Oberbürgermeister Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Oberbürgermeister Bruno Mann (1919-1933)'''
Bruno Mann steht als 1919 bis 1933 amtierender Oberbürgermeister für die bewegte Zeit der Weimarer Republik. Neben wirtschaftlich-soziale Krisen, politischen Radikalismus und Bürgerkrieg fallen in diese Zeit auch kulturelle Höhepunkte und städtebauliche Weiterentwicklung. Als liberaler Stadtvater versuchte Mann die Spannungen der Zeit auszugleichen, was freilich nicht immer gelang. 1933 drängten ihn die Nationalsozialisten aus dem Amt.
Bruno Mann wurde 1874 in Frankfurt/O. in der preußischen Provinz Brandenburg geboren. Nach verschiedenen Karrierestationen stieg er im Juni 1918 zum 2. Bürgermeister der noch selbstständigen Stadt Neukölln bei Berlin auf. Am 11. Oktober 1919 wählte die Erfurter Stadtverordnetenversammlung den studierten Rechts- und Staatswissenschaftler einstimmig zum Oberbürgermeister.
Mann übernahm sein Amt in sehr unruhiger Zeit. Seit der Novemberrevolution 1918 war die Stadt von Streiks und Unruhen erschüttert worden. Der Kapp-Putsch vom Frühjahr 1920 bildete den Höhepunkt der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen linker Arbeiterschaft auf der einen, Bürgerwehr, Polizei und Militär auf der anderen Seite. Acht Tote und zahlreiche Verletzte waren zu beklagen. Die Bemühungen von OB Mann und Vertretern der gemäßigten Parteien im Stadtrat, die Situation zu entschärfen, blieben erfolglos.
Erst ab 1924 kam es wieder zu einer Beruhigung der Situation, die mit dem relativen wirtschaftlichen Aufschwung der „Goldenen Zwanziger“ verbunden war. Die Stadt verwirklichte kommunale Großprojekte wie das Nordbad (1925) und das Stadion (1929). Das Städtische Museum wurde mit Unterstützung Manns zu einem Zentrum moderner Kunst. 1929 gelang es sogar, Erfurt mit einer Pädagogische Akademie wieder zur Hochschulstadt zu machen. Am 1. Dezember 1929 schrieb die „Mitteldeutsche Zeitung“ über Bruno Mann: „Ihm hat die Bürgerschaft tief zu danken, daß trotz der Nachkriegs- und Inflationsnöte Erfurt einen Aufschwung genommen hat, wie ihn nur wenige deutsche Städte zu verzeichnen haben.“
Um so unerbittlicher schlug die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929 auch in Erfurt zu. Zahlreiche Unternehmen mussten schließen oder Mitarbeiter entlassen. Das öffentliche Leben brach weitgehend zusammen, sogar die Pädagogische Akademie wurde schon 1932 wieder geschlossen. Im Sommer 1932 war mehr als jeder Dritte Erfurter arbeitslos. Vor diesem Hintergrund konnte auch der erfahrene Kommunalpolitiker Mann keine positiven Impulse mehr setzen, zumal der Stadt längst kein ausgeglichener Haushalt mehr gelang.
Die tiefe Krisenstimmung und das Wiederaufleben der Unruhen mit Saal- und Straßenschlachten ließ die Nationalsozialisten v.a. für große Teile des Bürgertums schließlich als letzten Ausweg erscheinen. Mit 42,2 % stieg die NSDAP in der Reichstagswahl vom Juli 1932 in Erfurt zur weitaus stärksten Partei auf. Die „Machtergreifung“ Hitlers vom 30. Januar 1933 stieß so durchaus auf die Zustimmung breiter Bevölkerungskreise.
Bruno Mann ließ sich wohl auch ein Stück weit von der Aufbruchstimmung mitreißen, so sehr er der NSDAP skeptisch gegenüber stand. Am 31. März 1933 sprach er zu den Stadtverordneten, er wolle „in feierlicher Weise den neuen nationalen Geist auch in unsere städtische Verwaltung, in unser Rathaus, Einzug halten lassen“. Am 18. Juni 1933 hielt der „nationale Geist“ tatsächlich im Rathaus Einzug. Nach einer Massenkundgebung vor tausenden begeisterten Erfurtern trug sich Ehrenbürger Adolf Hitler ins Goldene Buch der Stadt ein. Bruno Mann war freilich kein Oberbürgermeister mehr. Die neuen Machthaber hatten ihn zuvor in den Ruhestand gedrängt und den Nationalsozialisten Theodor Pichier an seine Stelle gesetzt.





Version vom 28. Februar 2012, 14:13 Uhr

Oberbürgermeister der Stadt Erfurt seit 1872

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2006)


Stadtlogorad.jpg

Die TA-Serie präsentiert ehemalige Stadtoberhäupter, die die Entwicklung Erfurts geprägt haben. Richard Breslau (1872-89) stellte als „Vater des modernen Erfurt“ die Weichen Richtung Großstadt, Hermann Schmidt (1895-1919) amtierte erfolgreich auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, Bruno Mann (1919-33) führte die Stadt durch die unruhigen Jahre der Weimarer Republik, Walter Kießling (1936-45) prägte als „lokaler Führer“ die Zeit des Nationalsozialismus, Georg Boock (1946-61) machte in der frühen DDR aus Erfurt eine sozialistische Bezirksstadt.


> Richard Breslau (1872-1889)

> Hermann Schmidt (1895-1919)

> Bruno Mann (1919-1933)

> Walter Kießling (1936-1945)

> Georg Boock (1946-1961)




Oberbürgermeister Walter Kießling (1936-1945)

Walter Kießling war Erfurts „kommunaler Führer“ in der Zeit des Nationalsozialismus. Selbstbewusst nutzte er seine Machtposition von 1936 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945. Sein Ehrgeiz ließ ihn die Stadtentwicklung im Dritten Reich energisch voran treiben. Freilich gehörte hierzu auch das Bestreben, Erfurt schneller als andere Städte „judenfrei“ zu bekommen.

Das Amt des Oberbürgermeisters bekam nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 zunehmend autoritäre Züge. Seit der neuen Reichsgemeindeordnung von 1935 amtierte das Stadtoberhaupt „in voller und ausschließlicher Verantwortung“. Die Stadtverordnetenversammlung wurde zugunsten eines nur noch „beratenden“ Ratsherrengremiums aufgelöst. Das „Führerprinzip“ setzte geeignete Führungspersönlichkeiten im Sinne der braunen Machthaber voraus. In dieser Hinsicht gestaltete sich die Entwicklung in Erfurt problematisch. Hatten die Oberbürgermeister seit Erlangung der Kreisfreiheit 1872 stets über Jahre erfolgreich amtiert, mussten die beiden ersten NS-Stadtoberhäupter Theodor Pichier (1933/34) und Max Zeitler (1935/36) jeweils nach kurzer Frist aufgrund von Skandalen zurücktreten. Im März 1936 übernahm schließlich Walter Kießling die Führung im Rathaus. Der 1892 in Tannroda geborene Jurist war seit 1930 aktives NSDAP-Mitglied. Er galt als „Verwaltungsfachmann und entschlossener Politiker, der sich für seine Ziele und Vorstellungen einsetzte“, so Historiker Eckart Schörle. Freilich richteten sich diese Vorstellungen im Sinne der NS-Ideologie u.a. gegen moderne Kunst und gegen die Juden der Stadt. Beiden sagte er entschieden den Kampf an. Museumsdirektor Herbert Kunze wurde auf sein Drängen hin 1937 entlassen, das Angermuseum verlor in der Aktion „entartete Kunst“ seine heute unschätzbar wertvolle Sammlung moderner Kunst. Für Kießling waren dies nur „übelste bolschewistische Machwerke“. In der „Judenfrage“ versuchte er, die Stadt Erfurt als Vorreiter zu profilieren. Von den alltäglichen Diskriminierungen bis hin zur Deportation in die Vernichtungslager zeigte sich Kießling sehr aktiv. Selbst der berüchtigte Sicherheitsdienst vermerkte in einem Bericht: „In der Judenfrage wollte K. gegenüber den zentral gelenkten Maßnahmen der Stapo eigene Wege gehen, um Erfurt baldmöglichst judenfrei hinstellen zu können.“ Unter OB Kießling sollte auch die Industriegroßstadt Erfurt weiter ihr Aussehen ändern. Zunächst waren es v.a. Kasernen, Militärkomplexe und Rüstungsbetriebe, die aus dem Boden schossen. Sie bildeten die Vorboten des vom NS-Staat ausgelösten Zweiten Weltkrieges 1939-45. Dieser Krieg griff ab Sommer 1940 durch immer häufigere Luftangriffe zerstörerisch ins Stadtbild ein, ca. 1600 Menschen verloren dabei ihr Leben. Der Oberbürgermeister konnte als „Leiter der Sofortmaßnahmen“ des Luftschutzes kaum mehr hiergegen tun, als durch Propaganda gegen die „englisch-amerikanischen Mordbrenner“ den Durchhaltewillen der Erfurter zu stärken. Am Ende des Krieges setzte sich Kießling jedoch für eine kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner ein. Dies hätte ihm beinahe den Kopf gekostet, da Kampfkommandant Oberst Otto Merkel die Stadt gemäß „Führerbefehl“ zu verteidigen gedachte. So nahmen die US-Truppen am 12. April 1945 Erfurt kämpfend ein, der von Merkel erlassene Erschießungsbefehl gegen Kießling wurde nicht vollstreckt. Diese Episode am Kriegsende hat dem überzeugten Nationalsozialisten den Weg zu einer geachteten Nachkriegsexistenz in der Bundesrepublik geebnet. 1949 wurde sein Entnazifizierungsverfahren mit „entlastet“ abgeschlossen. Als Rechtsanwalt gehörte Kießling bis zu seinem Tode 1966 zur geachteten Göttinger Honoratiorengesellschaft.


Oberbürgermeister Georg Boock (1946-1961)

Georg Boock hat als SED-Oberbürgermeister die Zeit der frühen DDR bis 1961 geprägt. Unter seiner Führung kam es zur „Gleichschaltung“ des politischen und gesellschaftlichen Lebens, wie schon die Umstände seiner Amtseinführung deutlich machen. Zugleich bestimmte er die Entwicklung der sozialistischen Großstadt, die im wirtschaftlichen und kulturell-wissenschaftlichen Bereich an Profil gewann.

Mit der Besetzung durch die US-Armee am 12. April 1945 war der Zweite Weltkrieg für Erfurt beendet. Nunmehr bestimmten den Alltag die Sorgen der Nachkriegszeit und die Herrschaft der am 3. Juli 1945 einmarschierten Sowjetbesatzer. Mit ihrer Hilfe entfaltete sich die Herrschaft der Kommunisten bzw. der im April 1946 gegründeten SED. Ihr Machtanspruch trat auch in Erfurt sehr rasch an die Oberfläche, wie die Oberbürgermeister-Frage zeigt. NS-Stadtoberhaupt Walter Kießling war zunächst von Geschäftsmann Otto Gerber abgelöst worden, an dessen Stelle unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling Hermann Jahn trat. Nach dessen Tod im Mai 1946 wurde das SED-Mitglied Georg Boock (1891-1961) in dieses Amt berufen. Der gebürtige Berliner hatte seit 1911 Erfahrungen als Kommunalpolitiker gesammelt. 1922 war er der SPD beigetreten. Im Dritten Reich noch 1944 zu einer Zuchthausstraße verurteilt, arbeitete er nach Kriegsende bis zu seiner Berufung nach Erfurt als Oberbürgermeister von Wurzen und trat der KPD bzw. SED bei. Die freien Kommunalwahlen in Erfurt vom 6. September 1946 gewannen jedoch die Bürgerparteien LDPD (41 %) und CDU (24 %), während die SED nur ein Drittel der Stimmen erringen konnte. Der neue Oberbürgermeister Paul Hach (LDPD) wurde daraufhin unter dem Vorwurf der Sabotage verhaftet und erst nach Verzicht auf den OB-Posten wieder freigelassen. So gelangte Georg Boock erneut an die Spitze der Stadtverwaltung. Doch dies war nur ein erster Vorgeschmack auf die totalitäre SED-Herrschaft im Erfurter Rathaus. Sie fügte sich ein in den „demokratischen Zentralismus“ der 1949 gegründeten DDR. Politisch-gesellschaftliche Umwälzungen und wirtschaftliche Probleme mündeten in den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der sich auch in Erfurt in zahlreichen Streiks und Protestkundgebungen äußerte. Schließlich konnte die DDR nur durch den Bau der Berliner Mauer 1961 vor dem Ausbluten gerettet werden. Unter den 2,7 Millionen „Republikflüchtlingen“ hatten sich viele Blumenstädter befunden, die in der Organisation „Heimattreue Erfurter“ im „Westen“ den Zusammenhalt pflegten. Die Stadtverwaltung unter Georg Boock konnte aber auch Erfolge vermelden. Ab 1948 übernahm Erfurt von Weimar die Hauptstadtrolle des Landes Thüringen. Mit der Auflösung der Länder 1952 wurde es Bezirksstadt. Als Hauptstadt des größten der drei thüringischen Bezirke nahm es eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Größtes Problem war die Wohnungsfrage, der man durch beschleunigten Wohnungsbau, Arbeiterwohnungsbau-Genossenschaften (AWG) und das freiwillige „Nationale Aufbauwerk“ (NAW) beizukommen suchte. Im wirtschaftlichen Bereich baute Erfurt seine Bedeutung als Industriestadt weiter aus. In Wissenschaft und Kultur brachte die Ära Boock wichtige Neugründungen wie die Pädagogische Hochschule (1953), die Medizinische Akademie (1954), den Thüringer Zoopark (1959) und die iga (1961). Letztlich wird man die Verdienste des ersten SED-Oberbürgermeisters nur unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen seiner Amtszeit in der SBZ bzw. frühen DDR angemessen würdigen können.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt