Napoleonstein bei Utzberg: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 22. Mai 2013, 09:20 Uhr
Napoleonstein bei Utzberg
Der Himmel war wolkenverhangen und es regnete am 11. Mai, dem Pfingstsonntag des Jahres 1913. Doch der Termin stand nun einmal fest und war in den Zeitungen und per Aushang in allen Orten zwischen Erfurt und Weimar bekanntgegeben worden. Und so zog "mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel ... ein imposanter Festzug" von mehreren hundert Menschen von Utzberg aus hinauf zur damaligen Staats-Chaussee, um am westlichen Rand der Gemarkung Utzberg ein neues Denkmal zu feiern. An der heutigen Bundesstraße 7 machen Hinweisschilder auf den "Napoleonstein" aufmerksam, dessen gepflegtes Umfeld mit Sitzgelegenheiten zu Rast und Information einlädt. Auch der Radweg zwischen Utzberg und Mönchenholzhausen verläuft unmittelbar am Denkmal vorbei.
Es markiert eine denkwürdige Stelle, die kurzzeitig und am Rande des von Napoleon initiierten Erfurter Fürstenkongresses 1808 hier die beiden damals mächtigsten Herrscher Europas zusammenführte: die Kaiser Napoleon I. (Frankreich) und Alexander I. (Russland). 18 Tage lang - vom 27. September bis 14. Oktober - stand Erfurt im Fokus der Weltpolitik, trafen sich in der von Napoleon zur Kaiserlichen Domäne erklärten Stadt die europäischen Herrschaftshäuser zur Abstimmung ihrer Außen- und Militärpolitik. Ein Ziel Napoleons, der bis dahin ungehindert von Sieg zu Sieg marschiert war, bestand in einem Bündnis mit Russland.
Dem Gast auf halbem Weg entgegengekommen
Es war also eine wohlüberlegte Geste, seinem wichtigsten Staatsgast, dem Zaren Alexander (dessen Schwester Maria Pawlowna seit 1804 durch Heirat dem Herzogshaus Sachsen-Weimar-Eisenach angehörte), auf halbem Wege entgegenzukommen. Die Abstimmung funktionierte, doch die genaue Stelle des Zusammentreffens der beiden Kaiser wird in den sonst von verschiedenen Autoren minutiös festgehaltenen Abläufen unterschiedlich überliefert.
Der Weimarer Publizist Carl Bertuch schreibt von "einem am Wege stehenden großen Birnbaume" und gibt damit den entscheidenden Hinweis, während Goethe im Tagebuch den richtigen Ort notierte. Die Monarchen begrüßten sich an dem seither als "historisch" bezeichneten Birnbaum, stellten sich gegenseitig ihr Gefolge vor, führten ein erstes Gespräch und ritten nach Erfurt. Eine zeitgenössische Abbildung davon ist im Volkskalender "Lahrer Hinkender Bote" (Baden-Württemberg) von 1810 enthalten. So geschah es am 27. September, und an gleicher Stelle verabschiedeten sie sich am 14. Oktober voneinander, um sich nie wieder persönlich zu begegnen.
In einem Beitrag zum 100-jährigen Jubiläum des Fürstenkongresses 1908 forschte der Gymasialdirektor und bekannte Erfurter Geschichtsforscher Johannes Biereye (1860-1949) zu dem Thema und suchte die Stelle zwischen Erfurt und Weimar. Zu Hilfe kam ihm dabei der Lehrer Oskar Imhof aus Niederzimmern (1867-1939), der sich schon früher mit der Frage intensiv beschäftigt hatte. Zu dieser Zeit lebten auch Augenzeugen, die den markanten Birnbaum noch kannten, bevor ihn um 1857 ein Blitzschlag zerschmetterte. Aber die Stelle ließ sich dadurch auf den Meter genau bestimmen, und vermutlich schon zu dieser Zeit wurde die Idee eines Denkmales geboren.
Günstiges Umfeld bei 100 Jahre Völkerschlacht
Der Kersplebener Lehrer Ernst Wagner (1866-1949) als Vorsitzender des Vereins für Heimatkunde im Amtsbezirk Vieselbach trat dem Vorhaben höchst förderlich bei. Dem Dreigestirn Biereye/Imhof/Wagner ist der Napoleonstein letztlich zu verdanken, errichtet im Namen des Vereins. Der Napoleonstein ist - neben 8 Jahrbüchern und einem Protokollbuch - ein gegenständliches Zeugnis von dessen segensreichem Wirken zwischen 1908 und 1934.
Als 1913 das hundertjährige Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig und das 25-jährige Kaiserjubiläum Wilhelm II. bevorstanden, schien der Zeitpunkt für das geplante Denkmal günstig. Weite Teile der Bevölkerung waren zu jener Zeit von starkem Nationalgefühl erfasst; säbelrasselnd und in "vaterländischer Stimmung" steuerte das Deutsche Reich auf den Ersten Weltkrieg zu. Im Februar beschloss der Verein in Vieselbach den Ankauf eines Findlings und die Ausgestaltung von Denkmal und Umfeld. Den Anfang setzte die Pflanzung eines neuen Birnbaumes am 10. März, symbolträchtig am Geburtstag der preußischen Königin Luise.
Das Denkmal war rechtzeitig fertig. Maurermeister Hüttig aus Nohra hatte einen niedrigen Sockel aus Kalkstein hergestellt und den erratischen Block darauf verankert. Eine Bronzetafel erinnerte "an die glorreiche Erhebung Deutschlands und die Zertrümmerung der Weltherrschaft Napoleons" und den Handschlag von Napoleon und Alexander "über Deutschlands Schmach" 1808. Die drei Initiatoren sowie Pfarrer Topf hielten Ansprachen und übergaben den Napoleonstein schließlich der Gemeinde Utzberg, die ihn zu pflegen versprach. Die Nachfeier fand wetterbedingt im dortigen Gasthof statt, wo auch die 500 eigens angefertigten Postkarten verkauft wurden.
Die Zeitläufe verhießen jedoch nichts Gutes für das neu errichtete Denkmal. In den wirtschaftlichen Notzeiten nach 1918 wurde die Metalltafel gestohlen; die nächtlichen Hammerschläge waren bis in den Ort hörbar. Ein neuer Inschrifttext wurde 1928 eingefügt. Im Zuge des Straßenausbaues 1936 musste das Denkmal um 5 m versetzt werden und erfuhr durch den Steinmetz Hermann Börner aus Utzberg eine völlig andere Konzeption. Erst jetzt erhielt es die jetzige Höhe von über 4 Meter, und der ursprünglich den Denkstein bildende Findling wurde nun - eher als Beiwerk - vor dem neu entstandenen Napoleonstein platziert. Ernste Gefahr drohte sodann aus nationalsozialistischer Richtung, weil der Stein an ein für Deutschland "schmachvolles Ereignis" erinnere und deshalb "reichlich überflüssig" sei. Letztlich blieb der Stein aber unangetastet. In der DDR wurde 1963 das 150-jährige Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig hoch bewertet, was dem Napoleonstein eine Instandsetzung und politische Aktualisierung brachte.
(Frank Störzner in Thüringer Allgemeine vom 11.05.2013)
Siehe auch: Erfurter Fürstenkongress 1808