Geschichte des Erfurter Geschichtsvereins: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 15. November 2018, 15:28 Uhr
Geschichte des Erfurter Geschichtsvereins
Der Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt wurde 1863 gegründet und stieg zu einem der wirksamsten Geschichtsvereine Thüringens auf. 1945 praktisch erloschen, kam es 1990 zur Wiedergründung des Vereins. Er gilt seither wieder als "historisches Gedächtnis und Gewissen" der Stadt sowie als Impulsgeber für die überregionale Forschung. 2013 beging der Verein sein 150. Gründungsjubiläum und erhielt 2018 den renommierten Friedrich-Christian-Lesser-Preis.
150 Jahre Geschichtsverein 2013
Wann genau und unter welchen Umständen wurde der Geschichtsverein gegründet?
Am 23. Dezember 1863 trafen sich einige gutbürgerliche Herren im Saal des Alten Rathauses, um den Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt zu gründen. Eingeladen hatten Eisenbahndirektor Karl Herrmann und Oberregierungsrat Wilhelm von Tettau, beide passionierte Geschichtsfreunde. Rasch entwickelte sich aus dem Honoratiorenzirkel ein angesehener Geschichtsverein. Seinen Höhepunkt erreichte er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Gymnasialdirektor Johannes Biereye (Foto: Stadtarchiv Erfurt). Diesem wurde schon zu Lebzeiten von der Stadt 1931 eine Straße gewidmet.
Welche Vorstellungen hatten die Gründerväter über den Zweck des Vereins?
Laut Satzungen erstrebte man die Förderung der „Kunde von Erfurt, insbesondere seiner Vergangenheit sowie die Erweckung und Anregung des Interesses für dieselben“. Als Mittel hierfür sollten Publikationen und regelmäßige Vorträge dienen. Das gelang in bis heute fortdauernder Tradition: die wissenschaftliche Zeitschrift des Vereins, die „Mitteilungen“, erscheint seit 1865. Vorträge und sonstige Veranstaltungen gibt es seit 1864. 1937 richtete der Verein gemeinsam mit der Stadt den 19. Deutschen Historikertag in Erfurt mit aus.
Wo engagiert sich der Verein noch?
Ebenso wichtig wie Publikationen, Vorträge und Veranstaltungen waren die Aktivitäten im Bereich der Denkmalpflege. So sind etwa die Erfurter Denkmaltage keine Erfindung der Nachwendezeit. Schon im September 1903 hat der Geschichtsverein erstmals solche Denkmaltage organisiert. Es war ihm ein zentrales Anliegen, das Geschichtsbewusstsein durch den Bezug zu konkreten Erinnerungsorten zu stärken. Der Verein organisierte zahllose Führungen und ließ Gedenktafeln anbringen. Nicht zuletzt setzte er sich auch für gefährdete Bau- und Kulturdenkmale ein, was seinerzeit ebenso bitter nötig war wie heute.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Die Stadtverordnetenversammlung hatte 1912 auf Vorschlag des Magistrats einen breiten Straßendurchbruch vom Fischmarkt bis zur Gotthardtstraße beschlossen, dem viel historische Bausubstanz zum Opfer gefallen wäre. Insbesondere das „Dämmchen“-Viertel nördlich der Krämerbrücke war akut gefährdet. Sogar der Abriss der Krämerbrücke selbst stand zeitweise zur Debatte! Gegen dieses Vorhaben machte der Geschichtsverein mit Johannes Biereye als denkmalpflegerischem „Gendarm“ energisch mobil und konnte die Realisierung glücklicherweise verhindern. Auch die Rettung der Wasserburg Kapellendorf kann sich der Verein anrechnen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Stadt?
Der Geschichtsverein pflegt seit seiner Gründung ein sehr gutes Verhältnis zur Stadt. Er hat unter anderem wesentlich mit zur Schaffung wichtiger kommunaler Einrichtungen wie Stadtarchiv, Museen und Volkshochschule beigetragen. Wichtige Teile der öffentlichen Erinnerungskultur, etwa die großen historischen Jubiläen, wurden und werden gemeinsam vorbereitet.
Wie groß ist der Verein heute?
Der Erfurter Geschichtsverein zählt rund 230 Mitglieder und ist damit der größte lokale Geschichtsverein in Thüringen.
Mit was beschäftigen sich die Mitglieder – nennen sie bitte einige aktuelle Beispiele?
Nach wie vor sind die Publikationen und Veranstaltungen das "Kerngeschäft" des Vereins. Die letzten beiden Schriftenbände zur „Blumenstadt Erfurt“ (2011) und zu „Erfurt. Die älteste Hochschule Deutschlands“ (2012) trafen auf ein großes Echo. Zugleich hat der Verein weiterhin seine Augen auf den Denkmalschutz gerichtet. Auch in den „Erfurter Denkmalstreit“ um die Leuchtschrift auf dem „Erfurter Hof“ für das Gipfeltreffen 1970 hat er sich eingeschaltet. Nicht zuletzt auf seine Intervention hin wurde der authentische Schriftzug Willy Brandt ans Fenster verwirklicht.
Wann und wie wird das Jubiläum gefeiert?
Das Wirken des Vereins gilt es zu würdigen, wenn er am 13. April 2013 im Rathausfestsaal sein 150. Gründungsjubiläum mit einer öffentlichen Fachtagung begeht. Dabei wird auch der Oberbürgermeister zu den Gratulanten gehören. Er hat den Geschichtsverein als „historisches Gedächtnis und Gewissen der Stadt“ bezeichnet, was für die heutigen Akteure ebenso wie einst Ehre und Verpflichtung zugleich bedeutet.
(Interview der Thüringer Allgemeine mit Dr. Steffen Raßloff am 5. Januar 2013)
Lesetipp:
Steffen Raßloff: "Ad maiorem Erfordiae gloriam". 150 Jahre Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 1863–1945 und 1990–2013. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 74 (2013). S. 7-46.
Antje Bauer und Sabine Hahnel: 45 Jahre Vereinsgeschichte ohne Verein. Stadtgeschichtsforschung und sozialistische Kulturpolitik 1945–1990. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 74 (2013). S. 47-66.
Siehe auch den Beitrag vom 22. Januar 2013 zum 150. Vereinsjubiläum auf SALVE TV
> Geschichtsverein erhält renommierten Friedrich-Christian-Lesser-Preis 2018
Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 20.09.2018 (zum Lesen anklicken):