Erfurt Bauhaus Nationalversammlung 1919: Unterschied zwischen den Versionen

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= 100 Jahre Bauhaus und Nationalversammlung 2019 =
= 100. Jubiläum Bauhaus und Nationalversammlung 2019 =


'''2019 begeht auch Weimars Nachbarstadt Erfurt aus gutem Grund das Doppeljubiläum der kulturell-politischen Moderne.'''
'''2019 begeht auch Erfurt das Doppeljubiläum der kulturell-politischen Moderne. Die Stadt, in der sich weit mehr Bauhaus-Architektur und moderne Kunst als im benachbarten Weimar findet, hatte sich auch für die Nationalversammlung beworben.'''




[[Datei:WappenWeimarerRepublik.png|200px|right]][[Datei:MDLB.jpg|300px|right]]Vor 99 Jahren, am 12. April 1919, entstand in Weimar aus der Hochschule für bildende Kunst und der Kunstgewerbeschule das „Staatliche Bauhaus in Weimar“. Sein erster Direktor Walter Gropius machte es zur „Wiege der Moderne“, zu einem der wichtigsten Impulsgeber in Architektur, Kunst und Design. Zu den Grundideen zählte die Harmonisierung von Kunst und Handwerk im Geiste der mittelalterlichen Bauhütten sowie eine klare, funktionale Formensprache.
[[Datei:MDLB.jpg|300px|right]]Das Jahr 2019 wird von zwei großen Jubiläen geprägt werden, die den Durchbruch der kulturellen und politischen Moderne in Deutschland verkörpern: die Gründung des Bauhauses und der Weimarer Republik. In Weimar wurde im April 1919 von Walter Gropius das Staatliche Bauhaus aus der Taufe gehoben, das geradezu als „Wiege der Moderne“ in Architektur, Kunst und Design gilt. Die Eröffnung des neuen Bauhaus Museums Weimar in spannungsreicher Nachbarschaft zum Gauforum der NS-Zeit soll einer der Höhepunkte des Jubiläums werden.  
Weimar, Dessau und Berlin bilden die Wirkungsstätten des Bauhauses, das mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 schon wieder schließen musste. Sie markieren Gründungsort, Höhepunkt und letzte Zuflucht. An allen drei Orten soll im kommenden Jahr das 100. Jubiläum der Einrichtung groß gefeiert werden. In Weimar entsteht sogar ein modernes Bauhaus-Museum, das momentan allerdings wegen der umstrittenen Fassadengestaltung und des knappen Zeitplans eher negative Schlagzeilen macht.


Wer nun meinen sollte, dieses bedeutende Jubiläum gehe das benachbarte Erfurt nichts an, der hat weit gefehlt! Zwar bietet Weimar mit dem „Haus am Horn“ und dem Van-de-Velde-Bau zwei internationale Pilgerstätten, aber ansonsten konnte sich das Bauhaus kaum in der beschaulichen Kulturstadt durchsetzen. Die pulsierende Industriegroßstadt Erfurt dagegen erhielt zahlreiche Bauten im neuen Stil. Den Blick hierfür hat besonders der Architekt und Denkmalpfleger Dr. Mark Escherich geschärft. Auch das Stadtmuseum Erfurt widmete sich 2009 in einer großen Sonderausstellung „Außen Quadrat – Innen Biedermeier“ dem Erfurt der Bauhaus-Zeit mit ihren großen Spannungen und Widersprüchen.
Eine entscheidende Voraussetzung für den kulturellen Neuanfang war der Wandel Deutschlands zur Republik nach der Novemberrevolution 1918. Ihren Namen erhielt die erste deutsche Demokratie nach dem Versammlungsort der Deutschen Nationalversammlung. Während in Berlin der Bürgerkrieg tobte, trafen sich ihre Abgeordneten im beschaulichen Ilm-Athen und verabschiedeten am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung. Hieran soll ein neues „Haus der Weimarer Republik“ gegenüber vom Deutschen Nationaltheater erinnern.


Im kommenden Jahr sollte die beachtliche Reformarchitektur in unserer Stadt selbstbewusst herausgestellt werden. Sie sticht besonders bei den ambitionierten Geschäftshäusern und den Wohnungsbauprojekten der Vorstädte aus den „Goldenen Zwanzigern“ hervor. Das Hanseviertel wuchs als herausragendes Beispiel für den sozialen Wohnungsbau im Bauhaus-Stil. Im Innenstadtbereich ragt u.a. die Mitteldeutsche Landesbank am Anger (1929, heute Sparkasse) heraus (Abb.). Diese Bauwerke heben sich gerade am Anger deutlich von den reich geschmückten Fassaden der Gründerzeit ab.
Republik und Bauhaus hatten es freilich von Beginn an im konservativen Weimar schwer. So findet sich neben dem „Haus am Horn“, dem ersten Musterbau von 1923, so gut wie keine Bauhaus-Architektur im Stadtbild. Ganz anders in der pulsierenden Industriegroßstadt Erfurt der 1920er-Jahre. Von den Geschäftshäusern im Zentrum (Abb. Stadtarchiv Erfurt) bis hin zu ganzen Wohnquartieren im Hanseviertel der Ostvorstadt reicht das Kaleidoskop modernen Bauens im neuen schnörkellosen Stil. Im Jubiläumsjahr soll Erfurt als ein Zentrum dieser beachtlichen Reformarchitektur selbstbewusst herausgestellt werden.


Entscheidende Voraussetzung für den kulturellen Neuanfang, für den das Bauhaus steht, war die aus der Novemberrevolution 1918 hervorgegangene Weimarer Republik. Sie entfaltete ein freies und kreatives Kulturleben. Ihren Namen erhielt die erste deutsche Demokratie nach dem Versammlungsort der Deutschen Nationalversammlung. Während in Berlin der Bürgerkrieg tobte, trafen sich ihre Abgeordneten im beschaulichen „Ilm-Athen“ und verabschiedeten am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung.  
Mäzene wie der jüdische Schuhfabrikant Alfred Hess förderten großzügig die Moderne in Architektur und Kunst an der Gera. Seine gastfreie Villa in der heutigen Alfred-Hess-Straße war ebenso Anziehungspunkt vieler Bauhäusler und modernen Künstler, wie das von Hess gesponserte Städtische Museum am Anger, das heutige Angermuseum. Dort konnten die Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze eine der bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus aufbauen.


Kaum jemand weiß noch, dass es stattdessen auch eine Erfurter Republik hätte geben können. Die Stadt bewarb sich wie einige andere als Austragungsort und brachte die Predigerkirche als Versammlungsstätte ins Spiel. Zeitweise in der überregionalen Presse durchaus als ernsthafter Konkurrent Weimars gehandelt, entschied sich die Reichsregierung doch für die ruhigere Goethestadt. Auch an dieses weitgehend vergessene Kapitel unserer Stadtgeschichte sollte man im kommenden Jahr neben den beachtlichen Spuren des Bauhauses und der Erfurter Künstlerin Margaretha Reichardt mit einer Ausstellung erinnern. (Abbildung: Wappen des Deutschen Reiches von 1919, David Liuzzo; Stadtarchiv Erfurt)
Die Stadt wird sich 2019 auch der Kunst- und Gestaltungsschule Bauhaus widmen. Im Angermuseum stehen im Frühjahr vier „Bauhausmädels“ um die berühmte Erfurter Textilgestalterin Margaretha Reichardt im Fokus. Deren Wohnhaus mit originaler Werkstatt in Bischleben zählt zu den bedeutenden Bauhaus-Erinnerungsorten. Der Herbst bringt eine Sonderschau über das Buchprojekt „Bildermagazin der Zeit“ von Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy. Die Kunsthalle präsentiert Werke emanzipierter „Bauhaus Frauen“ unserer Tage. Auch der egapark und viele andere Einrichtungen haben das Jubiläum im Blick, das von der Tourismusgesellschaft eifrig vermarktet wird.


''('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''' in Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 07.04.2018)''
Am politischen Aufbruch in die Moderne hätte Erfurt einst ebenfalls gerne mitgewirkt. Kaum jemand weiß noch, dass es durchaus statt der Weimarer eine Erfurter Republik hätte geben können. Die Stadt bewarb sich Ende 1918 wie einige andere als Austragungsort der Nationalversammlung und brachte die Predigerkirche als Versammlungsstätte ins Spiel. Zeitweise in der überregionalen Presse durchaus als ernsthafter Konkurrent Weimars gehandelt, entschied sich die Reichsregierung unter Friedrich Ebert doch für die ruhigere Goethestadt. An dieses weitgehend vergessene Kapitel unserer Geschichte soll im kommenden Jahr im Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“ erinnert werden.  


''('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''' in Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 03.01.2019)''


Lesetipps:


Steffen Raßloff: '''[[Weimarer Republik|Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik]]'''. Erfurt 2008.
'''Lesetipps:'''
 
Steffen Raßloff: '''[[Erfurt Weimarer Republik Rassloff|Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik]]'''. Erfurt 2008.


Steffen Raßloff: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt Rassloff|Geschichte der Stadt Erfurt]]'''. Erfurt 2012 (4. Auflage 2016).  
Steffen Raßloff: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt Rassloff|Geschichte der Stadt Erfurt]]'''. Erfurt 2012 (4. Auflage 2016).  




Siehe auch: '''[[Bauhaus Erfurt|Bauhaus in Erfurt]]''', '''[[Weimarer Republik]]''', '''[[Aussen_Quadrat_-_Innen_Biedermeier_Grossstadt_Erfurt_1918_bis_1933|Ausstellung Bauhaus/Weimarer Republik 2009]]''', '''[[Bauhausjubiläum_2009|Bauhaus-Jubiläum 2009]]''', '''[[Bauhaus_Denkmal_Sparkasse_Anger|Sparkasse Anger]]''', '''[[Margaretha Reichardt]]''', '''[[Erfurter_Republik|Bewerbung Nationalversammlung 1919]]'''
'''>''' '''[[Deutsche Nationalversammlung Weimar 1919|Nationalversammlung]]''', '''[[Erfurter_Republik|Erfurts Bewerbung um die NV]]''', '''[[Bauhaus Weimar|Bauhaus]]''', '''[[Bauhaus Erfurt|Bauhaus in Erfurt]]''', '''[[Weimarer Republik|Erfurt in der Weimarer Republik]]'''
 
'''> [https://www.erfurt.de/ef/de/erleben/veranstaltungen/ast/2019/km_131286.html Vier "Bauhausmädels"]''' (Ausstellung im Angermuseum, 23.03.2019–16.06.2019)
 
'''> [https://www.radio-frei.de/index.php?iid=7&ksubmit_show=Artikel&kartikel_id=7350 Gespräch mit Dr. Steffen Raßloff bei Radio FREI zum Jubiläumsjahr 2019]''' (14.01.2019)

Version vom 26. Mai 2019, 07:19 Uhr

100. Jubiläum Bauhaus und Nationalversammlung 2019

2019 begeht auch Erfurt das Doppeljubiläum der kulturell-politischen Moderne. Die Stadt, in der sich weit mehr Bauhaus-Architektur und moderne Kunst als im benachbarten Weimar findet, hatte sich auch für die Nationalversammlung beworben.


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Das Jahr 2019 wird von zwei großen Jubiläen geprägt werden, die den Durchbruch der kulturellen und politischen Moderne in Deutschland verkörpern: die Gründung des Bauhauses und der Weimarer Republik. In Weimar wurde im April 1919 von Walter Gropius das Staatliche Bauhaus aus der Taufe gehoben, das geradezu als „Wiege der Moderne“ in Architektur, Kunst und Design gilt. Die Eröffnung des neuen Bauhaus Museums Weimar in spannungsreicher Nachbarschaft zum Gauforum der NS-Zeit soll einer der Höhepunkte des Jubiläums werden.

Eine entscheidende Voraussetzung für den kulturellen Neuanfang war der Wandel Deutschlands zur Republik nach der Novemberrevolution 1918. Ihren Namen erhielt die erste deutsche Demokratie nach dem Versammlungsort der Deutschen Nationalversammlung. Während in Berlin der Bürgerkrieg tobte, trafen sich ihre Abgeordneten im beschaulichen Ilm-Athen und verabschiedeten am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung. Hieran soll ein neues „Haus der Weimarer Republik“ gegenüber vom Deutschen Nationaltheater erinnern.

Republik und Bauhaus hatten es freilich von Beginn an im konservativen Weimar schwer. So findet sich neben dem „Haus am Horn“, dem ersten Musterbau von 1923, so gut wie keine Bauhaus-Architektur im Stadtbild. Ganz anders in der pulsierenden Industriegroßstadt Erfurt der 1920er-Jahre. Von den Geschäftshäusern im Zentrum (Abb. Stadtarchiv Erfurt) bis hin zu ganzen Wohnquartieren im Hanseviertel der Ostvorstadt reicht das Kaleidoskop modernen Bauens im neuen schnörkellosen Stil. Im Jubiläumsjahr soll Erfurt als ein Zentrum dieser beachtlichen Reformarchitektur selbstbewusst herausgestellt werden.

Mäzene wie der jüdische Schuhfabrikant Alfred Hess förderten großzügig die Moderne in Architektur und Kunst an der Gera. Seine gastfreie Villa in der heutigen Alfred-Hess-Straße war ebenso Anziehungspunkt vieler Bauhäusler und modernen Künstler, wie das von Hess gesponserte Städtische Museum am Anger, das heutige Angermuseum. Dort konnten die Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze eine der bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus aufbauen.

Die Stadt wird sich 2019 auch der Kunst- und Gestaltungsschule Bauhaus widmen. Im Angermuseum stehen im Frühjahr vier „Bauhausmädels“ um die berühmte Erfurter Textilgestalterin Margaretha Reichardt im Fokus. Deren Wohnhaus mit originaler Werkstatt in Bischleben zählt zu den bedeutenden Bauhaus-Erinnerungsorten. Der Herbst bringt eine Sonderschau über das Buchprojekt „Bildermagazin der Zeit“ von Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy. Die Kunsthalle präsentiert Werke emanzipierter „Bauhaus Frauen“ unserer Tage. Auch der egapark und viele andere Einrichtungen haben das Jubiläum im Blick, das von der Tourismusgesellschaft eifrig vermarktet wird.

Am politischen Aufbruch in die Moderne hätte Erfurt einst ebenfalls gerne mitgewirkt. Kaum jemand weiß noch, dass es durchaus statt der Weimarer eine Erfurter Republik hätte geben können. Die Stadt bewarb sich Ende 1918 wie einige andere als Austragungsort der Nationalversammlung und brachte die Predigerkirche als Versammlungsstätte ins Spiel. Zeitweise in der überregionalen Presse durchaus als ernsthafter Konkurrent Weimars gehandelt, entschied sich die Reichsregierung unter Friedrich Ebert doch für die ruhigere Goethestadt. An dieses weitgehend vergessene Kapitel unserer Geschichte soll im kommenden Jahr im Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“ erinnert werden.

(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 03.01.2019)


Lesetipps:

Steffen Raßloff: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik. Erfurt 2008.

Steffen Raßloff: Geschichte der Stadt Erfurt. Erfurt 2012 (4. Auflage 2016).


> Nationalversammlung, Erfurts Bewerbung um die NV, Bauhaus, Bauhaus in Erfurt, Erfurt in der Weimarer Republik

> Vier "Bauhausmädels" (Ausstellung im Angermuseum, 23.03.2019–16.06.2019)

> Gespräch mit Dr. Steffen Raßloff bei Radio FREI zum Jubiläumsjahr 2019 (14.01.2019)