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Thüringen und Frankreich seit Napoleon


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„Am Anfang war Napoleon.“ So beginnt der Historiker Thomas Nipperdey eine der großen Überblicksdarstellungen zur deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Damit ist gemeint, dass der Weg Deutschlands zum modernen Nationalstaat in der napoleonischen Zeit wesentliche Impulse erhalten hat. Sie hat auch in Thüringen das Heraufziehen der Moderne in vielerlei Hinsicht beschleunigt. Zudem stand die Region mehrfach im Fokus der Geschichte: 1806 unterlag Preußen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt dem französischen Feldherrn. Zwei Jahre später hielt Napoleon den Erfurter Fürstenkongress mit Zar Alexander I. ab, wobei es zum Treffen mit dem Weimarer Dichterfürsten Goethe kam.

Die historischen Verbindungen zwischen Thüringen und Frankreich reichen aber sehr viel weiter zurück. Schon das Königreich der Thüringer kam in intensiven Kontakt mit dem Reich der Franken, aus dessen westlichen Teil sich später Frankreich entwickeln sollte. Nach dem Tode Theoderichs des Großen 526 und dem Ende von dessen ostgotischen Bündnissystem unterlagen die Thüringer 531 in einer vernichtenden Schlacht an der Unstrut den Frankenkönigen Theuderich und Chlothar. 534 fiel der letzte Thüringerkönig Herminafrid einem Mordanschlag zum Opfer. Seine Nichte Radegunde wurde von Chlothar ins Frankenreich verschleppt und musste diesen heiraten. Nach dem Mord an ihrem Bruder flüchtete sie in den Schoß der Kirche und gründete das Kloster Poitiers. Dort verstarb die als Heilige verehrte Prinzessin 587. Sie ist die erste näher fassbare Persönlichkeit der thüringischen Geschichte, die zugleich in Frankreich bis heute große Popularität genießt.

Mit der Niederlage von 531 verloren die Thüringer dauerhaft ihre politische Selbstständigkeit. Aus dem mächtigen Königreich wurde eine Randprovinz der Franken, die auf den Kern des heutigen Freistaates zusammenschmolz. Die weitere Landesgeschichte vollzog sich seit dem 10. Jahrhundert in Rahmen des deutschen Reiches. Dabei kam es immer wieder zu politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Kontakten mit Frankreich. Das Ende des Alten Reiches auf Druck Napoleons gehört nun zu den großen Zäsuren, aus denen sich das moderne Deutschland formieren sollte. Das geschah lange Zeit in schmerzhafter Reibung mit dem westlichen Nachbarn Frankreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg ändert sich dies jedoch grundlegend. Während zwischen Frankreich und der Bundesrepublik eine enge Freundschaft heran wuchs, gab es auch Annäherungen an die DDR. Seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 können die Thüringer unmittelbar an der deutsch-französischen Freundschaft teilhaben.

Von der Napoleonischen Zeit zur Reichsgründung 1871

Unsere heutige Gesellschaft ist ohne die Französische Revolution kaum denkbar. Sie leitete seit 1789 eine politische Umgestaltung von weltgeschichtlicher Bedeutung ein. Das wirtschaftlich erstarkte Bürgertum legte auf der Grundlage der Ideen von Aufklärung und Liberalismus den Grundstein für einen modernen Nationalstaat mit Verfassung, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft. Die Grundgedanken der Revolution erfassten auch die deutschen Länder, wenngleich es meist nicht zu einer ähnlich revolutionären Umwälzung kam. Viele bürgerliche Intellektuelle begrüßten die Veränderungen in Frankreich zumindest bis zur Hinrichtung König Ludwigs XVI. und der folgenden Schreckensherrschaft unter Robespierre 1793/94. Der erfolgreiche Feldherr Napoleon Bonaparte erklärte mit dem Staatsstreich 1799 die Revolution für beendet und krönte sich 1804 zum Kaiser der Franzosen.

Die Revolutionskriege bzw. napoleonischen Kriege seit 1792 hatten massiv auf Deutschland eingewirkt. Die Truppen Frankreichs waren den Heeren Österreichs, Preußens und seiner Verbündeten überlegen und erlangten unter Napoleon geradezu den Nimbus der Unbesiegbarkeit. 1801 musste das Reich das linke Rheinufer an Frankreich abtreten. Die betroffenen Fürsten wurden 1803 durch die Säkularisation der geistlichen Fürsten und die Mediatisierung der kleineren Reichsstände und Reichsstädte entschädigt. Auf diesem Wege reduzierte sich die Zahl der Territorien von rund 300 auf 30. 1806 schlossen sich die meisten süd- und westdeutschen Länder unter Napoleons Protektorat im Rheinbund zusammen und wurde das Reich durch Kaiser Franz II. aufgelöst. Diese großen Umwälzungen erfassten auch Thüringen. 1802 hatte sich Preußen in einem Vertrag mit Frankreich Gebiete gesichert. Es erhielt die kurmainzischen Territorien mit Erfurt und dem Eichsfeld sowie die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen. Allerdings fand schon 1806 in Thüringen die Entscheidungsschlacht zwischen Frankreich und Preußen statt, das sich seit 1795 neutral verhalten hatte. Am 14. Oktober 1806 konnte Napoleon bei Jena und Auerstedt den preußischen Truppen eine vernichtende Niederlage beibringen. Im Frieden von Tilsit 1807 hatte König Friedrich Wilhelm III. die Abtretung großer Gebiete hinzunehmen, darunter auch die thüringischen Besitzungen. Das Eichsfeld, Mühlhausen und Nordhausen kamen an das neue Königreich Westphalen unter Napoleons Bruder Jérôme, der gut befestigte Zentralort Erfurt im Herzen Deutschlands erhielt den Sonderstatus einer „Kaiserlichen Domäne“ unter direkter Hoheit Napoleons.

Die thüringischen Kleinstaaten waren bisher von den großen Veränderungen weitgehend verschont geblieben. Nun schien aber besonders für das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach die letzte Stunde zu schlagen. Goethes Förderer und Freund Carl August erklärte nach der Jenaer Schlacht 1806: „Herzog von Weimar und Eisenach wären wir einstweilen gewesen.“ Er hatte als einziger thüringischer Fürst ein Bündnis mit Preußen abgeschlossen und selbst an den Kämpfen teilgenommen. Letztlich dürften es neben dem tapferen Auftreten der Herzogin Luise gegenüber Napoleon die verwandtschaftlichen Beziehungen zum russischen Zaren gewesen sein, die Weimars Herzogshaus retteten. Carl Augusts Schwiegertochter war die Zarenschwester Maria Pawlowna. So blieben die Kleinstaaten erhalten und traten 1806/07 dem Rheinbund bei.

Zwei Jahre nach der Schlacht von Jena und Auerstedt erlebte Thüringen einen weiteren historischen Höhepunkt, den Erfurter Fürstenkongress. Als Napoleon im September und Oktober 1808 35 Monarchen einschließlich Zar Alexanders I. von Russland um sich versammelte, befand er sich auf dem Zenit seiner Machtentfaltung. Er hatte seit Jahren alle Schlachten gewonnen und die Landkarte umgestaltet. Mit großer Pracht präsentierte er sich in Erfurt als Herr Europas, residierte in der heutigen Staatskanzlei am Hirschgarten und veranstaltete Aufführungen der Comédie-Française im heutigen „Kaisersaal“. Am 2. Oktober kam es zu einer Audienz Goethes bei Napoleon, die zum legendären Treffen der Heroen von Macht und Geist jener Epoche erhoben wurde. Zwischenzeitlich sorgten ein Besuch der Monarchen in Weimar, eine Treibjagd nahe Schloss Ettersburg und ein demonstrativer Besuch des Jenaer Schlachtfeldes für Abwechslung, wobei Goethe als Weimarer Minister verantwortlich war. Der Erfurter Fürstenkongress markiert jedoch auch einen Wendepunkt. Insbesondere verfehlte Napoleon sein Hauptziel, den Zaren zu einem festen Bündnis zu bewegen. So leitete schließlich der Russlandfeldzug 1812 die Entscheidung gegen ihn ein. Während der Befreiungskriege unterlag Napoleon den alliierten Truppen im Oktober 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig und musste im April 1814 abdanken.

Thüringen gab die napoleonische Epoche wichtige Anstöße für die politisch-gesellschaftliche Erneuerung. Mit Reformen sollte ähnlich wie in Preußen den gebeutelten Kleinstaaten der Wettiner, Schwarzburger und Reußen aufgeholfen werden. Auch wenn in keinem der „Code Napoleon“, das französische bürgerliche Gesetzbuch, in Kraft trat, ging die Entwicklung verstärkt in Richtung eines modernen Verfassungsstaates. Das Verhalten der Thüringer gegenüber den französischen „Protektoren“ bewegte sich von Kollaboration bis Widerstand. Das lag auch an den unterschiedlichen Erfahrungen, die man je nach sozialer Stellung und Beruf machte. Dennoch blieb jene Zeit v.a. als französische Fremdherrschaft in Erinnerung. Schon der erste Kontakt im Oktober 1806 hatte Elend und Tod ins Land getragen. Beinahe wäre dabei auch Goethe französischen Soldaten zum Opfer gefallen, als diese nach der Schlacht in Weimar marodierten. Noch mehr hatte die benachbarte Universitätsstadt Jena zu leiden. Es folgten Jahre mit ständigem Durchzug von Armeen, mit Einquartierungen und Abgabenlasten. Die Kleinstaaten hatten im Rahmen des Rheinbundes tausende Soldaten zu stellen, von denen die meisten ihre Heimat nie wiedersahen. Am härtesten traf es Erfurt, das direkt unter französischer Besatzung litt. Nach der Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1813 wurde die Stadt während einer monatelangen Belagerung von Artilleriebeschuss und Hungersnot heimgesucht. Hier endete die „Franzosenzeit“ erst mit dem Abzug der letzten Truppen von der Zitadelle Petersberg im Mai 1814.

Die thüringischen Kleinstaaten waren nach langem Zögern im November 1813 dem antinapoleonischen Bündnis beigetreten. Damit konnten sie gerade noch rechtzeitig ihre Existenz sichern. Längst war besonders im gebildeten Bürgertum, befeuert etwa von Jenaer Professoren wie Lorenz Oken und Heinrich Luden, eine nationale Aufbruchstimmung gewachsen. Aus allen Teilen Thüringens hatten sich Freiwillige gemeldet, wofür das bekannte Bild vom „Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813“ von Ferdinand Hodler in der Aula der Universität Jena (1908) steht. Auch das Bild von der Person Napoleons wandelte sich vor diesem Hintergrund in der zeitgenössischen Wahrnehmung endgültig vom „erhabenen Protektor“ zum verhassten Tyrannen und Fremdherrscher. Die deutsche Nationalbewegung bezog wichtige Impulse aus der Befreiung von der französischen Fremdherrschaft, was lange prägend bleiben sollte. Goethes ungebrochene Bewunderung für Napoleon und die Geringschätzung der patriotischen Gefühle seiner Mitmenschen bildeten hierbei eher die Ausnahme.

Doch zunächst wurden die nationalen Hoffnungen enttäuscht. Die deutschen Monarchen konnten sich nur auf einen losen Staatenbund einigen. Im Deutschen Bund von 1815 bewahrten auch die thüringischen Kleinstaaten neben dem preußischen Regierungsbezirk Erfurt ihre formale Souveränität. Trotz aller Vorbehalte gegen das „Musterland der Kleinstaaterei“ gab Thüringen jedoch sowohl der Entwicklung zum modernen Verfassungsstaat, als auch der Nationalbewegung wichtige Impulse. In Sachsen-Weimar-Eisenach wurde 1816 die erste moderne Verfassung Deutschlands verkündet, Sachsen-Coburg und Gotha stieg zu einem Zentrum der liberalen Nationalbewegung auf. Zugleich fand die junge Arbeiterbewegung in Thüringen großen Widerhall, wo 1869 in Eisenach die Sozialdemokratie begründet wurde. Sie berief sich auch auf die Werte der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Häufig kam auch nach der napoleonischen Zeit der Anstoß für politische Erneuerungen aus Frankreich. Die Revolutionen 1830 und 1848 in Paris wirkten wie Initialzündungen für das Geschehen hierzulande. Besonders 1848/49 waren die Hoffnungen groß, mit der Frankfurter Nationalversammlung einen deutschen Nationalstaat auf bürgerlich-liberaler Grundlage zu errichten. Als Citoyen, als mündige Staatsbürger, wollten die Thüringer u.a. auf großen „Thüringer Volkstagen“ parallel hierzu die Einheit der Region herbeiführen. Die Reichsverfassung von 1849 scheiterte jedoch ebenso wie alle weiteren Bemühungen der liberalen Nationalbewegung inklusive des preußisch-kleindeutschen Erfurter Unionsparlamentes 1850. Schließlich war es die Politik des konservativen preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, die die Reichseinigung „von oben“ in drei „Reichseinigungskriegen“ zwischen 1864 und 1871 herbei führte. Das sollte von entscheidender Bedeutung für das weitere Verhältnis zu Frankreich sein.

Der „Erbfeind“ Frankreich

Der moderne deutsche Nationalstaat war von Beginn an mit dem „Geburtsfehler“ der „Erbfeindschaft“ zu Frankreich belastet. Er erwuchs aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Die Proklamation des preußischen Königs als Kaiser Wilhelm I. im geschichtsträchtigen Spiegelsaal des Schlosses von Versailles und harte Friedensbedingungen wie die Abtretung Elsass-Lothringens sorgten für dauerhafte Spannungen. Der mit vielen antifranzösischen Ressentiments beladene deutsche Nationalismus wurde auch in den Kleinstaaten und preußischen Gebiete Thüringens in weiten Teilen der Bevölkerung gepflegt. Neben zahlreichen Anlässen diente hierzu der jährliche Sedantag am 2. September, an dem der entscheidende Sieg mit der Gefangennahme Kaiser Napoleons III. 1870 gefeiert wurde. So reimte man anlässlich des 25. Jubiläums der Reichsgründung 1896 in der noblen Erfurter Gesellschaft Ressource: „Und kraucht der Franzmann wieder rum, / Wir haun ihn nochmals lahm und krumm.“ Im Zeitalter des Imperialismus seit den 1880er Jahren verschlechterte sich das Verhältnis zu der konkurrierenden Welt- und Kolonialmacht weiter.

Die Spannungen entluden sich schließlich im Ersten Weltkrieg 1914/18. Aus den nationalen Gegensätzen wurde offene Feindschaft, die sich in dem alle bisherigen Erfahrungen an Opfern und Leid weit übersteigenden Krieg tief ins kollektive Bewusstsein eingrub. Auch in Thüringen hoffte man dabei auf einen Sieg, was durch Medien, Politik und symbolische Akte gestützt wurde. Schon 1870/71 hatte es beispielsweise auf dem Erfurter Johannesfeld ein großes Kriegsgefangenenlager gegeben. Das „Franzosenlager“ diente nun neben in der Stadt aufgestellten französischen Beute-Geschützen erneut als Symbol für das siegreiche deutsche Heer. Dort waren mehr als 10.000 alliierte Gefangene untergebracht. Die nationale Aufwallung ging bis hin zum Verbot von Fremdworten – der gute Deutsche sagte jetzt „Lebe wohl!“ statt „Adieu!“.

Nach der Niederlage Deutschlands 1918 verschärfte sich die antifranzösische Stimmung noch. Der Frieden von Versailles 1919 mit erheblichen Gebietsabtretungen, Reparationszahlungen, Entmilitarisierung und alleiniger Schuldzuweisung wurde fast durchweg in Deutschland empört abgelehnt. Auch in Thüringen gab es große Protestkundgebungen. Die aus diesen schwierigen Bedingungen erwachsene Weimarer Republik blieb stets ein gefährdetes demokratisches Staatswesen. Auch die Aussöhnungsversuche in der relativ stabilen Phase der „Goldenen Zwanziger“, für die 1926 Reichsaußenminister Gustav Stresemann und sein französischer Kollege Aristide Briand den Friedensnobelpreis erhielten, konnten keine nachhaltigen Wirkungen erzielen. Dies galt grundsätzlich für die Bemühungen, zum westlichen Nachbarn mit seiner großen Kulturtradition ein besseres Verhältnis herzustellen. Mit der Weltwirtschaftskrise seit 1929 kam es erneut zur politischen Radikalisierung, die schließlich zur „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler 1933 führte. Thüringen hatte dabei unter NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel seit 1930 eine wichtige Vorreiterrolle gespielt.

Im Dritten Reich kam es zunächst zur schrittweisen Revision der Versailler Friedensordnung, was Hitlers Popularität steigerte. Ihren Höhepunkt erreichte diese mit den „Blitzsiegen“ im Zweiten Weltkrieg 1939/45, insbesondere im sogenannten Westfeldzug. Innerhalb weniger Wochen besiegte die Wehrmacht im Mai/Juni 1941 die französisch-britische Armee und besetzte große Teile Frankreichs. Während des Krieges befanden sich ca. 1 Mio. französische Kriegsgefangene und ca. 650.000 Zwangsarbeiter in Deutschland. In Thüringen kamen ca. 22.500 französische Zwangsarbeiter zum Einsatz, nach Sowjetbürgern und Polen die größte Gruppe. Die meisten mussten unter harten Bedingungen in Industrie, Bergbau und Landwirtschaft arbeiten, um die Lücken der deutschen Soldaten zu füllen. Dabei wurden sie bis an die Grenzen der physischen Belastbarkeit ausgebeutet.

Für ihren Einsatz im ganzen Reich verantwortlich war Thüringens NSDAP-Gauleiter Sauckel, der seit 1942 auch die ministerähnliche Funktion eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz bekleidete. In ganz Europa ließ er mit zunehmend brutaleren Mitteln Menschen nach Deutschland verschleppen. Hierfür wurde Sauckel 1946 während des Nürnberger Prozesses als „größter und grausamster Sklavenhalter seit den ägyptischen Pharaonen“ (Hauptankläger Robert H. Jackson) zum Tode verurteilt. Neben den Zwangsarbeitern waren während des Krieges im Konzentrationslager Buchenwald bis zu 13.600 französische Häftlinge eingesperrt, darunter Regierungsmitglieder wie der frühere Ministerpräsident Édouard Daladier, Paul Reynaud und Léon Blum. Buchenwald war als eines von drei Großlagern im Reich neben Dachau und Sachsenhausen ein wichtiges Element der Profilierung Sauckels zu „Hitlers Muster-Gauleiter“.

Annäherungen seit 1945

Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges kam es in der Bundesrepublik Deutschland, die 1949 aus den drei westlichen Besatzungszonen entstanden war, zu einer schrittweisen Annäherung an Frankreich. Da man auch dort zur Versöhnung bereit war, konnte das neue Verhältnis durch einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag besiegelt werden. Der wegweisende Élysée-Vertrag wurde 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle in Paris unterzeichnet. Dieses Abkommen hat die beiden Nachbarn nach langer „Erbfeindschaft“ immer weiter zusammengeführt, auch wenn das Verhältnis nicht ohne gelegentliche Spannungen blieb. Dem Vertrag folgten zahlreiche Partnerschaften von Städten und Gemeinden sowie eine intensive Zusammenarbeit in Kultur, Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft. Daraus erwuchsen auch viele persönliche Freundschaften.

Da Thüringen nach kurzer amerikanischer Besatzungszeit seit Juli 1945 zur Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR (1949) gehörte, konnte diese neue deutsch-französische Freundschaft hierzulande jedoch kaum Wurzeln schlagen. Vielmehr galt es mit einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Massenorganisation die Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu pflegen. Die Integration der DDR in den „Ostblock“ und rigide Reisebeschränkungen sorgten dafür, dass Frankreich nahezu unerreichbar war. Dennoch wirkte sich dessen besondere Stellung in den westlichen Bündnissystemen aus. Zugleich sah man in Paris die deutsche Teilung als wichtigen Eckpfeiler der Nachkriegsordnung, was der DDR eine gewisse politische Bedeutung verlieh. Seit 1973 unterhielt Frankreich diplomatische Beziehungen zur DDR, denen zahlreiche soziokulturelle Verbindungen folgten. Auch in Thüringen gab es Städtepartnerschaften von Gera und Saint Denis 1959 bis hin zu Erfurt und Lille 1988. Besuche französischer Künstler wie Gilbert Bécaud und Marcel Marceau waren Höhepunkte, die für einen Hauch von „weiter Welt“ sorgten.

Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 entstand das Bundesland Thüringen. Die weltgeschichtlichen Ereignisse der Jahre um 1990 mit dem Ende der globalen Ost-West-Konfrontation rückten Thüringen in die Mitte eines zunehmend enger verzahnten Europas. Damit kam auch Frankreich wieder stärker ins Blickfeld. In den letzten gut zwei Jahrzehnten entstanden enge und freundschaftliche Beziehungen, wie es sie nie zuvor in der thüringischen Geschichte gegeben hat. Zu den rund 80 Städte- und Gemeindepartnerschaften, zu Schulpartnerschaften, Jugend- und Praktikantenaustausch, Hochschulkontakten und Forschungskooperationen trat die lebendige Partnerschaft des Freistaates mit der nordfranzösischen Region Picardie (Hauptstadt Amiens) seit 1994.

Ausdruck der guten Beziehungen ist auch das Französische Kulturbüro des Institut français und der französischen Botschaft. Auf kultureller Ebene beteiligt sich das Büro, auch Institut français Erfurt genannt, an Veranstaltungen wie Festivals, Konzerten, Theateraufführungen und Ausstellungen. Das Büro initiiert ebenfalls Partnerschaften und Austauschbeziehungen zwischen Schulen und Universitäten, fördert die wirtschaftliche, wissenschaftliche und touristische Zusammenarbeit. Der Leiter des Kulturbüros fungiert als Berater für alle Beziehungen mit Frankreich.