Erfurter Museumsfrage

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Die Erfurter Museumsfrage

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Die Klassikerstadt Weimar scheint die jüngere Kulturgeschichte Thüringens zu dominieren. Erst recht gilt dies für jene Einrichtung, die als Impulsgeber der klassischen Moderne in diesem Jahr ihr 90. Gründungsjubiläum feiert. Das Bauhaus besitzt in Weimar wahre Wallfahrtsorte, vielleicht eines Tages sogar ein repräsentatives Museum. Will man jedoch die breite städtebaulich-architektonische Umsetzung der Bauhaus-Ideen erleben, so muss man in das benachbarte Erfurt fahren. Auch eine andere Facette des kulturellen Aufbruchs der Weimarer Republik fand in der pulsierenden Industriegroßstadt ihren Höhepunkt, der Expressionismus.

Die Kultur der “Goldenen Zwanziger” mit ihren teils revolutionären Neuerungen gilt heute als klassische Moderne. Allerdings wurde sie von den Zeitgenossen oft skeptisch wahrgenommen und führte bis hin zu erbittert ausgefochtenen “Kulturkämpfen”. Erfurt macht hierbei keine Ausnahme. Das Wirken von Museumsdirektor Edwin Redslob hatte schon seit 1912 wegen dessen Offenheit für neue künstlerische Strömungen zu Spannungen geführt. Unter den Bedingungen der Republik schien der Bildungsbürger liebstes Kind gar zur „Hochburg semitisch-moskowitischer Unkultur“ zu verkommen, schrieb 1919 die rechtskonservative Mitteldeutsche Zeitung zur “Erfurter Museumsfrage”.

Das Museum geriet vollends zum Politikum, als nach der Berufung Redslobs zum “Reichskunstwart” der Posten des Direktors vakant wurde. Eine breite Front rechtsbürgerlicher Parteien und Interessengruppen forderte die Rückkehr zum bodenständigen Heimatmuseum. 1920 wurde jedoch mit Walter Kaesbach ein Mann verpflichtet, der wie kaum ein anderer für die Moderne stand. Kaesbach war Assistent an der Berliner Nationalgalerie, wo er am Aufbau der Sammlung moderner Kunst mitgewirkt hatte. Dazu hatte er sich gemeinsam mit Walter Gropius, Erich Heckel, Christian Rohlfs u.a. im Berliner Arbeitsrat für Kunst engagiert.

Der neue Direktor entfaltete sofort eine breite Aktivität. Dank des jüdischen Schuhfabrikanten und Mäzens Alfred Hess konnte er eine bedeutende Expressionismus-Sammlung aufbauen. Kaesbach und Hess verdankt sich auch der Heckel-Raum (1922/24) im Angermuseum mit den einzigen erhaltenen Wandmalereien des Expressionisten. Zugleich machte der Fabrikant seine Villa in der heutigen Alfred-Hess-Straße zur bedeutenden Galerie, sein Gästebuch liest sich wie ein Who´s who der klassischen Moderne. Dort finden sich auch die Namen von Lyonel Feininger und Christian Rohlfs, die 1923/24 länger in Erfurt weilten. Geblieben sind die Bilder der Barfüßerkirche von Feininger und von Dom und Severikirche von Rohlfs (siehe Abb., Angermuseum Erfurt).

Bei alledem ist jedoch nicht zu übersehen, dass mit der Wahl Kaesbachs auch die Stunde der Gegner der kulturellen Moderne schlug. Sie verbreiteten das politisch hoch aufgeladene Feindbild der “jüdisch-bolschewistischen Unkultur”, der man die traditionelle “deutsche Kultur” entgegenstellte. In diesem Klima steigerten sich die Anfeindungen bis hin zu nächtlichen Attentaten auf Kaesbachs Villa. So erkennt man durchaus Parallelen zum Weimarer Bauhaus, wenn der Museumsdirektor schon 1924 Erfurt wieder verließ. Anders als beim Bauhaus, das 1925 von Weimar nach Dessau übersiedelte, wurde Kaesbachs Werk jedoch in Erfurt von seinem Nachfolger Herbert Kunze kongenial fortgesetzt.

Die “Erfurter Museumsfrage” schlug so bis 1933 immer wieder hohe Wellen. Sie zeigt damit die Bedeutung der Kultur als politischer Mobilisierungsfaktor. Die Umbrüche nach 1918 wurden von vielen Bürgern auch als Kultur- und Identitätsverlust wahrgenommen. So sehr Erfurt in den “Goldenen Zwanzigern” einen kulturellen Aufbruch von nationaler Bedeutung erlebte, muss man auch die weitgehende Verständnislosigkeit bei den Zeitgenossen hervorheben. Nicht wenige mögen schließlich in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft Adolf Hitlers den gesellschaftlichen Rahmen gesehen haben, der die Aushöhlung der eigenen kulturellen Vorherrschaft durch die Moderne stoppen könne.

Nach der Machtergreifung Hitlers wurde die “Erfurter Museumsfrage” radikal beantwortet. 1937 jagte man Direktor Kunze als „einen der bekanntesten Vertreter der jüdisch-bolschewistischen Kunstrichtung“ aus dem Amt; gleichzeitig beraubte die Aktion „Entartete Kunst“ das Museum hunderter Werke der Moderne, die heute einen unschätzbaren Wert darstellen würden. Ebenso verhängnisvoll wirkte sich die Auswanderung der Familie des 1931 gestorbenen Mäzens Hess aus. Damit verlor die Stadt eine der bemerkenswertesten Privatsammlungen der Weimarer Republik. Das im Jahre 2006 für 34 Millionen € bei Christie`s in New York versteigerte Bild Ernst Ludwig Kirchners “Straßenszene, Berlin” von 1913 ist so wie manch anderes Gemälde Erfurt für immer verloren gegangen. Dennoch kann sich das Angermuseum auf eine große Tradition berufen und noch manchen Schatz der klassischen Moderne präsentieren, wenn es nach komplexer Sanierung 2010 wieder seine Pforten öffnet.


Text: Steffen Raßloff: Die Erfurter Museumsfrage. Ein Brennpunkt der klassischen Moderne. In: Kulturjournal Mittelthüringen 1/2009. S. 8.