Rathaus Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 25. Mai 2013, 08:42 Uhr

Rathaus

Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (25.05.2013)


Paradoxes Denkmal

DENKMALE IN ERFURT (99): Das neogotische Rathaus entstand 1875 anstelle des abgerissenen mittelalterlichen Vorgängerbaues.


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Es wirkt auf den ersten Blick ziemlich paradox. Erst reißen die Erfurter ab 1830 ihr altes Rathaus ab. Durch jenen Akt denkmalpflegerischer Barbarei geht unserer Stadt das Herzstück reichsstadtähnlicher Selbstständigkeit im Mittelalter verloren. Jenes Bauwerk reichte bis ins 13. Jahrhundert zurück. Ausstattungsstücke des Ratssaales, Architekturelemente und alte Ansichten lassen im Stadtmuseum den Verlust erahnen. Dann bleibt über Jahrzehnte eine hässliche Ruine am Fischmarkt stehen, weil sich der Abriss ewig hinschleppt. Schließlich baut man bis 1875 ein neues Rathaus im neogotischen Stil, weil dies besser in die Altstadt mit ihren gotischen Baudenkmalen passt. Jener Vorgang spiegelt aber auch, so merkwürdig es klingen mag, die Anfänge unseres heutigen Verständnisses von Denkmalpflege und des Stolzes auf die mittelalterliche Blütezeit Erfurts.

Der Abriss des alten Rathauses war schon unter den Zeitgenossen sehr umstritten und kostete sogar 1833 Bürgermeister August Wilhelm Türk die Wiederwahl. Traditionsbewusste Bürger setzten sich für das Bauwerk ein. Nicht zufällig fand die Gründungsversammlung des Erfurter Geschichtsvereins am 23. Dezember 1863 im Saal des alten Rathauses statt. Der erste Vorsitzende Wilhelm von Tettau betonte nicht zuletzt mit Blick auf den Veranstaltungsort die Ziele des neuen Vereins: „Aufgabe sei es fernerhin, den Untergang dessen, was vorhanden ist und an die ehemalige Größe Erfurts und an seine Blüthe im Mittelalter erinnert zu verhüten. Diese Aufgabe bezieht sich namentlich darauf, an Bau- und Kunstwerken zu erhalten, so viel noch möglich ist.“ Kam dieses bis heute fortdauernde Engagement des mittlerweile 150-jährigen Vereins für das Rathaus auch zu spät, hat er doch viele andere Bau- und Kulturdenkmale bis hin zur Krämerbrücke gerettet.

Trotz des von vielen bedauerten Verlustes des alten Rathauses ist der neogotische Neubau ein weithin sichtbarer Ausdruck des historischen Selbstverständnisses der Bürgerschaft geworden. Er bildet laut Kunsthistoriker Clemens Peterseim ein Sammelbecken an Motiven hervorragender Bauwerke der Stadt, allen voran von Dom und Augustinerkloster. Die besonders vom Geschichtsverein und seinen Protagonisten wie Karl Herrmann und Wilhelm von Tettau initiierte stolze Rückbesinnung auf das mittelalterliche „Heldenzeitalter der Stadt“ erhielt an repräsentativer Stelle Gestalt. Das von Architekt Theodor Sommer entworfene Rathaus ist auch im Inneren ein Denkmal von Geschichtsbild und Kunstgeschmack des späten 19. Jahrhunderts. Mit der Galerie historistischer Wandbilder im Festsaal zur Stadtgeschichte und im Treppenhaus zu Luther, Faust und dem Grafen von Gleichen kann man es geradezu wie ein Bilderbuch betrachten.