Bismarckturm Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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= Bismarckturm =


'''Beitrag der Serie [[Denkmale in Erfurt|Denkmale in Erfurt]] aus der Thüringer Allgemeine von [[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]] (08.10.2011)'''


Etwa 170 von 238 Bismarcktürmen (inkl. neu entdeckter Bismarcktürme) stehen heute noch in Deutschland, Österreich, Frankreich, Tschechien, Russland, Polen und Chile in Erinnerung an [[Bismarck|Otto von Bismarck]]. Einer davon in Erfurt "Am Tannenwäldchen". Einst ein beliebter Ausflugsort und Aussichtspunkt, war er zum Zeitpunkt der politischen Wende in Deutschland in einem bedauerlichen optischen und vor allem baulichen Zustand.


1990 erfolgte die Rückbenennung in Bismarckturm. Im Jahre 2000 begann die Rekonstruktion des Turmes und die Rekultivierung des umliegenden Geländes. Seit 2002 ist der Bismarckturm geöffnet an Samstagen, Sonn- und Feiertagen. 2002 wurde der Turmfuss saniert. Die Sanierung des Turmkopfes ist geplant.
'''Dem Gewaltigsten zum Gedächtnis'''


== Bismarckturm und Erfurt ==
DENKMALE IN ERFURT (14): Der Bismarckturm im Steiger ehrt die nationale Symbolfigur der Kaiserzeit. Sie bedarf heute einer differenzierten Erinnerungskultur.


Die Erinnerung an den jungen Erfurter Unionsparlamentarier Otto von Bismarck (1815-1898) gestaltete sich in der Stadt, in der 1850 die Verfassung für einen preußisch-kleindeutschen Bundesstaat ("Union") aus der Taufe gehoben werden sollte, lange Zeit schwierig. Einerseits wollte man mit der mehrwöchigen Anwesenheit des späteren "Reichgründers" von 1871 der Stadt zusätzliche historische Bedeutung verleihen. Andererseits rückte das rasch gescheiterte Erfurter Unionsprojekt als solches nie in den positiven Traditionsbestand der Stadt auf. Ganz in diesem Sinne verwies der "Erfurter Allgemeine Anzeiger" (EAA) zum 50. Jubiläum im Jahre 1900 darauf, dass zwar "für den Lokalpatrioten [...] der 20. März 1850 nichtdestoweniger ein Gedenktag von mehr als lokaler Bedeutung" sei; aber der "Anzeiger" fügte im selben Atemzug hinzu, dass erst "die Thaten Bismarcks zu Wege gebracht [haben], was 20 Jahre vorher in langen Berathungen vergeblich erstrebt wurde". Das eigentlich Bedeutsame am Unionsparlament von 1850 war also, "daß der nachmalige Einiger des Deutschen Reiches, der spätere Fürst Bismarck, [...] in unserer Stadt weilte". Denn auch das Erfurter Bürgertum hing um die Jahrhundertwende einem oft überschwänglichen Nationalismus an, in dem der "Bismarck-Mythos", der Mythos vom "Eisernen Kanzler" eine zentrale Rolle spielte. Sichtbarster Ausdruck dessen sollte wie vielerorts der 1901 errichtete Bismarckturm in Steiger werden.


Nach dem Aufruf der Deutschen Studentenschaft von 1898, zur Würdigung des verstorbenen Altkanzlers "Bismarcksäulen" zu errichten, hatten sich 1899 Studenten der Universität Halle an die Erfurter "Bismarck-Gemeinde" gewandt. Auf deren Initiative wurde der Entschluss gefasst, eine "Bismarck-Säule" zu errichten. Als Standort entschied man sich für die nunmehrige "Bismarck-Höhe" am Steigerrand; am 23. März 1900 erfolgte die Gründung eines "Bismarcksäulen-Vereins". Unterzeichnet von Oberbürgermeister Hermann Schmidt und zahlreichen weiteren Honoratioren, forderte ein Aufruf zu Spenden für "das herrliche Werk" auf: "Ein erhabener Gedanke, würdig derer, die ihn ersonnen, der studierenden Jugend, hat in unserer Stadt die freudigste Aufnahme gefunden. In allen Gauen des Vaterlandes sollen auf ragender Höhe granitene Säulen zum Himmel streben, dem Gewaltigsten zum Gedächtnis, dem Größten aller Großen einer großen Zeit, Otto von Bismarck. Alljährlich zu gemeinsamer Stunde sollen von diesen Bismarcksäulen lodernde Feuer in die Nacht hinein leuchten und von Berg zu Berg in Flammenzeichen es verkünden: ´Das deutsche Volk hat seinen großen Kanzler nicht vergessen´."
[[Datei:BismarckturmErfurt.jpg|320px|right]]Den monumentalsten unter mehreren Erinnerungsorten an den „Reichsgründer“ und „Eisernen Kanzler“ Otto von Bismarck (1815-1898) stellt der 1901 errichtete Bismarckturm im Steiger dar. Noch im Todesjahr 1898 hatte die Deutsche Studentenschaft dazu aufgerufen, überall im Lande „Bismarcksäulen“ zu errichten. Sie sollten zu besonderen Anlässen mit großen Leuchtfeuern alle Gebiete des Reiches miteinander verbinden. Am 23. März 1900 wurde auch in Erfurt ein „Bismarcksäulen-Verein“ gegründet. Unterzeichnet von Oberbürgermeister Hermann Schmidt und zahlreichen Honoratioren verkündete ein Aufruf: „In allen Gauen des Vaterlandes sollen auf ragender Höhe granitene Säulen zum Himmel streben, dem Gewaltigsten zum Gedächtnis, dem Größten aller Großen einer großen Zeit, Otto von Bismarck.


Und der Aufruf hatte Erfolg: Die 35.450 Mark Baukosten konnten durch 621 Spender rasch aufgebracht werden. Allein die gutbürgerliche Bismarck-Gemeinde steuerte rund 10.000 Mark bei, der spätere Betreiber des Ausflugslokals "Bismarckhöhe" 5.000, der führende Bankier Stürcke 800, der Textilunternehmer Lucius 600 Mark; hinzu kam eine Reihe von Kleinspendern. Auf dieser soliden Grundlage konnte schon am 27. April 1901 der Grundstein für den nach Entwürfen des Dresdner Erfolgsarchitekten Wilhelm Kreis zu errichtenden Turm gelegt werden. Nur vier Monate später übergab Maurermeister Carl Haddenbrock das Bauwerk an den Verein. So konnte pünktlich am 1. September 1901, dem Vorabend des alljährlichen "Sedantages", die Einweihungsfeier in wilhelminischem Stil stattfinden.
Dank Spenden aus der überwiegend national gesinnten Bürgerschaft konnte schon am 1. September 1901 die Einweihungsfeier am heutigen „Tannenwäldchen“ stattfinden. Der durch Maurermeister Carl Haddenbrock errichtete 22 Meter hohe begehbare Turm folgte dem meistgebauten Modell „Götterdämmerung“ von Architekt Wilhelm Kreis. Er war nur mit einer Feuerschale und dem Familienwappen Bismarcks auf einem Reichsadler versehen. So sollte der Kalksteinbau deutsch-germanische Wehrhaftigkeit und Eintracht ausdrücken. Hinzu kam ein Eichenhain. In Erfurt stand der Turm sogar gewissermaßen auf „geheiligtem Boden“, hatten doch Spaziergänge den jungen Unionsparlamentarier Bismarck 1850 auch in den Steiger geführt.  


Der 22 Meter hohe begehbare Turm folgte dem von der Studentenschaft bevorzugten und meistgebauten Modell "Götterdämmerung". Nur mit einer Feuerschale und dem Familienwappen Bismarcks auf einem Reichsadler versehen, sollte der zyklopenhafte Kalksteinbau deutsch-germanische Wehrhaftigkeit und Eintracht ausdrücken. Nicht nur wegen der regelmäßigen "Bismarckfeuer" bewusst abseits des städtischen Treibens "auf ragender waldumrauschter Höhe" (EAA) errichtet, war ihm eine größere Weihe eigen, die zusätzlich durch die Anpflanzung eines Eichenhaines u.ä. erhöht wurde. Die reizvolle Lage des Aussichtsturmes, der schon ein Jahr nach seiner Errichtung durch eine Gastwirtschaft (heute Hotel und Restaurant "Am Bismarckturm") zusätzliche Anziehungskraft erlangte, trug zu dessen Popularität bei. Sein Charakter als rein architektonisches Denkmal begünstigte zudem das ideelle "Funktionieren" des nationalen Monumentes, das im Vergleich etwa mit dem Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (1900) am Kaiserplatz (Karl-Marx-Platz) eine sehr viel größere Offenheit besaß.
In der DDR-Zeit fiel Bismarck als historische Persönlichkeit in Ungnade. Das Denkmal wurde vernachlässigt, entging aber als „Friedensturm“ zumindest der Zerstörung. Heute bemüht sich der 1999 gegründete „Bismarckturm-Verein Erfurt 1900 e.V.“ um seine Erhaltung. Große Sanierungsanstrengungen haben den Turm gesichert, in dessen Nachbarschaft sich seit 1902 das Restaurant  „Zum Bismarckturm“ großer Beliebtheit erfreut. Allerdings hat der Bismarckturm-Verein vor einiger Zeit auch negative Schlagzeilen durch Verbindungen zur rechtsextremen Szene gemacht (TA berichtete). Er wurde zum Ziel von vielfältigen Versuchen, durch die Unterwanderung gutbürgerlicher Traditionsvereine weit in die Gesellschaft hinein zu wirken. So stand der Erfurter NPD-Funktionär Kai-Uwe Trinkaus 2006/07 sogar an der Spitze des Vereins. Dies trägt nicht dazu bei, in differenzierter Weise an den großen Staatsmann Bismarck und seine Verbindungen zu Erfurt zu erinnern. Weder der Rückfall in nationalistische Verherrlichung, noch die Verdammung des „reaktionären Junkers“ wie zu DDR-Zeiten werden dem gerecht.


Wenn er auch auf "geheiligtem Boden" errichtet wurde - Entspannungsspaziergänge im Steiger hatten den Parlamentarier Bismarck 1850 auch am damaligen "Birkenwäldchen" (heute "Am Tannenwäldchen") vorbeigeführt -, steht der Bismarckturm gleich seinen einst ca. 230 Artgenossen dennoch für eine nicht nur im architektonischen Sinne "standardisierte" nationale Erinnerungskultur, die trotz aller Umbrüche bis 1945 im Kern bestand hatte. In der DDR-Zeit wurde das ideologisch nunmehr unbrauchbare Denkmal vernachlässigt, entging aber zumindest als "Friedensturm" dem Schicksal einer völligen Beseitigung.


Heute bemüht sich ein 1999 gegründeter "Bismarckturm-Verein Erfurt 1900 e.V." um die Sanierung des Bauwerks, das seit dem festlich begangenen 100-jährigen Jubiläum im Jahre 2001 wieder begehbar ist. So möge der Erfurter Bismarckturm erneut zum lebendigen Erinnerungsort für den "Reichsgründer" und dessen Beziehungen zu Erfurt werden - freilich auf der Grundlage eines differenzierten, zeitgemäßen Bismarckbildes jenseits einstiger Heroisierung oder Dämonisierung.
Literaturtipp:


Text: '''[[SteffenRassloff|Steffen Raßloff]]: Denkmale in Erfurt. Der Bismarckturm.''' In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 23 (2004). S. 17.
'''Steffen Raßloff: [[100 Denkmale in Erfurt|100 Denkmale in Erfurt. Geschichte und Geschichten]].''' Mit Fotografien von Sascha Fromm (Thüringen Bibliothek. Bd. 11). Essen 2013.


== Literatur ==
'''Steffen Raßloff: Bismarck und Erfurt. Vom konservativen Unionsparlamentarier zur nationalen Symbolfigur.''' In: Greiling, Werner/Hans, Hans-Werner: Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive. Weimar/Jena 2003. S. 115-133.


'''Ruth Menzel/Steffen Raßloff: [[Denkmale in Erfurt]].''' Erfurt 2006.


'''[[SteffenRassloff|Steffen Raßloff]]: Bismarck und Erfurt. Vom konservativen Unionsparlamentarier zur nationalen Symbolfigur.''' In: Greiling, Werner/Hans, Hans-Werner: Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive. Weimar/Jena 2003. S. 115-133.
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Geschichte Bismarckturm Erfurt|Geschichte des Bismarckturms]]''',  '''[[Bismarck|Bismarck und Erfurt]]''', '''[[Bismarckdenkmal_Anger_Erfurt|Bismarckstatue am Anger]]''', '''[[Flucht in die nationale Volksgemeinschaft|Erfurter Bürgertum]]'''

Version vom 15. Dezember 2019, 09:55 Uhr

Bismarckturm

Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (08.10.2011)


Dem Gewaltigsten zum Gedächtnis

DENKMALE IN ERFURT (14): Der Bismarckturm im Steiger ehrt die nationale Symbolfigur der Kaiserzeit. Sie bedarf heute einer differenzierten Erinnerungskultur.


BismarckturmErfurt.jpg

Den monumentalsten unter mehreren Erinnerungsorten an den „Reichsgründer“ und „Eisernen Kanzler“ Otto von Bismarck (1815-1898) stellt der 1901 errichtete Bismarckturm im Steiger dar. Noch im Todesjahr 1898 hatte die Deutsche Studentenschaft dazu aufgerufen, überall im Lande „Bismarcksäulen“ zu errichten. Sie sollten zu besonderen Anlässen mit großen Leuchtfeuern alle Gebiete des Reiches miteinander verbinden. Am 23. März 1900 wurde auch in Erfurt ein „Bismarcksäulen-Verein“ gegründet. Unterzeichnet von Oberbürgermeister Hermann Schmidt und zahlreichen Honoratioren verkündete ein Aufruf: „In allen Gauen des Vaterlandes sollen auf ragender Höhe granitene Säulen zum Himmel streben, dem Gewaltigsten zum Gedächtnis, dem Größten aller Großen einer großen Zeit, Otto von Bismarck.“

Dank Spenden aus der überwiegend national gesinnten Bürgerschaft konnte schon am 1. September 1901 die Einweihungsfeier am heutigen „Tannenwäldchen“ stattfinden. Der durch Maurermeister Carl Haddenbrock errichtete 22 Meter hohe begehbare Turm folgte dem meistgebauten Modell „Götterdämmerung“ von Architekt Wilhelm Kreis. Er war nur mit einer Feuerschale und dem Familienwappen Bismarcks auf einem Reichsadler versehen. So sollte der Kalksteinbau deutsch-germanische Wehrhaftigkeit und Eintracht ausdrücken. Hinzu kam ein Eichenhain. In Erfurt stand der Turm sogar gewissermaßen auf „geheiligtem Boden“, hatten doch Spaziergänge den jungen Unionsparlamentarier Bismarck 1850 auch in den Steiger geführt.

In der DDR-Zeit fiel Bismarck als historische Persönlichkeit in Ungnade. Das Denkmal wurde vernachlässigt, entging aber als „Friedensturm“ zumindest der Zerstörung. Heute bemüht sich der 1999 gegründete „Bismarckturm-Verein Erfurt 1900 e.V.“ um seine Erhaltung. Große Sanierungsanstrengungen haben den Turm gesichert, in dessen Nachbarschaft sich seit 1902 das Restaurant „Zum Bismarckturm“ großer Beliebtheit erfreut. Allerdings hat der Bismarckturm-Verein vor einiger Zeit auch negative Schlagzeilen durch Verbindungen zur rechtsextremen Szene gemacht (TA berichtete). Er wurde zum Ziel von vielfältigen Versuchen, durch die Unterwanderung gutbürgerlicher Traditionsvereine weit in die Gesellschaft hinein zu wirken. So stand der Erfurter NPD-Funktionär Kai-Uwe Trinkaus 2006/07 sogar an der Spitze des Vereins. Dies trägt nicht dazu bei, in differenzierter Weise an den großen Staatsmann Bismarck und seine Verbindungen zu Erfurt zu erinnern. Weder der Rückfall in nationalistische Verherrlichung, noch die Verdammung des „reaktionären Junkers“ wie zu DDR-Zeiten werden dem gerecht.


Literaturtipp:

Steffen Raßloff: 100 Denkmale in Erfurt. Geschichte und Geschichten. Mit Fotografien von Sascha Fromm (Thüringen Bibliothek. Bd. 11). Essen 2013.

Steffen Raßloff: Bismarck und Erfurt. Vom konservativen Unionsparlamentarier zur nationalen Symbolfigur. In: Greiling, Werner/Hans, Hans-Werner: Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive. Weimar/Jena 2003. S. 115-133.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Geschichte des Bismarckturms, Bismarck und Erfurt, Bismarckstatue am Anger, Erfurter Bürgertum