellschaft. Am 29. April 1994 konnte die Wiedergründung durch den Freistaat Thüringen im Augustinerkloster feierlich begangen werden, 1999 startete der Lehrbetrieb. Nach einer Übergangsphase der Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule kam es zur Verschmelzung beider Einrichtungen mit Wirkung vom 1. Januar 2001 zur Universität Erfurt. Allerdings mußte zuvor die von heftigen Protesten begleitete „Abwicklung“ der Medizinischen Akademie (1994) hingenommen werden, der die Umwandlung in ein Universitätsklinikum verwehrt blieb. Die geisteswissenschaftliche Ausrichtung der Universität hatte zugleich das Aus für die naturwissenschaftlichen Fachrichtungen an der PH zur Folge.

Diesen Einschnitten stand die internationale Beachtung der neuen Reformuniversität unter Gründungsrektor Peter Glotz (1994-1999) gegenüber. Es gelang dem Medienwissenschaftler, dem Projekt zukunftsweisender Lösungen für die deutsche Hochschullandschaft weltweite Aufmerksamkeit zu sichern. Der Neuansatz äußerte sich v.a. in den Abschlüssen Bachelor (BA) und Master (MA). Hinzu kam ein vorbildliches Betreuungsangebot für die Studierenden und die ambitionierte Profilierung einzelner Gebiete, wie Religionswissenschaft, Kommunikation, Bildungsforschung oder Weltgeschichte. Heute studieren auf dem denkmalgeschützten Campus an der Nordhäuser Straße mit seiner modernen Universitätsbibliothek rund 5000 Studenten an vier Fakultäten: Philosophische Fakultät, Staatswissenschaftliche Fakultät, Erziehungswissenschaftliche Fakultät und Katholisch-Theologische Fakultät. Letztere kam zum 1. Januar 2003 durch die Integration des Philosophisch-Theologischen Studiums zur Universität. Wichtig für das Profil der Universität sind auch das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien und die Willy Brandt School of Public Policy.

Auch wenn die anfängliche Aufbruchstimmung angesichts der „Mühen der Ebene“ normalen Hochschulbetriebs und drastischer Sparzwänge mittlerweile abgeebbt ist, versucht die seit 2008 von Präsident Prof. Dr. Kai Brodersen geleitete Universität an ihrem Anspruch festzuhalten und stellt zweifellos einen großen Gewinn für Erfurt dar. Ihre Integration in das städtische Leben bleibt dabei weiterhin eine Aufgabe der Universitätsmitglieder und der Bürgerschaft. So hätten in der Gründungsphase viele eine stärkere Präsenz in der Innenstadt gewünscht. Die Entscheidung fiel aber wegen der weitgehend vorhandenen Infrastruktur für eine Konzentration auf dem Campus der Pädagogischen Hochschule, dessen kulturell-städtebauliche Bedeutung noch stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden kann. Mit Unterstützung der Universitätsgesellschaft bringt sich die Universität durch gut besuchte öffentliche Vortragsreihen, Lesungen, Ausstellungen, Konzerte, Straßenfeste oder Seniorenstudium zunehmend in das Kulturleben ein, stellt einen beachtlichen Standort- und Wirtschaftsfaktor dar und gehen auch vom Erfurter „Studentenleben“ nicht nur in den Studentenclubs Unikum und Engelsburg einige Impulse aus.

Text überarbeitet und aktualisiert nach: Steffen Raßloff: 1389 - 1816 - 1994. Ein historischer Überblick. In: Campus, Zeitschrift der Universität Erfurt. Sonderausgabe zum 10-jährigen Bestehen der Universität Erfurt. Erfurt 2004. S. 6 f.

Siehe auch die TA-Beiträge von Dr. Steffen Raßloff zur Geschichte der Universität Erfurt.