Bösenberg Brunnen Jacobsenviertel
Bösenberg Brunnen im Jacobsenviertel
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (21.07.2012)
Denkmal des Neuen Bauens
DENKMALE IN ERFURT (55): Ein Brunnen im Jacobsenviertel am Nordbahnhof würdigt den Bauherrn Hermann H. Bösenberg, einen der Wegbereiter des Neuen Bauens der 1920er Jahre.
In Weimar schlug 1919 die Geburtsstunde des Bauhauses, womit die klassische Moderne der Architektur das Licht der Welt erblickte. Obwohl sie schon 1925 auf Druck nicht zuletzt der Weimarer Bürger nach Dessau umziehen musste, sonnt sich die Goethestadt bis heute im Glanze dieser avantgardistischen Schule. Das Haus am Horn und der Van-de-Velde-Bau der Bauhausuniversität gelten als Pilgerstätten. Sieht man sich aber darüber hinaus in Weimar um, so findet man kaum markante Bauwerke im Bauhaus-Stil. In Erfurt dagegen konnte sich die moderne Architektur der Weimarer Republik mit ihrer klaren, schmucklosen Formensprache nachdrücklich im Stadtbild verewigen. Die Reformarchitektur sticht besonders bei den Geschäftshäusern und Wohnungsbauprojekten der Vorstädte hervor.
Als Musterbeispiel werden häufig die Quartiere im Hanseviertel der Ostvorstadt genannt. Doch auch im hohen Norden kam die moderne Architektur zum Zuge. Zwischen 1926 und 1928 baute die Wohngemeinschaft Erfurt im Quartier Hohenwinden-, Salinen-, Gruben- und Barkhausenstraße eine Wohnanlage exemplarischen Zuschnitts. Die vom Hamburger Kaufmann und Unternehmer Hermann H. Bösenberg gegründete GmbH schuf damit nach Entwürfen des Architekten Otto Jacobsen das „größte zusammenhängende Projekt des Geschoßwohnungsbaus zur Zeit der Weimarer Republik in Erfurt“, so der Denkmalpfleger Mark Escherich. Rund 300 Wohnungen fanden hier Platz. Vor wenigen Jahren konnte das von der KOWO schon dem Abriss geweihte Jacobsenviertel am Nordbahnhof auf Initiative engagierter Bürger durch einen privaten Investor saniert werden.
In einem der vier Innenhöfe entstand 1926 als Würdigung des Bauherrn Bösenberg ein steinerner Laufbrunnen. Dessen „strenger kubischer Aufbau, bestehend aus einem mittigen, kantig gestuften Schaft mit Wasserspendern und Oktaederkrone sowie zwei konisch geformten Becken“, kann laut Kunsthistorikerin Ruth Menzel als Reflex auf die klare Formgebung des Neuen Bauens der 1920er Jahre verstanden werden. Ehe sich Jacobsen um 1926 in Erfurt niederließ, war er Mitarbeiter des Hamburger Stadtbaudirektors Fritz Schumacher. Gemeinsam mit Bösenberg verwirklichte er nach Vorbildern der Hamburger Baugenossenschaften weitere Wohnanlagen etwa im Hanseviertel, hinter denen auch ein sozialer Reformgedankte stand. Nach den bitteren Notzeiten des Ersten Weltkrieges und der Inflation ermöglichten die in den „Goldenen Zwanzigern“ errichteten Blöcke auch Familien mit geringerem Einkommen ein menschenwürdiges Umfeld. Auch hierfür stehen die Namen Bösenberg und Jacobsen. Der mittlerweile wasserlose Brunnen hätte so auch eine dringend nötige Schönheitskur verdient.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt in der Weimarer Republik