Kreisreform Thüringen Geschichte: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Kreisreform und Landesgeschichte'''
'''Überformtes „Land der Residenzen“'''


Die künftigen Großkreise in Thüringen verbinden meist zahlreiche historische Gebiete, wobei historische und aktuelle Bezüge berücksichtigt werden sollten.  
Die geplante Kreisreform in Thüringen geht über alle bisherigen Strukturveränderungen weit hinaus und berücksichtigt zum Teil kaum die regionalen und historischen Verhältnisse.




[[Datei:KreisreformI.png|400px|right]][[Datei:Thueringen.Kleinstaaten.png|400px|right]]Die allmählich klarere Konturen annehmende Kreisreform für den Freistaat Thüringen hat in den letzten Wochen für viele Diskussionen gesorgt (siehe Karte der Expertenkommission, Autor: Michael Sander). In erster Linie geht es dabei um effizientere Verwaltung und Einsparpotenzial, um Befürwortung oder Ablehnung größerer Kreise. Die historische Komponente kam bisher kaum zur Sprache, obwohl dies für die Menschen vor Ort durchaus eine wichtige Rolle spielt (siehe die Gebietsstruktur vor 1920, Autor: Störfix). Dass das regionale Geschichtsbewusstsein im einstigen „Musterland der Kleinstaaterei“ entsprechend kleinteilig angelegt ist, versteht sich von selbst. Schon die jetzigen Landkreise verbinden in den meisten Fällen historische Territorien verschiedener Herkunft. Umso mehr muss dies für die konzipierten Großkreise der Zukunft gelten. Nur in einigen wenigen Fällen würden diese noch auf einen ehemaligen Kleinstaat zurückgehen.  
[[Datei:Reform2018(2).jpg|400px|right]][[Datei:Thueringen.Kleinstaaten.png|400px|right]]Das Projekt einer Kreisreform in Thüringen tritt in die heiße Phase. Hierbei sollen Strukturen geschaffen werden, wie es sie in dieser ausgreifenden Form noch nie gegeben hat. Das sorgt für heftige Diskussionen. Auch die Kreisreform von 1994 hatte schon für Wirbel gesorgt. Sie wurde aber am Ende weithin akzeptiert, weil es sich um eine Korrektur der Gebietsreform von 1952 handelte. Damals hatte man im Sinne des „demokratischen Zentralismus“ die fünf Länder in der DDR zerschlagen. Thüringen wurde nicht nur in die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl aufgeteilt, sondern auch die Kreise deutlich verkleinert.  


Am ehesten wäre dies noch beim Weimarer Land der Fall, das den Kernbereich des einstigen Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach ausmacht. Allerdings würde selbst dieser relativ homogene Kreis weit in einst preußisches Gebiet des heutigen Kreises Sömmerda herein reichen. Zumindest einen erkennbaren historischen Schwerpunkt hätten jene zwei Kreise aufzuweisen, die an die einstigen Herzogtümer Sachsen-Gotha und Sachsen-Meiningen anknüpfen. Der vergrößerte Kreis Gotha würde freilich mit dem Ilmkreis einstige schwarzburgische (Arnstadt) und weimarische (Ilmenau) Territorien umschließen. In Südthüringen kämen zum meiningischen Gebiet u.a. die preußischen Ländereien um Suhl und Schleusingen hinzu. Der vergrößerte Wartburgkreis enthielte weimarische, meiningische und preußische (Schmalkalden) Gebiete. Die beiden ostthüringischen Großkreise schließlich würden zum Sammelbecken eines halben Dutzend historischer Herrschaften der Reußen (Gera, Greiz), Wettiner (Altenburg) und Schwarzburger (Rudolstadt).
So teilte man zum Beispiel das erst 1945 als Landkreis vereinte Eichsfeld schon 1952 wieder in die Kreise Heiligenstadt und Worbis. 1994 wurde dies zur großen Freude der Eichsfelder rückgängig gemacht. Die aktuellen Pläne gehen nun weit darüber hinaus und sollen zu einer Fusion des Landkreises Eichsfeld mit dem Unstrut-Hainich-Kreis führen. Damit würden Gebiete sehr unterschiedlicher Struktur und Geschichte zusammengelegt, was für viele der geplanten acht Großkreise gilt. (Abb. 1: vom Innenministerium geplante Kreisstruktur ab 2018, Quelle: TLS)
Den Initiatoren der Reform geht es erklärtermaßen um eine effizientere Verwaltung. Landesgeschichte und regionale Befindlichkeiten sind dagegen kein Schwerpunkt. Schon viele jetzige Landkreise verbinden verschiedene Territorien der einstigen Kleinstaatenwelt, die Thüringen nachhaltig geprägt hat. (Abb. 2: Gebietsstruktur vor 1918/20, Autor: Störfix) Die geplanten Strukturen würden das „Land der Residenzen“ mit seiner einmalig dichten Kulturlandschaft nunmehr völlig überformen.  


Bei der Neustrukturierung auf die einstigen Kleinstaaten Rücksicht zu nehmen, ist also kaum möglich. Aber man sollte doch auf Befindlichkeiten und historisch gewachsene Verbindungen in den Regionen eingehen, wenn die neuen Großkreise im Bewusstsein ihrer Bewohner Wurzeln schlagen sollen. Das scheint beim jetzigen Konzept in einigen Fällen nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden zu haben. Besonders in Nordthüringen geht man an solchen Gemeinsamkeiten vorbei. Statt der beiden geplanten Kreise Eichsfeld/Nordhausen und Unstrut-Hainich/Kyffhäuser gäbe es vielmehr Anknüpfungspunkte in einer anderen Kombination: Die bis 1945 preußischen Kreise Eichsfeld und Unstrut-Hainich besitzen nicht nur viele historisch-konfessionelle Gemeinsamkeiten, sondern auch aktuelle gemeinsame Interessen wie den Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal. Die Zusammenarbeit von Theater Nordhausen und Loh-Orchester Sondershausen steht als ein Beispiel für die engen Kontakte zwischen den Kreisen Nordhausen und Kyffhäuser. Soll zusammen wachsen, was zusammen gehört, müsste die kommende Kreisgebietsreform auch auf solche historisch-kulturellen Aspekte Rücksicht nehmen.
Am ehesten erinnert noch der vergrößerte Kreis Gotha an das Herzogtum Sachsen-Gotha. Viele andere Kreise gerieten zu Sammelbecken eines halben Dutzend einstiger Herrschaften. Historisch-kulturelle Identifikationsangebote könnten solche Verwaltungsgebilde kaum noch bieten. Am radikalsten sind die Pläne in Südthüringen, wo gewissermaßen der Bezirk Suhl südlich des Rennsteigs als Kreis wieder zusammengefasst werden soll.  


''('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''' in Thüringer Allgemeine vom 26.02.2013)''
In Nordthüringen scheinen regionale Aspekte stärker eingeflossen zu sein. Die bis 1945 preußischen Kreise Eichsfeld und Unstrut-Hainich besitzen bei allen Unterschieden doch auch historische und aktuelle Gemeinsamkeiten, wie den Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal. Ähnlich ist es bei den Kreisen Nordhausen und Kyffhäuser, die allerdings noch zur allgemeinen Überraschung mit Sömmerda fusionieren sollen.  


In Ostthüringen sieht es anders aus. Es würde zum Beispiel bei der Teilung der Saaletalsperren bleiben, die doch als „Thüringer Meer“ ambitioniert weiterentwickelt werden sollen. Nicht nur deshalb wäre eine Fusion der Kreise Saalfeld-Rudolstadt und Saale-Orla-Kreis sinnvoller, zwischen denen es ohnehin schon zahlreiche Kooperationen gibt. Nördlich hiervon verbindet sehr viel mehr das Weimarer Land mit dem Saale-Holzland-Kreis. Dort entstünde eine reizvolle Kulturregion, die in weiten Teilen auf das Herzogtum Sachsen-Weimar zurückgeht.


'''Siehe auch: [[Geschichte Thüringens]]''', '''[http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Verwaltungsgliederung_Th%C3%BCringens#Seit_1994 Geschichte der Verwaltungsgliederung in Thüringen auf Wikipedia]'''
Es gibt also durchaus sinnvolle Perspektiven für einige der neuen Kreise, andere scheinen ohne Berücksichtigung der regionalen Verhältnisse künstlich am Reißbrett entworfen. Die historisch gewachsene Kleinteiligkeit Thüringens, fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, wird auf jeden Fall auf der Strecke bleiben. Und die Reform wird klare Verlierer hervorbringen. Altenburg, Greiz, Meiningen und Sondershausen etwa waren über Jahrhunderte Residenzstädte der Wettiner, Schwarzburger und Reußen. Sie drohen in den neuen Großkreisen nun sogar ihren Status als Kreisstadt zu verlieren. Mit den Kreisstädten wiederum verlieren die jeweiligen Regionen ihren urbanen Kristallisationspunkt.
 
''('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''' in Thüringer Allgemeine vom 22.10.2016)''
 
 
'''Siehe auch: [[Geschichte Thüringens]]''', '''[http://thueringen.de/th3/gebietsreform/index.aspx Informationen zur Reform auf thueringen.de]'''

Aktuelle Version vom 8. Dezember 2016, 08:11 Uhr

Kreisreform Thüringen 2018

Überformtes „Land der Residenzen“

Die geplante Kreisreform in Thüringen geht über alle bisherigen Strukturveränderungen weit hinaus und berücksichtigt zum Teil kaum die regionalen und historischen Verhältnisse.


Reform2018(2).jpg
Thueringen.Kleinstaaten.png

Das Projekt einer Kreisreform in Thüringen tritt in die heiße Phase. Hierbei sollen Strukturen geschaffen werden, wie es sie in dieser ausgreifenden Form noch nie gegeben hat. Das sorgt für heftige Diskussionen. Auch die Kreisreform von 1994 hatte schon für Wirbel gesorgt. Sie wurde aber am Ende weithin akzeptiert, weil es sich um eine Korrektur der Gebietsreform von 1952 handelte. Damals hatte man im Sinne des „demokratischen Zentralismus“ die fünf Länder in der DDR zerschlagen. Thüringen wurde nicht nur in die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl aufgeteilt, sondern auch die Kreise deutlich verkleinert.

So teilte man zum Beispiel das erst 1945 als Landkreis vereinte Eichsfeld schon 1952 wieder in die Kreise Heiligenstadt und Worbis. 1994 wurde dies zur großen Freude der Eichsfelder rückgängig gemacht. Die aktuellen Pläne gehen nun weit darüber hinaus und sollen zu einer Fusion des Landkreises Eichsfeld mit dem Unstrut-Hainich-Kreis führen. Damit würden Gebiete sehr unterschiedlicher Struktur und Geschichte zusammengelegt, was für viele der geplanten acht Großkreise gilt. (Abb. 1: vom Innenministerium geplante Kreisstruktur ab 2018, Quelle: TLS)

Den Initiatoren der Reform geht es erklärtermaßen um eine effizientere Verwaltung. Landesgeschichte und regionale Befindlichkeiten sind dagegen kein Schwerpunkt. Schon viele jetzige Landkreise verbinden verschiedene Territorien der einstigen Kleinstaatenwelt, die Thüringen nachhaltig geprägt hat. (Abb. 2: Gebietsstruktur vor 1918/20, Autor: Störfix) Die geplanten Strukturen würden das „Land der Residenzen“ mit seiner einmalig dichten Kulturlandschaft nunmehr völlig überformen.

Am ehesten erinnert noch der vergrößerte Kreis Gotha an das Herzogtum Sachsen-Gotha. Viele andere Kreise gerieten zu Sammelbecken eines halben Dutzend einstiger Herrschaften. Historisch-kulturelle Identifikationsangebote könnten solche Verwaltungsgebilde kaum noch bieten. Am radikalsten sind die Pläne in Südthüringen, wo gewissermaßen der Bezirk Suhl südlich des Rennsteigs als Kreis wieder zusammengefasst werden soll.

In Nordthüringen scheinen regionale Aspekte stärker eingeflossen zu sein. Die bis 1945 preußischen Kreise Eichsfeld und Unstrut-Hainich besitzen bei allen Unterschieden doch auch historische und aktuelle Gemeinsamkeiten, wie den Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal. Ähnlich ist es bei den Kreisen Nordhausen und Kyffhäuser, die allerdings noch zur allgemeinen Überraschung mit Sömmerda fusionieren sollen.

In Ostthüringen sieht es anders aus. Es würde zum Beispiel bei der Teilung der Saaletalsperren bleiben, die doch als „Thüringer Meer“ ambitioniert weiterentwickelt werden sollen. Nicht nur deshalb wäre eine Fusion der Kreise Saalfeld-Rudolstadt und Saale-Orla-Kreis sinnvoller, zwischen denen es ohnehin schon zahlreiche Kooperationen gibt. Nördlich hiervon verbindet sehr viel mehr das Weimarer Land mit dem Saale-Holzland-Kreis. Dort entstünde eine reizvolle Kulturregion, die in weiten Teilen auf das Herzogtum Sachsen-Weimar zurückgeht.

Es gibt also durchaus sinnvolle Perspektiven für einige der neuen Kreise, andere scheinen ohne Berücksichtigung der regionalen Verhältnisse künstlich am Reißbrett entworfen. Die historisch gewachsene Kleinteiligkeit Thüringens, fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, wird auf jeden Fall auf der Strecke bleiben. Und die Reform wird klare Verlierer hervorbringen. Altenburg, Greiz, Meiningen und Sondershausen etwa waren über Jahrhunderte Residenzstädte der Wettiner, Schwarzburger und Reußen. Sie drohen in den neuen Großkreisen nun sogar ihren Status als Kreisstadt zu verlieren. Mit den Kreisstädten wiederum verlieren die jeweiligen Regionen ihren urbanen Kristallisationspunkt.

(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine vom 22.10.2016)


Siehe auch: Geschichte Thüringens, Informationen zur Reform auf thueringen.de