Oberbürgermeister Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:Stadtlogorad.jpg|120px|right]]Die TA-Serie präsentiert ehemalige Stadtoberhäupter, die die Entwicklung Erfurts geprägt haben. Richard Breslau (1872-89) stellte als „Vater des modernen Erfurt“ die Weichen Richtung Großstadt, Hermann Schmidt (1895-1919) amtierte erfolgreich auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung, Bruno Mann (1919-33) führte die Stadt durch die unruhigen Jahre der Weimarer Republik, Walter Kießling (1936-45) prägte als „lokaler Führer“ die Zeit des Nationalsozialismus, Georg Boock (1946-61) machte in der frühen DDR aus Erfurt eine sozialistische Bezirksstadt.
'''Vom Obervierherrn zum Oberbürgermeister'''
 
 
[[Datei:TollesJahr.jpg|350px|right]]Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts hatte Erfurt seinem Landesherren, dem Erzbischof von Mainz, wachsende Autonomie bis hin zur faktischen Selbständigkeit des "Landes Erfurt" abgetrotzt. Dabei besaßen jedoch nur wenige wohlhabende Bürgerfamilien Zugang zum Stadtrat, ganz zu schweigen von den städtischen Spitzenämtern. Freilich war es nicht immer einfach, sich über die Bevölkerungsmehrheit hinwegzusetzen. Das zeigte sich etwa im "Tollen Jahr von Erfurt" 1509/10, als eine erregte Menge vom Obervierherrn '''[[Heinrich Kellner Denkmal|Heinrich Kellner]]''' im Rathaus Rechenschaft über die katastrophale Verschuldung der Stadt forderte. Als dieser mit patrizischem Selbstbewusstsein dem "Pöbel" auf sich selbst zeigend sein "Hier steht die Gemeinde!" entgegen geschleudert hatte (siehe Abb.), endete seine Karriere prompt mit Folter und Hinrichtung.
 
Die Macht des Rates sank zudem mit dem schleichenden Bedeutungsverlust der Stadt, gipfelnd in der Unterwerfung unter Mainz 1664. Erst mit dem Übergang an Preußen 1802/15 begann im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ein allmählicher Wiederaufstieg. 1872 erfolgte die Erhebung Erfurts zur kreisfreien Stadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze. Wer deren Verwaltung leitete, bestimmte aber weiterhin nur ein kleiner Zirkel honoriger Bürger.  Denn bis 1918 bevorteilte das preußische Dreiklassenwahlrecht bei der Kommunalwahl Bürger mit hohem Steueraufkommen. Zudem besaßen nur wenige Erfurter das notwendige Bürgerrecht, noch 1914 waren es ganze 14,5%. Ins Rathaus gewählt wurden so Honoratioren von "Besitz und Bildung", Unternehmer, Bankiers, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, wohlhabende Handwerker. Seit der Entfestigung 1873 entwickelte sich Erfurt rasant zur Industriemetropole, deren Verwaltung immer komplexere Fachkenntnise erforderte. Zum OB beriefen die Stadtväter daher Justiz- und Verwaltungsexperten. Die Oberbürgermeister '''Richard Breslau (1872-89)''', '''Gustav Schneider (1890-95)''' und '''Hermann Schmidt (1895-1919)''' haben sich auf Erfurts Weg zur modernen Großstadt bleibende Verdienste erworben. Allein in die Amtszeit Breslaus fallen so wichtige Neuerungen wie Flutgraben und Ringstraße (heutiger Gagarin-Ring), Elektrifizierung, Städtisches Krankenhaus, Wasserleitung, Kanalisation, Straßenbahn oder Telefonnetz.
 
Auch in der Weimarer Republik leitete mit '''Bruno Mann (1919-33)''' ein Fachmann "alter Schule" die Geschicke der Stadt. Mann war jedoch der erste, der von einer frei gewählten Stadtverordnetenversammlung ins Amt berufen wurde. Er versuchte in jener unruhigen Zeit als überparteiischer Stadtvater ausgleichend auf die verfeindeten Lager nicht nur im Rathaus einzuwirken. So gehörte er etwa während des blutigen Kapp-Putsches 1920, der in Erfurt acht Tote und viele Verletzte forderte, zu den besonnenen Politikern, die um eine Beruhigung der Lage rangen. Nach der "Machtergreifung" Hitlers 1933 herrschten die Oberbürgermeister als "lokale Führer" uneingeschränkt über die Stadt. Ihre Amtsführung besaß keinerlei demokratische Legitimierung mehr. Nach '''Theodor Pichier (1933-35)''' und '''Max Zeitler (1935/36)''' bestimmte fast ein Jahrzehnt lang der berüchtigte NSDAP-Oberbürgermeister '''Walter Kießling (1936-1945)''' die Geschicke Erfurts.
 
Danach wechselten die Oberbürgermeister zunächst in kurzer Folge. Auf den von den US-Truppen im April 1945 eingesetzten Geschäftsmann '''Otto Gerber''' folgte unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling '''Hermann Jahn''', nach dessen Tod im Mai 1946 das SED-Mitglied Georg Boock.  Die freien Kommunalwahlen vom September 1946 gewannen jedoch die liberale LDPD (41 %) und die CDU (24 %), während die SED nur auf ein Drittel der Stimmen kam. Der neue Oberbürgermeister '''Paul Hach''' (LDPD) wurde daraufhin verhaftet und erst nach Verzicht auf sein Amt wieder freigelassen. Von da an brauchten die SED-Oberbürgermeister '''Georg Boock (1946-61)''', '''Rolf-Dietrich Nottrodt (1961-69)''', '''Heinz Scheinpflug (1969-82)''' und '''Rosemarie Seibert (1982-89)''' keine Angst mehr vor "falschen" Wählerentscheidungen zu haben. Nach der "Wende", während der kurzzeitig Übergangs-OB '''Siegfried Hirschfeld''' (SED/PDS) amtierte, gelangte der zur CDU übergetretene Bürgerrechtler '''Manfred O. Ruge''' im Mai 1990 auf demokratischem Wege in sein Amt. Der gebürtige Blumenstädter profilierte sich im wiederaufblühenden Erfurt der Nachwendezeit zum anerkannten Stadtvater. Ruge konnte sich in den OB-Wahlen 1994 und 2000 mit absoluter Mehrheit behaupten. Seit 2006 amtiert mit '''Andreas Bausewein''' erstmals ein Sozialdemokrat als Oberbürgermeister. Er konnte sein Amt 2012 bereits im ersten Wahlgang mit fast 60 % der Wählerstimmen gegen sechs Mitbewerber behaupten.




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Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Oberbürgermeister in Erfurt]]'''




'''''Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 11.04.2018'''''


 
[[Datei:TA-OB-Wahlen-18.jpg|450px|left]]
'''Oberbürgermeister Walter Kießling (1936-1945)'''
 
Walter Kießling war Erfurts „kommunaler Führer“ in der Zeit des Nationalsozialismus. Selbstbewusst nutzte er seine Machtposition von 1936 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945. Sein Ehrgeiz ließ ihn die Stadtentwicklung im Dritten Reich energisch voran treiben. Freilich gehörte hierzu auch das Bestreben, Erfurt schneller als andere Städte „judenfrei“ zu bekommen.
 
Das Amt des Oberbürgermeisters bekam nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 zunehmend autoritäre Züge. Seit der neuen Reichsgemeindeordnung von 1935 amtierte das Stadtoberhaupt „in voller und ausschließlicher Verantwortung“. Die Stadtverordnetenversammlung wurde zugunsten eines nur noch „beratenden“ Ratsherrengremiums aufgelöst.
Das „Führerprinzip“ setzte geeignete Führungspersönlichkeiten im Sinne der braunen Machthaber voraus. In dieser Hinsicht gestaltete sich die Entwicklung in Erfurt problematisch. Hatten die Oberbürgermeister seit Erlangung der Kreisfreiheit 1872 stets über Jahre erfolgreich amtiert, mussten die beiden ersten NS-Stadtoberhäupter Theodor Pichier (1933/34) und Max Zeitler (1935/36) jeweils nach kurzer Frist aufgrund von Skandalen zurücktreten.
Im März 1936 übernahm schließlich Walter Kießling die Führung im Rathaus. Der 1892 in Tannroda geborene Jurist war seit 1930 aktives NSDAP-Mitglied. Er galt als „Verwaltungsfachmann und entschlossener Politiker, der sich für seine Ziele und Vorstellungen einsetzte“, so Historiker Eckart Schörle. Freilich richteten sich diese Vorstellungen im Sinne der NS-Ideologie u.a. gegen moderne Kunst und gegen die Juden der Stadt. Beiden sagte er entschieden den Kampf an.
Museumsdirektor Herbert Kunze wurde auf sein Drängen hin 1937 entlassen, das Angermuseum verlor in der Aktion „entartete Kunst“ seine heute unschätzbar wertvolle Sammlung moderner Kunst. Für Kießling waren dies nur „übelste bolschewistische Machwerke“.
In der „Judenfrage“ versuchte er, die Stadt Erfurt als Vorreiter zu profilieren. Von den alltäglichen Diskriminierungen bis hin zur Deportation in die Vernichtungslager zeigte sich Kießling sehr aktiv. Selbst der berüchtigte Sicherheitsdienst vermerkte in einem Bericht: „In der Judenfrage wollte K. gegenüber den zentral gelenkten Maßnahmen der Stapo eigene Wege gehen, um Erfurt baldmöglichst judenfrei hinstellen zu können.“
Unter OB Kießling sollte auch die Industriegroßstadt Erfurt weiter ihr Aussehen ändern. Zunächst waren es v.a. Kasernen, Militärkomplexe und Rüstungsbetriebe, die aus dem Boden schossen. Sie bildeten die Vorboten des vom NS-Staat ausgelösten Zweiten Weltkrieges 1939-45. Dieser Krieg griff ab Sommer 1940 durch immer häufigere Luftangriffe zerstörerisch ins Stadtbild ein, ca. 1600 Menschen verloren dabei ihr Leben. Der Oberbürgermeister konnte als „Leiter der Sofortmaßnahmen“ des Luftschutzes kaum mehr hiergegen tun, als durch Propaganda gegen die „englisch-amerikanischen Mordbrenner“ den Durchhaltewillen der Erfurter zu stärken.
Am Ende des Krieges setzte sich Kießling jedoch für eine kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner ein. Dies hätte ihm beinahe den Kopf gekostet, da Kampfkommandant Oberst Otto Merkel die Stadt gemäß „Führerbefehl“ zu verteidigen gedachte. So nahmen die US-Truppen am 12. April 1945 Erfurt kämpfend ein, der von Merkel erlassene Erschießungsbefehl gegen Kießling wurde nicht vollstreckt.
Diese Episode am Kriegsende hat dem überzeugten Nationalsozialisten den Weg zu einer geachteten Nachkriegsexistenz in der Bundesrepublik geebnet. 1949 wurde sein Entnazifizierungsverfahren mit „entlastet“ abgeschlossen. Als Rechtsanwalt gehörte Kießling bis zu seinem Tode 1966 zur geachteten Göttinger Honoratiorengesellschaft.
 
 
'''Oberbürgermeister Georg Boock (1946-1961)'''
 
Georg Boock hat als SED-Oberbürgermeister die Zeit der frühen DDR bis 1961 geprägt. Unter seiner Führung kam es zur „Gleichschaltung“ des politischen und gesellschaftlichen Lebens, wie schon die Umstände seiner Amtseinführung deutlich machen. Zugleich bestimmte er die Entwicklung der sozialistischen Großstadt, die im wirtschaftlichen und kulturell-wissenschaftlichen Bereich an Profil gewann.
 
Mit der Besetzung durch die US-Armee am 12. April 1945 war der Zweite Weltkrieg für Erfurt beendet. Nunmehr bestimmten den Alltag die Sorgen der Nachkriegszeit und die Herrschaft der am 3. Juli 1945 einmarschierten Sowjetbesatzer. Mit ihrer Hilfe entfaltete sich die Herrschaft der Kommunisten bzw. der im April 1946 gegründeten SED.
Ihr Machtanspruch trat auch in Erfurt sehr rasch an die Oberfläche, wie die Oberbürgermeister-Frage zeigt. NS-Stadtoberhaupt Walter Kießling war zunächst von Geschäftsmann Otto Gerber abgelöst worden, an dessen Stelle unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling Hermann Jahn trat. Nach dessen Tod im Mai 1946 wurde das SED-Mitglied Georg Boock (1891-1961) in dieses Amt berufen.
Der gebürtige Berliner hatte seit 1911 Erfahrungen als Kommunalpolitiker gesammelt. 1922 war er der SPD beigetreten. Im Dritten Reich noch 1944 zu einer Zuchthausstraße verurteilt, arbeitete er nach Kriegsende bis zu seiner Berufung nach Erfurt als Oberbürgermeister von Wurzen und trat der KPD bzw. SED bei.
Die freien Kommunalwahlen in Erfurt vom 6. September 1946 gewannen jedoch die Bürgerparteien LDPD (41 %) und CDU (24 %), während die SED nur ein Drittel der Stimmen erringen konnte. Der neue Oberbürgermeister Paul Hach (LDPD) wurde daraufhin unter dem Vorwurf der Sabotage verhaftet und erst nach Verzicht auf den OB-Posten wieder freigelassen. So gelangte Georg Boock erneut an die Spitze der Stadtverwaltung.
Doch dies war nur ein erster Vorgeschmack auf die totalitäre SED-Herrschaft im Erfurter Rathaus. Sie fügte sich ein in den „demokratischen Zentralismus“ der 1949 gegründeten DDR. Politisch-gesellschaftliche Umwälzungen und wirtschaftliche Probleme mündeten in den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der sich auch in Erfurt in zahlreichen Streiks und Protestkundgebungen äußerte. Schließlich konnte die DDR nur durch den Bau der Berliner Mauer 1961 vor dem Ausbluten gerettet werden. Unter den 2,7 Millionen „Republikflüchtlingen“ hatten sich viele Blumenstädter befunden, die in der Organisation „Heimattreue Erfurter“ im „Westen“ den Zusammenhalt pflegten.
Die Stadtverwaltung unter Georg Boock konnte aber auch Erfolge vermelden. Ab 1948 übernahm Erfurt von Weimar die Hauptstadtrolle des Landes Thüringen. Mit der Auflösung der Länder 1952 wurde es Bezirksstadt. Als Hauptstadt des größten der drei thüringischen Bezirke nahm es eine kontinuierliche Weiterentwicklung.
Größtes Problem war die Wohnungsfrage, der man durch beschleunigten Wohnungsbau, Arbeiterwohnungsbau-Genossenschaften (AWG) und das freiwillige „Nationale Aufbauwerk“ (NAW) beizukommen suchte. Im wirtschaftlichen Bereich baute Erfurt seine Bedeutung als Industriestadt weiter aus. In Wissenschaft und Kultur brachte die Ära Boock wichtige Neugründungen wie die Pädagogische Hochschule (1953), die Medizinische Akademie (1954), den Thüringer Zoopark (1959) und die iga (1961). Letztlich wird man die Verdienste des ersten SED-Oberbürgermeisters nur unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen seiner Amtszeit in der SBZ bzw. frühen DDR angemessen würdigen können.
 
 
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]'''

Version vom 12. April 2018, 06:48 Uhr

Oberbürgermeister der Stadt Erfurt seit 1872

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2006)


Vom Obervierherrn zum Oberbürgermeister


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Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts hatte Erfurt seinem Landesherren, dem Erzbischof von Mainz, wachsende Autonomie bis hin zur faktischen Selbständigkeit des "Landes Erfurt" abgetrotzt. Dabei besaßen jedoch nur wenige wohlhabende Bürgerfamilien Zugang zum Stadtrat, ganz zu schweigen von den städtischen Spitzenämtern. Freilich war es nicht immer einfach, sich über die Bevölkerungsmehrheit hinwegzusetzen. Das zeigte sich etwa im "Tollen Jahr von Erfurt" 1509/10, als eine erregte Menge vom Obervierherrn Heinrich Kellner im Rathaus Rechenschaft über die katastrophale Verschuldung der Stadt forderte. Als dieser mit patrizischem Selbstbewusstsein dem "Pöbel" auf sich selbst zeigend sein "Hier steht die Gemeinde!" entgegen geschleudert hatte (siehe Abb.), endete seine Karriere prompt mit Folter und Hinrichtung.

Die Macht des Rates sank zudem mit dem schleichenden Bedeutungsverlust der Stadt, gipfelnd in der Unterwerfung unter Mainz 1664. Erst mit dem Übergang an Preußen 1802/15 begann im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ein allmählicher Wiederaufstieg. 1872 erfolgte die Erhebung Erfurts zur kreisfreien Stadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze. Wer deren Verwaltung leitete, bestimmte aber weiterhin nur ein kleiner Zirkel honoriger Bürger. Denn bis 1918 bevorteilte das preußische Dreiklassenwahlrecht bei der Kommunalwahl Bürger mit hohem Steueraufkommen. Zudem besaßen nur wenige Erfurter das notwendige Bürgerrecht, noch 1914 waren es ganze 14,5%. Ins Rathaus gewählt wurden so Honoratioren von "Besitz und Bildung", Unternehmer, Bankiers, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, wohlhabende Handwerker. Seit der Entfestigung 1873 entwickelte sich Erfurt rasant zur Industriemetropole, deren Verwaltung immer komplexere Fachkenntnise erforderte. Zum OB beriefen die Stadtväter daher Justiz- und Verwaltungsexperten. Die Oberbürgermeister Richard Breslau (1872-89), Gustav Schneider (1890-95) und Hermann Schmidt (1895-1919) haben sich auf Erfurts Weg zur modernen Großstadt bleibende Verdienste erworben. Allein in die Amtszeit Breslaus fallen so wichtige Neuerungen wie Flutgraben und Ringstraße (heutiger Gagarin-Ring), Elektrifizierung, Städtisches Krankenhaus, Wasserleitung, Kanalisation, Straßenbahn oder Telefonnetz.

Auch in der Weimarer Republik leitete mit Bruno Mann (1919-33) ein Fachmann "alter Schule" die Geschicke der Stadt. Mann war jedoch der erste, der von einer frei gewählten Stadtverordnetenversammlung ins Amt berufen wurde. Er versuchte in jener unruhigen Zeit als überparteiischer Stadtvater ausgleichend auf die verfeindeten Lager nicht nur im Rathaus einzuwirken. So gehörte er etwa während des blutigen Kapp-Putsches 1920, der in Erfurt acht Tote und viele Verletzte forderte, zu den besonnenen Politikern, die um eine Beruhigung der Lage rangen. Nach der "Machtergreifung" Hitlers 1933 herrschten die Oberbürgermeister als "lokale Führer" uneingeschränkt über die Stadt. Ihre Amtsführung besaß keinerlei demokratische Legitimierung mehr. Nach Theodor Pichier (1933-35) und Max Zeitler (1935/36) bestimmte fast ein Jahrzehnt lang der berüchtigte NSDAP-Oberbürgermeister Walter Kießling (1936-1945) die Geschicke Erfurts.

Danach wechselten die Oberbürgermeister zunächst in kurzer Folge. Auf den von den US-Truppen im April 1945 eingesetzten Geschäftsmann Otto Gerber folgte unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling Hermann Jahn, nach dessen Tod im Mai 1946 das SED-Mitglied Georg Boock. Die freien Kommunalwahlen vom September 1946 gewannen jedoch die liberale LDPD (41 %) und die CDU (24 %), während die SED nur auf ein Drittel der Stimmen kam. Der neue Oberbürgermeister Paul Hach (LDPD) wurde daraufhin verhaftet und erst nach Verzicht auf sein Amt wieder freigelassen. Von da an brauchten die SED-Oberbürgermeister Georg Boock (1946-61), Rolf-Dietrich Nottrodt (1961-69), Heinz Scheinpflug (1969-82) und Rosemarie Seibert (1982-89) keine Angst mehr vor "falschen" Wählerentscheidungen zu haben. Nach der "Wende", während der kurzzeitig Übergangs-OB Siegfried Hirschfeld (SED/PDS) amtierte, gelangte der zur CDU übergetretene Bürgerrechtler Manfred O. Ruge im Mai 1990 auf demokratischem Wege in sein Amt. Der gebürtige Blumenstädter profilierte sich im wiederaufblühenden Erfurt der Nachwendezeit zum anerkannten Stadtvater. Ruge konnte sich in den OB-Wahlen 1994 und 2000 mit absoluter Mehrheit behaupten. Seit 2006 amtiert mit Andreas Bausewein erstmals ein Sozialdemokrat als Oberbürgermeister. Er konnte sein Amt 2012 bereits im ersten Wahlgang mit fast 60 % der Wählerstimmen gegen sechs Mitbewerber behaupten.


> Richard Breslau (1872-1889)

> Hermann Schmidt (1895-1919)

> Bruno Mann (1919-1933)

> Walter Kießling (1936-1945)

> Georg Boock (1946-1961)


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Oberbürgermeister in Erfurt


Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 11.04.2018

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