Belagerung Erfurt 1813/14: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Am 6. November 1813 wurden durch Beschießung der Stadt das Peterskloster und ein Stadtviertel auf dem Domplatz zerstört. Während der Belagerung fanden rund 5000 Menschen den Tod.'''
[[Datei:Palmowski.jpg|280px|right]]Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 gehört zu den blutigsten Schlachten der Weltgeschichte, die zugleich das Ende einer ganzen Ära einleitete. Die Zeit der französischen Fremdherrschaft ging ihrem Ende entgegen, als Napoleon geschlagen vom Schlachtfeld flüchten musste. Der Stadt Erfurt sollte allerdings der schlimmste Abschnitt der „Franzosenzeit“ erst noch bevor stehen. Seit 1806 französisch besetzt, hatte sich Napoleon Erfurt 1807 als „kaiserliche Domäne“ direkt unterstellt. In der Festungsstadt mit den Zitadellen Petersberg und Cyriaksburg waren seither tausende französische Soldaten stationiert, die nun den Rückzug Napoleons decken sollten. Der Kaiser gab auf seiner fluchtartigen Reise Richtung Paris vom 23. bis 25. Oktober in Erfurt noch einmal Anweisungen zur Verteidigung der Stadt.
Nur einen Tag später begann die Belagerung durch preußische Truppen unter dem Befehl des Generals von Kleist. Die folgenden Monate bis zum Abzug der Franzosen aus der Stadt im Januar und endgültig auch aus den Zitadellen im Mai 1814 brachten unbeschreibliches Elend durch Hunger und eine Fleckfieber-Epidemie. Bis zu 4000 Soldaten erlagen Krankheit und Verwundungen, während 771 Erfurter allein dem Fleckfieber zum Opfer fielen. Dieser Anzahl an Toten waren die Friedhöfe nicht gewachsen, so dass man besonders die Soldaten in Massengräbern verscharrte oder sie in Kellergewölbe warf. Noch in den letzten Jahren wurden solche „Gräber“ bei archäologischen Untersuchungen gefunden.
Der zeitgenössische Chronist Constantin Beyer hat das alltägliche Grauen plastisch festgehalten: „Die Krankheiten nehmen jetzt einen erdenklich pestartigen Charakter an. Das ganze Haus des Zeugschmieds Wagner vor den Graden ist ausgestorben. In den Hospitälern liegen jetzt eine solche Menge tote Soldaten, dass man gar nicht mehr weiß, wo man mit ihnen hin soll. Niemand will sie wegfahren und so kommt es, dass jetzt im Martinshospital mehr als hundert Kadaver schon 9 Tage liegen, die wegen dem pestilenzialischen Gestanke, den sie verbreiten, niemand wegtransportieren will. Manche sind von Fäulnis schon so sehr aufgelöst, dass wenn man sie angreift, einem Arme und Beine in den Händen bleiben.“
Zum nachhaltigsten Einschnitt sollte es jedoch am 6. November 1813 kommen. Da die Franzosen nicht kapitulierten, begann im Morgengrauen die Bombardierung der Stadt mit ca. 2500 Granaten. Bis in die Abendstunden schossen die preußischen, österreichischen und russischen Batterien von Anhöhen am Steiger, an der Schwedenschanze und bei Marbach. Hauptziel war der Petersberg. Am Abend standen große Teile der Festung in Brand, wobei der Verlust des Petersklosters kulturgeschichtlich am schwersten wog. Als größter „Kollateralschaden“ in der Stadt brannte ein Wohnviertel auf dem Gebiet des heutigen nördlichen Domplatzes ab, der erst seither seine ungewöhnliche Ausdehnung aufweist. 
Auf jenes dramatische Kapitel unserer Stadtgeschichte vor 200 Jahren weist die aktuelle Sonderausstellung im Stadtmuseum „Die Belagerung von Erfurt 1813 - 1814“ hin. Neben Kuratorin Gudrun Noll-Reinhardt hat der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Frank Palmowski diese Ausstellung mit erarbeitet. Von ihm stammt auch das reich bebilderte Begleitbuch. Heraus ragt die detaillierte Rekonstruktion des zerstörten Domplatzviertels, die auch in der Ausstellung als begehbare Karte auf den Fußboden zu sehen ist.
''('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''' am 06.11.2013 in der Thüringer Allgemeine)''


[[Datei:Palmowski.jpg|280px|right]]Zwischen Oktober 1813 und Januar 1814 belagerten alliierte Truppen aus Preußen, Russland und Österreich das französisch besetzte Erfurt 73 Tage lang. Danach teilte 130 Tage eine streng bewachte Grenze die Stadt. Sie verlief vom Andreastor quer über den Domplatz durch das Brühl bis zum Brühler Tor. Die Stadt war preußisch, aber Petersberg, Cyriaksburg und Domberg befanden sich noch bis Mai 1814 in der Hand der napoleonischen Armee.
[[Datei:Palmowski.jpg|280px|right]]Zwischen Oktober 1813 und Januar 1814 belagerten alliierte Truppen aus Preußen, Russland und Österreich das französisch besetzte Erfurt 73 Tage lang. Danach teilte 130 Tage eine streng bewachte Grenze die Stadt. Sie verlief vom Andreastor quer über den Domplatz durch das Brühl bis zum Brühler Tor. Die Stadt war preußisch, aber Petersberg, Cyriaksburg und Domberg befanden sich noch bis Mai 1814 in der Hand der napoleonischen Armee.

Version vom 6. November 2013, 07:40 Uhr

Die Belagerung von Erfurt 1813/14

Am 6. November 1813 wurden durch Beschießung der Stadt das Peterskloster und ein Stadtviertel auf dem Domplatz zerstört. Während der Belagerung fanden rund 5000 Menschen den Tod.


Palmowski.jpg

Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 gehört zu den blutigsten Schlachten der Weltgeschichte, die zugleich das Ende einer ganzen Ära einleitete. Die Zeit der französischen Fremdherrschaft ging ihrem Ende entgegen, als Napoleon geschlagen vom Schlachtfeld flüchten musste. Der Stadt Erfurt sollte allerdings der schlimmste Abschnitt der „Franzosenzeit“ erst noch bevor stehen. Seit 1806 französisch besetzt, hatte sich Napoleon Erfurt 1807 als „kaiserliche Domäne“ direkt unterstellt. In der Festungsstadt mit den Zitadellen Petersberg und Cyriaksburg waren seither tausende französische Soldaten stationiert, die nun den Rückzug Napoleons decken sollten. Der Kaiser gab auf seiner fluchtartigen Reise Richtung Paris vom 23. bis 25. Oktober in Erfurt noch einmal Anweisungen zur Verteidigung der Stadt.

Nur einen Tag später begann die Belagerung durch preußische Truppen unter dem Befehl des Generals von Kleist. Die folgenden Monate bis zum Abzug der Franzosen aus der Stadt im Januar und endgültig auch aus den Zitadellen im Mai 1814 brachten unbeschreibliches Elend durch Hunger und eine Fleckfieber-Epidemie. Bis zu 4000 Soldaten erlagen Krankheit und Verwundungen, während 771 Erfurter allein dem Fleckfieber zum Opfer fielen. Dieser Anzahl an Toten waren die Friedhöfe nicht gewachsen, so dass man besonders die Soldaten in Massengräbern verscharrte oder sie in Kellergewölbe warf. Noch in den letzten Jahren wurden solche „Gräber“ bei archäologischen Untersuchungen gefunden.

Der zeitgenössische Chronist Constantin Beyer hat das alltägliche Grauen plastisch festgehalten: „Die Krankheiten nehmen jetzt einen erdenklich pestartigen Charakter an. Das ganze Haus des Zeugschmieds Wagner vor den Graden ist ausgestorben. In den Hospitälern liegen jetzt eine solche Menge tote Soldaten, dass man gar nicht mehr weiß, wo man mit ihnen hin soll. Niemand will sie wegfahren und so kommt es, dass jetzt im Martinshospital mehr als hundert Kadaver schon 9 Tage liegen, die wegen dem pestilenzialischen Gestanke, den sie verbreiten, niemand wegtransportieren will. Manche sind von Fäulnis schon so sehr aufgelöst, dass wenn man sie angreift, einem Arme und Beine in den Händen bleiben.“

Zum nachhaltigsten Einschnitt sollte es jedoch am 6. November 1813 kommen. Da die Franzosen nicht kapitulierten, begann im Morgengrauen die Bombardierung der Stadt mit ca. 2500 Granaten. Bis in die Abendstunden schossen die preußischen, österreichischen und russischen Batterien von Anhöhen am Steiger, an der Schwedenschanze und bei Marbach. Hauptziel war der Petersberg. Am Abend standen große Teile der Festung in Brand, wobei der Verlust des Petersklosters kulturgeschichtlich am schwersten wog. Als größter „Kollateralschaden“ in der Stadt brannte ein Wohnviertel auf dem Gebiet des heutigen nördlichen Domplatzes ab, der erst seither seine ungewöhnliche Ausdehnung aufweist.

Auf jenes dramatische Kapitel unserer Stadtgeschichte vor 200 Jahren weist die aktuelle Sonderausstellung im Stadtmuseum „Die Belagerung von Erfurt 1813 - 1814“ hin. Neben Kuratorin Gudrun Noll-Reinhardt hat der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Frank Palmowski diese Ausstellung mit erarbeitet. Von ihm stammt auch das reich bebilderte Begleitbuch. Heraus ragt die detaillierte Rekonstruktion des zerstörten Domplatzviertels, die auch in der Ausstellung als begehbare Karte auf den Fußboden zu sehen ist.

(Dr. Steffen Raßloff am 06.11.2013 in der Thüringer Allgemeine)


Palmowski.jpg

Zwischen Oktober 1813 und Januar 1814 belagerten alliierte Truppen aus Preußen, Russland und Österreich das französisch besetzte Erfurt 73 Tage lang. Danach teilte 130 Tage eine streng bewachte Grenze die Stadt. Sie verlief vom Andreastor quer über den Domplatz durch das Brühl bis zum Brühler Tor. Die Stadt war preußisch, aber Petersberg, Cyriaksburg und Domberg befanden sich noch bis Mai 1814 in der Hand der napoleonischen Armee.

Noch 200 Jahre später lassen sich in Erfurt an vielen Stellen Spuren dieser Ereignisse entdecken. So wurden ein Münzschatz und Uniformteile, aber auch Überreste gestorbener Soldaten gefunden. 2004 setzte man 120 namenlose tote französische Soldaten, die während der Belagerung im Brühl verscharrt worden waren, mit militärischen Ehren auf dem Hauptfriedhof bei. Tausende Einwohner und Soldaten starben damals vor allem durch Krankheiten.

Frank Palmowski, der an vielen Grabungen selbst beteiligt war, hat in jahrelanger Arbeit Archivdokumente und Überreste der Belagerung zusammengestellt. Rund 130 größtenteils farbige Abbildungen geben bislang unbekannte Einblicke in das Stadtbild Erfurts vor 200 Jahren.

Dieses Buch erinnert nicht nur an die Schrecken der Belagerung, bei der ein ganzes Stadtviertel zerstört wurde, sondern schließt auch eine Lücke in der Stadtgeschichte. Zugleich dient es als Begleitbuch einer entsprechenden Sonderausstellung im Stadtmuseum Erfurt vom 8. Septmber 2013 bis 28. September 2014.


Frank Palmowski: Die Belagerung von Erfurt. Ihre Spuren 1813 bis 2013. Erfurt 2013.

(Das Buch ist beim Förderverein Stadtmuseum Erfurt für 19,95 EUR erhältlich.)