Geschichte Mitteldeutschlands: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Die Geschichte Thüringens ist fest in Mitteldeutschland verwurzelt, während die Verbindungen zu Hessen früh gekappt wurden.'''
'''Thüringens ist fest in einer mitteldeutschen Geschichtslandschaft mit Sachsen und Sachsen-Anhalt verwurzelt, während die Verbindungen zu Hessen früh gekappt wurden.'''





Version vom 9. Januar 2016, 10:27 Uhr

Geschichte Mitteldeutschlands

Thüringens ist fest in einer mitteldeutschen Geschichtslandschaft mit Sachsen und Sachsen-Anhalt verwurzelt, während die Verbindungen zu Hessen früh gekappt wurden.


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Bei den aktuellen Diskussionen um die zu geringe Repräsentation Thüringens im gemeinsam mit Sachsen und Sachsen-Anhalt getragenen Mitteldeutschen Rundfunk wurde auch die Geschichte der Region als Argument ins Feld geführt. Solle es bei der stiefmütterlichen Behandlung durch den vor allem in Leipzig und Halle konzentrierten MDR bleiben, müsse man über Alternativen nachdenken. Eine sei ein Hessisch-Thüringischer Rundfunk, der nach 1990 schon einmal in der Diskussion war. Hierfür sprächen auch die engen historischen Verbindungen beider Länder.

Auf den ersten Blick scheint dies viel für sich zu haben. Die Landeswappen sind sich zum Verwechseln ähnlich, was auf die für beide Länder identitätsstiftende Landgrafschaft Thüringen verweist. Diese reichte im 13. Jahrhundert weit in den nordhessischen Raum hinein. Allerdings starben die von vielen Sagen umrankten ludowingischen Landgrafen auf der Wartburg bereits 1247 aus. Ihr Erbe wurde nach einem blutigen Krieg 1264 geteilt. Die wettinischen Markgrafen von Meißen übernahmen die thüringischen Gebiete, aus den westlichen Ländereien entstand die Landgrafschaft Hessen.

Fortan bestimmten die Wettiner die Geschicke weiter Teile der Region. An der Schwelle zur Neuzeit um 1500 verfügten sie über eines der mächtigsten Territorien des Reiches. Als Markgrafen von Meißen hatten sie sich seit 1089 die Herrschaft über Sachsen erkämpft. 1247/64 erwarben die Wettiner die Landgrafschaft Thüringen und 1423 das kurfürstliche Herzogtum Sachsen-Wittenberg. Kurfürst Friedrich den Weisen brachte man 1519 sogar als Kandidaten für die Kaiserkrone ins Spiel. Sein Bruder Ernst konnte als Erzbischof von Magdeburg und Bischof von Halberstadt den Einfluss der Familie auf fast ganz Mitteldeutschland ausdehnen.

Allerdings sollte dies eine Momentaufnahme bleiben. Die Wettiner splitterten durch Erbteilungen ihren Gesamtbesitz immer wieder auf. Die Leipziger Teilung 1485 zwischen den Brüdern Ernst und Albrecht führte zur dauerhaften Aufspaltung in eine ernestinisch-thüringische und albertinisch-sächsische Linie der Wettiner, von denen die historische Spur bis hin zu den Freistaaten Thüringen und Sachsen führt. Den Ernestinern wird im kommenden Jahr eine Landesausstellung in den einstigen Residenzen Gotha und Weimar gewidmet.

Den Albertinern gelang zwar nach dem Sieg im Schmalkaldischen Krieg 1547, der den Ernestinern die Kurwürde und alle nichtthüringischen Gebiete kostete, die Entwicklung Sachsens zu einem einheitlichen Territorialstaat mit der Residenz Dresden. Sachsen geriet jedoch immer wieder auf die Verliererseite der Geschichte und büßte im Laufe der Zeit zwei Drittel seines Territoriums ein. Die Ernestiner splitterten ihren Besitz in zahlreiche kleine Herzogtümer auf, was zur Ausbildung der sprichwörtlichen Kleinstaatenwelt in Thüringen mit beitrug.

Gleichzeitig konnte Preußen erhebliche Ländereien an sich reißen. Von 1815 bis 1944/45 gehörten der größte Teil Sachsen-Anhalts und der Regierungsbezirk Erfurt zur preußischen Provinz Sachsen. Das 20. Jahrhundert sollte die heutige Länderstruktur ausprägen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden 1945 erstmals jene drei Länder, die aber 1952 in der DDR schon wieder in kleinere Bezirke aufgeteilt wurden. Seit dem Vollzug der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 sind nunmehr Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen föderale Bestandteile der Bundesrepublik Deutschland.

Ist Mitteldeutschland also tatsächlich eine Geschichtslandschaft? Der Name geht auf die Reichsreformdebatten der 1920er-Jahre zurück. In der Weimarer Republik diskutierte man zahlreiche Neuordnungspläne der Länder, von denen einige die heutige Situation bereits voraus nahmen. Der Landeshauptmann der Provinz Sachsen Ehrhard Hübener plädierte etwa 1929 für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen innerhalb eines Verbundes Mitteldeutschland. Niedergeschlagen haben sich diese Visionen in Einrichtungen wie der Mitteldeutschen Rundfunk AG in Leipzig (1924), dem Vorgänger des heutigen MDR.

Schon im Diskurs der 1920er-Jahre spielte auch die gemeinsame Geschichte eine Rolle. Bereits im 6. Jahrhundert hatte das Königreich der Thüringer weite Teile Mitteldeutschlands umschlossen. Die Verbindungen ziehen sich weiter von den Wettinern bis hin zu vier Jahrzehnten DDR an der innerdeutschen Grenze. Ein einendes Band ist auch die Kulturgeschichte als Land Luthers, Bachs, Goethes und des Bauhauses sowie kulturell-sprachliche Gemeinsamkeiten. Mitteldeutschland lässt sich also als eine relativ geschlossene Geschichtslandschaft betrachten.

Freilich sollte man sich davor hüten, Mitteldeutschland darüber hinaus zu einer historischen Einheit zu erklären, um etwa eine Länderfusion zu legitimieren. Zudem existiert vor allem in Sachsen und Thüringen ein fest verwurzeltes Landesbewusstsein. Die sächsische Landesgeschichte entfaltet eine hohe identitätsstiftende Kraft. Auch in Thüringen hielt sich immer das Bewusstsein einer historischen „Einheit in der Vielfalt“. Dieses reicht bis zu den Königen und Landgrafen zurück und überlagert die kleinstaatliche Kulturlandschaft um Welterbe Wartburg und Weimar.

Daher verwundert es nicht, dass die Wiedergründung der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit zu den zentralen Forderungen der friedlichen Revolution 1989 gehörte. Freiheit, Einheit und Renaissance der drei Länder gehörten für viele Menschen zusammen. Mittlerweile sind sie ein selbstverständlicher Teil des föderalen Deutschlands. Dem Bewusstsein der vielfachen historischen Verbindungen und einer engeren Kooperation muss dies keineswegs widersprechen. Das ursprüngliche MDR-Motto „Drei Länder, ein Sender“ bietet hierfür eine gute Grundlage, wenn sich alle Partner auf Augenhöhe begegnen.

(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine vom 21.10.2015)


Siehe auch: Geschichte Thüringens